Gesammelte Sci-Fi-Romane in einem Band. Hans Dominik
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Wellington Fox horchte auf. »Als der Kessel kochte …« Hatte nicht Isenbrandt die Worte erst vor kurzem gebraucht … Hatte nicht der alte Professor Müller ihnen schon in der Schule eine Erzählung unter diesem Titel vorgetragen?
Wie ein Jäger auf seine Beute, stürzte er sich auf den Alten, und in zwei Minuten hatte er ihn so weit, daß er zu erzählen begann:
»Ja, also damals war’s …« Er zählte an seinen Fingern ab.
»Zweiundvierzig, nein, dreiundvierzig Jahre ist es jetzt her. Im Leunawerk bei Merseburg war’s. Der Betriebsingenieur hatte mir den Auftrag gegeben, einen großen Reservekessel für den nächsten Tag anzuheizen. Früh um vier kam ich in das Kesselhaus. Bitterkalt war es und natürlich noch stockdunkel. Der Kessel hatte eine Reparatur hinter sich und war leer.
Ich also … als erstes, was ich tue … ich drehe natürlich zuallererst den Wasserleitungshahn auf, um den Kessel erst mal voll Wasser laufen zu lassen. Derweil das Wasser läuft, suche ich mir Holz zum Feueranmachen zusammen, und so allmählich kommen auch meine Kollegen … Sie müssen wissen, Herr, ich war damals der jüngste und mußte zuallererst da sein.
Wie ich so mein Holz zusammentrage, wird mir warm und immer wärmer, und dabei hatten wir doch 15 Grad Kälte im Freien. Im Kesselraum war’s fast ebenso kalt … denn Sie müssen wissen, Herr, besondere Öfen stellt man nicht in die Kesselhäuser. Die Kessel heizen selber ganz schön, wenn sie in Betrieb sind.
Wie ich noch so stehe und mir den Schweiß von der Stirn wische, da gibt mir mein Kollege einen Stoß in die Rippen und zeigt auf das Manometer am Kessel. Und da denke ich doch … da denke ich doch, der Deubel soll mich holen … da zeigt das Manometer auf zwölf Atmosphären. Dabei, Herr, kein Stückchen Feuer auf den Rosten … eben erst kaltes Wasser aus der Leitung in den Kessel gepumpt.
Ich denke zuerst, ich habe mich verschaltet und Dampf aus einem der anderen Kessel auf den leeren Kessel angedreht. Aber alle Ventile sind zu, und ich verbrenne mir bloß eklig die Finger. Ich lasse vor Schreck die Schaufel fallen und retiriere vor diesem Deubelskessel bis zur Eingangstür.
Da kommt gerade der Ingenieur. Der sagt ganz harmlos: ›Na, Leute, ihr habt ja schon ganz schönen Dampfdruck.‹
›Ja!‹ sage ich. ›Aber den Kessel hat der Deubel geheizt.‹
›Wieso?‹ fragt der Ingenieur. Ich gehe langsam an den Kessel ran, mache die Feuertür auf und zeige ihm die kahlen Roste.
Mit einem einzigen Satz ist er an der Tür und verschwindet, ohne noch ein Wort zu sagen.
In fünf Minuten war er mit dem Direktor wieder da. Und wie der Direktor die Bescherung sieht, da stellt er sich hin und lacht. Gelacht hat der … Ich sage Ihnen, wenigstens fünf Minuten hat er gelacht, daß das ganze Kesselhaus wackelte. Dann sprang er plötzlich zu und schaltete den unheimlichen Kessel auf die Maschinen. Es war aber auch nachgerade Zeit, denn der Druck war inzwischen auf fünfundzwanzig Atmosphären gestiegen, und noch fünf Atmosphären weiter, da wären wir wohl alle in die Luft geflogen.
Da kam der Direktor zurück und sagte nur ganz trocken: ›Der Doktor Frowein soll mal kommen.‹ Und als der kam, da guckte er ihn bloß an und sagte: ›Na, weißt du, Karl, das ist mal wieder ein echter Frowein! Junge, Junge, daß dir das gelungen ist!‹ Und dann fiel der Direktor dem Doktor Frowein um den Hals, und die Tränen kugelten ihm aus den Augen.
Als er ihn wieder losließ, da sagte er zu uns: ›Kinder, merkt euch den heutigen Tag. Der 13. Februar 1963 wird noch für Jahrhunderte ein Gedenktag bleiben. Heute fängt ein neues Kapitel der Technik, der Zivilisation, der Kultur an. Der hier ist’s, dem die Menschheit das verdankt.‹
Wir standen noch da mit offenen Mäulern, denn verstehen taten wir das nicht.
Na, und der Frowein, das war so ein ganzer Stiller, der sagte so nebenbei: ›Bist du jetzt überzeugt, du ungläubiger Thomas?‹ Und dann gingen sie beide Arm in Arm weg. Aber vorher drehte er sich nochmal um und sagte zu uns: ›Na, Jungens, seht euch beizeiten nach was anderem um. Ich glaube, Heizerstellen werden rar werden.‹
Dann ging er los. Ich sage Ihnen, Herr, wenn ich hundert Jahre alt werde, den Morgen da in dem Kesselhaus werde ich niemals vergessen.
Tag und Nacht hat der Kessel gekocht. Wir mußten bloß Wasser nachpumpen. Und in den Zwischenzeiten mußten wir den vielen Neugierigen ihre Fragen beantworten. Aus aller Welt kamen sie, und die Absperrung war einfach nicht durchzuführen. Wenn wir eben einen hinausgeworfen hatten, kroch schon ein zweiter irgendwo her aus dem Aschkasten oder dem Kohlenbunker und setzte uns mit Fragen zu.
Wie es dann mit der Erfindung weiterging, das wissen Sie ja wohl. Kohlen zum Heizen brauchten wir nicht mehr. Öl auch nicht mehr. Die Bergarbeiter wurden größtenteils überflüssig. Die ganze Wirtschaft wurde auf den Kopf gestellt. Na, ganz glatt ist das ja nicht gegangen. Auf einmal so viele Menschen ohne Brot! … Na, Sie können sich ja denken, was das zu bedeuten hat. Aber allmählich hat sich ja alles wieder eingerenkt. Wem das Deubelszeug das Brot genommen hatte, dem gab es durch die Siedlungen bald gesünderes Brot wieder. Wenn Sie hier über die Steppen gefahren sind, dann haben Sie ja was davon gesehen. Zwanzig Millionen Leute aus Europa wohnen jetzt hier in bestem Wohlstand, wo früher ein paar hunderttausend Kirgisen kümmerlich hausten. Aber kommen Sie! Ich will Sie zu unserer Schmelzstelle bringen.«
Gespannt hatte Wellington Fox der Erzählung des alten Schmelzmeisters gelauscht, während der Magnetograph in seiner Tasche sie Wort für Wort niederschrieb. Jetzt folgte er dem Alten, der ihn auf einem neuen Pfade weiter bergan führte. Die Luft war hier verhältnismäßig klar und sichtig, da ein scharfer Südostwind die Nebelschwaden vertrieb. Noch eine kurze Wendung, und vor ihnen lag ein mächtiger Gletscher. Wohl mehrere Kilometer breit und in einer Mächtigkeit von hundert Meter schob sich der gigantische Eisstrom zu Tal. Wie ein dunstiger Schleier lag es auf dem Eise. Wo der Windstrom ihn faßte und zerriß, schimmerte glasig grün das Eismassiv hervor. An solchen Stellen konnte Wellington Fox hier und da schwarze Punkte wie Fliegen über die Fläche kriechen sehen. Er nahm sein gutes Glas zu Hilfe und sah nun, daß es große tankartige Fahrzeuge waren. Riesige Motorwagen, die hier das Gletschereis befuhren und gleichmäßig mit dem Dynotherm bestreuten, ähnlich, wie etwa ein Sämann die Getreidesaat über das Feld verteilt.
Während seine Augen an dem interessanten Schauspiel hingen, nahm der Schmelzmeister seine Erklärungen wieder auf:
»Sehen Sie, Herr, wie der Strom des erschmolzenen Wassers etwa fingerhoch über der Gletscherfläche zu Tal läuft. Meilenweit über das Eis läuft und dabei immer heißer wird.«
Wellington Fox ließ sein Glas sinken.
»… Und wie lange hält der Gletscher aus?«
»Ja … eigentlich sollte der Gletscher längst verbraucht sein, wenn nicht … wenn nicht …«
»Wenn was nicht?«
»Ja … die Gelehrten behaupten, daß hier überhaupt viel mehr Regen und Schnee fällt, seitdem die Schmelzerei im Gange ist. Trotzdem könnten die Gletscher hier bald zu Ende gehen, wenn wir nicht sparsam schmelzen müßten … Ja, wenn wir da oben im Quellgebiet des Ili schmelzen könnten … aber das gehört ja den verdammten Gelben … und die lassen uns nicht ran, obgleich sie auch Vorteil dabei hätten. Reine Bosheit von der Bande!
Und dabei könnten wir noch so viel Wasser gebrauchen, da doch der Balkaschsee mit dem Pulver nächstens zum Dampfen gebracht werden soll. Sie wissen,