Californische Skizzen. Gerstäcker Friedrich
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Natürlich dauerte es keine viertel Stunde und die Beiden staken bis über die Ohren in Politik. Wohlgemuth war früher in den Vereinigten Staaten gewesen und vertheidigte den 40 acres grant — Meier dagegen schimpfte auf unsere deutschen Verhältnisse, und ob sie sich nun einander nicht verstanden, oder in diesen beiden Puncten gegenseitig genug Anhalt fanden einander zu Leibe zu rücken weiß ich nicht, aber sie wurden hitzig, und Haye guckte ein paar Mal aus dem Zelte hinaus, zu sehen ob sie sich nicht beim Kopfe hätten.
Da Wohlgemuth sehr schwer hörte mußte Meier sehr schreien, und da Meier sehr schrie, konnte Wohlgemuth seine Argumente ebenfalls nicht mit leiser Stimme geltend machen. So entstand endlich allein zwischen den beiden Menschen ein solcher Scandal, daß hier und da die Schläfer wieder munter und murrende Stimmen laut wurden. Endlich konnte es Försterling nicht länger aushalten.
„Zum Donnerwetter, Meier!“ rief er zum Zelt hinaus — „Ihr habt ja alle Beide recht, aber komm nun zu Bett.“
„Halt’s Maul Landrath, das verstehst Du nicht,“ rief Meier in allem Eifer.
Wenn jedoch der Landrath die Unordnung nicht zu dämpfen verstand, so wußte er das mit dem Feuer desto geschickter anzufangen. Das war zu einem kleinen Punct zusammengebrannt, um den sich die Debattirenden, da die Nacht hier oben sehr kühl war, dicht hinangedrängt hatten, und dahinein wußte der Landrath den Eimer Wasser, den er selber am Abend zum morgenden Kaffee aus dem Bach heraufgeholt hatte, so geschickt zu opfern, daß im Nu auch keine Spur von einer glühenden Kohle mehr zu sehen war.
Die Beiden wollten sich nun dadurch allerdings nicht vertreiben lassen, und setzten ihren Wortstreit im Dunkeln fort, aber der animus fehlte, und eine halbe Stunde später war Alles, unter manchem leise gemurmelten „Gott sei Dank“ todtenstill.
Nur die Cayotas — die kleinen Wölfe oder wilden Hunde fingen an zu heulen, und hie und da schrie eine Eule ihr monotones Nachtlied darein.
Als Meier am andern Morgen meinte, die Nacht habe es so sonderbar in den Bäumen gerauscht, sagte der Landrath, „das wäre gar kein Wunder, denn sein Rausch allein, den er ausgeschlafen hätte, müßte einen Mordspectakel gemacht haben.“
Mit der Morgendämmerung kam aber auch wieder ein anderes frisches Leben in die Schläfer — die Einzelnen welche „die Woche“ hatten, standen auf und bereiteten das Frühstück, weckten dann die Uebrigen, und eine Stunde später wanderten die verschiedenen Parthieen mit ihren Pfannen und Wassereimern, denn das Werkzeug lag meistentheils noch unten an den Plätzen, wo sie am Sonnabend Abend aufgehört hatten zu arbeiten, den verschiedenen Stellen zu, an denen sie in dieser Woche ihr Glück versuchen wollten.
Gleich darauf fingen die Maschinen unten in der Schlucht an zu klappern, die Axt räumte Bäume und Wurzeln aus dem Wege, die Spitzhacke trieb mit kräftigen Schlägen in den harten Boden hinein, und das Arbeitsleben der Miner hatte wieder begonnen.
Die Mission Dolores bei San Francisco.
Wenn man in früherer Zeit die Geschichte irgend eines Ortes schrieb, den man vor ein oder zwei Jahren besucht hatte, so sagte man gewöhnlich „dort ist es so, und so, und so; die Gebäude sehen so aus, die Straße führt dorthin, es ist auch ein gutes Wirthshaus da und heißt so und so.“ — Das mochte für die Welt im Allgemeinen passen. Wenn man aber eine solche Beschreibung jetzt von einem californischen Orte machen wollte, schriebe man lauter Lügen. Es ist so, kann man von irgend einem Gebäude oder einer Straße in und um San Francisco z. B. nur sagen, wenn man wirklich davor steht, und mit seinen eignen Augen sieht, daß es wirklich so ist; biegt man aber um die nächste Ecke und will ganz gewissenhaft zu Werke gehen, so kann man in der That nicht mehr thun, als behaupten, es war so, denn kein Mensch kann bestimmen, ob nicht selbst in der Zeit schon ein Nachbar angefangen hatte, daneben zu bauen, ob die Straße nicht aufgerissen wurde, oder ein Haus weggefahren, oder sonst irgend eine andere entsetzliche Veränderung mit dem Platz im Handumdrehen vorgenommen sei.
Sehr natürlich mußte es ebenso mit dem Districte der Fall sein, der nicht allein im Bereich oder in der Nähe San Franciscos lag, sondern auf den die Stadt selber gleich von Anfang an, der sie einschließenden Küstenberge wegen, angewiesen war sich auszudehnen. So, wer die Mission Dolores selbst noch 1850 im Frühjahr und wer sie im Herbst sah, hätte sie kaum mehr wieder erkannt — und wie mag sie jetzt aussehen? —
Von San Francisco etwa eine Stunde Wegs durch hohe und entsetzliche Sandhügel getrennt, die im heißen Sommer Menschen und Vieh zu Tod erschöpften, schien nichtsdestoweniger eine wirkliche Vereinigung der Mission mit der Stadt noch mit unendlich vielen Schwierigkeiten zu kämpfen zu haben, ehe sie bewerkstelligt werden konnte — wenn eben nicht Amerikaner das Ganze in Händen gehabt hätten. Aber das go ahead Princip bewährte sich hier einmal wirklich wieder auf eine fast fabelhafte Art.
Zwischen der Mission und San Francisco lag eine enorme Masse von Sand, einer Communication mit dem ersten Platze außerordentlich hinderlich, und jedenfalls große Summen erfordernd, sie zu beseitigen. San Francisco gegenüber machte die See oder Bai eine tiefe Bucht, herrlichen Raum beanspruchend, den Straßen und Waarenlager füllen könnten, wenn man eben Grund und Boden genug hätte, die See hier auszuwerfen und zurückzutreiben. Was war einfacher, als daß man die Sandberge der Mission Dolores nahm, und dort, wo man sie brauchte, in die See schüttete, und so übertrieben das hier klingen mag, machten es doch die Amerikaner in wenigen Monaten möglich. Eine gewaltige Dampfmaschine, die sie von Newyork herüberbekommen hatten, fing an zu arbeiten und das riesige Maschinenwerk wühlte sich in den Berg, warf sich die Last auf den Rücken und keuchte mit Windesschnelle hinüber an die Ufer der Bai, seine Bürde dort in die Flut zu werfen, und Fußbreit nach Fußbreit dem nur langsam und trotzig zurückweichenden Meere abzugewinnen.
In wenig Monaten war die Straße nach der Mission hinaus geebnet und mit Planken belegt, und kaum glitt die letzte Bohle in ihr Lager, als auch schon breitsitzige Omnibusse darüber hinrasselten, als ob sich der Boden seit Jahrhunderten das Recht der Civilisation erworben habe, und das ganze Leben und Treiben hier nicht etwa wie über Nacht aus der Erde heraufgewachsen sei.
Wunderlich und fast wie unheimlich steht mitten zwischen dieser Flut von Neuerungen — oder stand wenigstens noch seit den letzten Nachrichten — das alte eigentliche Missionsgebäude, mit seinen düsteren Mauern aus ungebrannten Ziegelsteinen, und der alterthümlichen spanischen Bauart; mit den engen vergitterten Fenstern und niederen, wie mit der Spitzhacke eingeschlagenen Thüren, aus dessen einem Flügel sich nur ein etwas höheres Dach mit sonderbar und geschmacklos angebrachten Säulen über die übrigen gleichmäßigen und kasernenähnlichen Flanken emporhob, und die kleine, dicht darum gedrängte Ansiedlung, wie eine alte Henne ihre schüchtern rund um sie hergestreute Brut zu bewachen schien.
Was hat das alte Gebäude nicht gesehen zu seiner Zeit! — Wenn die Ziegel reden könnten, die jetzt morsch auf dem Dache sitzen und von denen die meisten nach unten zu drängen scheinen und über die Rinne schauen, als ob sie sich in dem sumpfigen Grund unten einen Platz aussuchten, wo sie am besten hinunterspringen könnten — wenn die alten Lehmsteine ihre Erfahrungen ausschwatzen könnten. Aber stumm und starr stehen sie da und schauen noch gerade so düster und unheimlich auf die jetzt um sie schaffende, rege Welt hernieder, als damals, wo die ersten scheu und ängstlich den Platz betretenden Indianer in den Schooß der christlichen Kirche aufgenommen wurden, und dem fremden Gotte ihre Knie beugten. Ein Bischen älter sind