Californische Skizzen. Gerstäcker Friedrich

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Californische Skizzen - Gerstäcker Friedrich

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zuerst annehmen solle, dauerte diese Ungewißheit doch nicht lange, denn er warf sich gleich darauf in blinder Wuth auf den ihm nächsten, und trieb ihn wieder unter dem Hohngeschrei der Zuschauer, auf und über die Fenz, während sich der Andere, der jetzt wohl fürchten mochte, daß der ganze Zorn des Thieres gegen ihn allein gekehrt werden würde, langsam nach dem Eingang zurückzog, dort überzuklettern.

      War dies langsame Zurückziehen eine Art von Ehrgefühl gewesen, die ihn verhinderte, dem zum Kampf aufgerufenen Gegner ohne weiteres wieder den Rücken zu drehen, so sollte das gar bald dem neuen Gefühl der Rettung Raum geben, denn das gereizte Thier sah, den Kopf wendend, kaum die langsam ihm ausweichende Gestalt, als er die Hörner niederbog, den Staub aufwühlte und mit kurzem Gebrüll und hoch und kampflustig gehobenem Schwanz in so tollem Anprall gegen den Flüchtigen losstürmte, daß dieser nicht einmal Zeit behielt die Fenz zu erklettern, sondern nur eben noch rasch zur Seite sprang, von den Hörnern des wüthenden Thieres nicht erfaßt und zerquetscht zu werden.

      So gewaltig war aber die Kraft und Schwere gewesen, die der Stier in diesen Angriff gelegt, daß die starken Querhölzer der Fenz ihm nicht zu widerstehen vermochten. Wie morsche Breter brachen sie zusammen, und wenige Minuten später stürmte das entfesselte freie Thier mitten in eine Schaar müßiger entsetzter Zuschauer hinein, die, sich eines solchen unerwarteten Angriffs nicht versehend, wie Spreu im Sturm auseinanderstoben, und es wieder nur den verschiedenen Richtungen zu verdanken hatten, in denen sie abprallten, daß das wüthende Thier nicht Einen von ihnen überholte und auf die Hörner faßte.

      Lautes Gelächter und ein Hohngeschrei der auf den erhöhten Plätzen sich sicher fühlenden Menge übertäubte im ersten Moment der Flucht jeden andern Laut. Nur Einer vielleicht von der ganzen Schaar stampfte in tollem Unmuth die Breter und schrie sein verächtliches caracho nieder auf die unten entsetzt stehenden Stierkämpfer, die jetzt, in ihrer bunten, wunderlich geschmückten Tracht, und ohne den Stier, allerdings eine gar traurige Rolle spielten. Es war der Indianer.

      Sein erstes Gefühl schien auch, von der Terasse niederzuspringen und irgend, vielleicht sich noch nicht einmal recht bewußten Theil an der unten vorgehenden Handlung zu nehmen, und in diesem Drang wollte er schon die Flasche von sich werfen, als ihn ein gewisser Instinkt davon zurückhielt. Rasch und unentschlossen hob er sie gegen das Licht, und schaute sich wenige Secunden im Kreis um, als ob er Jemanden suche, dem er sie anvertrauen könne. Aber er fand Niemanden, denn die Gesichter waren ihm theils fremd, theils vielleicht nur zu gut bekannt. Da fiel sein Blick auf das flüchtige Thier, das eben an dem alten Missionsgebäude vorbeistürmte, den fernen Bergen zu, und im Nu hatte er die Flasche an den Lippen, goß sich den heißen Strom in die Kehle, bis ihm die Augen im Kopfe glühten, und sprang dann, die leere Flasche von sich werfend, mit einem Satz über das Gestell hinweg, das ihn vom Boden trennte. Zwei oder drei der dort Stehenden rannte er zu Boden, aber er sah es weder, noch hörte er die Flüche, die hinter ihm drein klangen, nur sein Pferd suchte das blitzende Auge. Dort an der Ecke stand es befestigt, und still wie ein Lamm in dem Lärm und Aufruhr der es umgab; aber seines Herrn Hand lag auf seiner Mähne und das kluge, schöne Thier spitzte die Ohren.

      „Vamos chiquito,“ lachte der Indianer, als er mit der linken Hand den Zaum von dem Kopf des Thieres streifte, es war ihm zu viel Mühe den Zügel zu lösen, und zurückzunehmen — vamos mi bonito — und dahin flog das Roß, von dem Schenkeldruck des wilden Reiters gelenkt, wie der Pfeil von der Sehne. Schnaubend und wiehernd warf es den Staub empor hinter sich, und die einzelnen Gruppen Flüchtiger, die dem Stier eben ausgewichen, wußten kaum wie sie den herandonnernden Hufen entgehen sollten. Aber im Nu war’s vorbeigerast — des Indianers scharfer Blick entdeckte das flüchtige Thier, wie es eben den grünen Rasen berührte, der zwischen der Mission und den Küstenhügeln lag, und mit der Rechten den Lasso von seinem Sattel lösend, trieb er mit Zunge und Hacken das schäumende Roß zu immer wilderer Eile.

      Fünf oder sechs Reiter, die dort gerade in der Nachbarschaft gewesen, hatten schon versucht dem Stier die Flucht abzuschneiden, der sumpfige Boden aber, über den er floh, hielt sie zurück, und sie kreuzten jetzt des Indianers Pfade, um die Mission herum zu galopiren und den Entsprungenen weiter oben einzuholen.

      Der Indianer stieß einen wilden Jubelschrei aus und sprengte gerade auf die Kirchhofsmauer zu.

      „Hierher, compañero!“ rief ihm einer der Amerikaner zu; „du kannst dort nicht hinüber!“

      Ein heiseres Lachen war Valentins einzige Antwort, und mit einem Satz überflog der Rappe die Mauer und verschwand mit dem wilden Reiter im Innern des Kirchhofs.

      „Damn my soul!“ fluchte der Amerikaner still in sich hinein und gab seinem Thier Sporn und Peitsche, rasch um die Mauer hinumzukommen. Aber Valentin war schon wieder draußen im Freien und das wackere Roß das er ritt, entdeckte kaum, jetzt dicht vor sich, den flüchtigen Stier, als es mit schnaubenden Nüstern ausgriff zum wohlbekannten Fang. Wenige Secunden später, und das Pferd war dicht hinter ihm, der Reiter aber, den Lasso in weiter Schwingung zwei oder dreimal um den Kopf wirbelnd, bog sich vor, und die Schlinge zuckte aus seiner Hand. In dem Moment aber auch, und nur von dem Schenkeldruck des Eingeborenen berührt, warf sich das Pferd herum und stemmte sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers gegen den nur zu gut gekannten Wurf des Gefangenen. Der Stier that noch zwei Sprünge mit voller, zum Aeußersten getriebener Kraft, denn er fühlte die furchtbare Schlinge über sich, jetzt aber, in dem letzten Bereich des unzerreißbaren Taues zog dieses an, und das gefangene Thier stürzte mit fast gebrochenem und nach rückwärts gerissenem Nacken dumpf blökend zur Erde nieder.

      Jetzt erst kamen die andern Reiter heran, und einer der Californier hob ebenfalls den Lasso, die Hörner des Gefangenen zu fassen, damit das Thier, desto sicherer zwischen beiden Reitern, gegen keinen den Angriff ausführen könne, ohne von dem Andern zurückgehalten zu werden; Valentin aber, durch den Cognac schon vorher und die glückliche Jagd jetzt erregt, warf seinen Arm empor und winkte dem zweiten Reiter, den Stier in Ruhe zu lassen. Nur den Hals seines schnaubenden, zitternden Thieres klopfend, erwartete er mit triumphirendem Lächeln die nächste Bewegung des gefangenen, aber keineswegs gebändigten Feindes.

      Jetzt sprang der Stier, der sich von der ersten Betäubung seines Sturzes erholt, empor, und dicht vor sich den Gegner erblickend, der es gewagt ihm zu trotzen, legte er die Hörner ein und stürmte wild gegen ihn an. Das aber hatte der Indianer nur erwartet, und das Pferd mit der linken Hand, mit der er die Mähne desselben gefaßt hielt, leicht regierend, galopirte er, den Lasso in seiner vollen Länge und mit dem immer wüthender werdenden Thiere Schritt haltend, vor ihm hin, der Arena wieder zu. Zweimal versuchte der Stier zur Seite auszubrechen, als er fand daß er den flüchtigen Reiter nicht einholen konnte, immer aber riß ihn der Lasso wieder zurück in die halb freiwillige, halb gezwungene Bahn, und jeder Ruck reizte die Wuth des Gefangenen nur auf’s Neue, und machte ihn der stets sicher geglaubten und stets wieder entgehenden Beute folgen.

      So näherte sich das wunderliche Paar, von einer Masse von Zuschauern, die dem kecken Indianer zujubelten, umdrängt, dem Eingang der Arena, der von den Mexikanern schon geöffnet worden. Ungeduldig winkte Valentins Arm dabei ihm Raum zu geben, und sein wilder Blick überflog halb forschend, halb unruhig das Innere des Kampfplatzes, in das er den furchtbaren, zur äußersten Wuth gereizten Gegner lockte. Aber die Einrichtung der Umzäunung, deren gegenüberliegende und den Ausgang bildende Balken jetzt noch befestigt waren, schien ihn zu befriedigen und dicht vor dem offenen Thor, hinter dem versteckt zwei Leute postirt waren, es zu verschließen, sobald sich der Stier wieder im Innern befand, hielt er an, und schien das mit gesenkten Hörnern auf ihn einprallende Thier ruhig zu erwarten, dessen nächster Sprung auch kaum anders als tödtlich für ihn sein konnte. Das eigene wackere Roß zitterte dabei unter ihm und warf den schönen Kopf scheu zurück, aber wich nicht, wenn auch zügellos, vom Platz, der fast unvermeidlichen Gefahr zu entgehen.

      Ein wilder Schrei der Angst zuckte aus fast jeder Brust, als der wüthende Stier die Hörner senkte, sie im nächsten Moment in die Weichen des bebenden Rappen zu stoßen, als das

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