Die schönsten Märchen von Hans Christian Andersen (Illustrierte Ausgabe). Hans Christian Andersen

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Die schönsten Märchen von Hans Christian Andersen (Illustrierte Ausgabe) - Hans Christian Andersen

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»ich begriff sie«, sagte die kleine Maus, »ich steckte sie in Wasser und hielt sie darin, bis sie erweichte, – sie war noch sehr schwer verdaulich, aber ich habe sie doch endlich aufgenagt! Es ist sehr leicht, sich zum Dichter heranzunagen, es giebt gar Vieles, das man inne haben muß. Nun hatte ich denn die zwei, den Verstand und die Phantasie, und durch diese wußte ich nun, daß das Dritte in der Bibliothek zu finden sei, denn ein großer Mann hat gesagt und geschrieben, daß es Romane giebt, die einzig und allein dazu da sind, um die Menschen von ihrem Ueberflusse an Thränen zu befreien, demnach eine Art Schwämme sind, um die Gefühle aufzusaugen. Ich erinnerte mich an einige dieser Bücher, die immer besonders appetitlich ausgesehen hatten, recht abgelesen und fettig waren; sie müssen einen unendlichen Schwall in sich aufgenommen haben.

      Ich begab mich zurück in die Bibliothek, fraß gleichsam einen ganzen Roman, d. h. das Weiche, das Eigentliche; die Kruste dagegen, den Einband, ließ ich liegen. Als ich ihn verdaut hatte, und noch einen dazu, vernahm ich schon, wie es sich in meinem Innern regte, ich fraß noch ein Stückchen von einem dritten Roman, und alsdann war ich Dichter, das sagte ich mir selbst und sagte es auch den Andern! Ich hatte Kopfschmerzen und Leibschmerzen und – ich weiß nicht, was ich alles für Schmerzen hatte; ich dachte nun darüber nach, welche Geschichten wohl in Beziehung zu einem Wurstspeiler gebracht werden könnten, und gar viele Speiler und Stecken und Stäbe und Hölzchen kamen mir in den Gedanken, die Ameisenkönigin hatte einen außergewöhnlichen Verstand gehabt; ich erinnerte mich des Mannes, der einen weißen Stecken in den Mund nahm, wodurch er sowohl sich wie den Stecken unsichtbar machen konnte; ich dachte an Steckenpferde, an Stabreime, an »den Stab über Einen brechen« und Gott weiß, wie viele Redensarten der Art von Stäben, Stecken und Speilern. Alle meine Gedanken gingen in Speilern, Hölzchen und Stäben auf! und von diesen müsse, wenn man ein Dichter ist, und der bin ich, ich habe mich abgeäschert, daß ich es endlich geworden bin, auch gedichtet werden können. Ich werde somit an jedem Tage der Woche Ihnen mit einem Speiler, einer Historie aufwarten können, – ja, das ist meine Suppe!«

      »Hören wir, was die Dritte zu sagen hat!« befahl der Mausekönig.

      »Pi, pi!« sagte es in der Küchenthüre, und eine kleine Maus, – es war die vierte von den Mäusen, die sich um den Preis bewarben, die, welche die andern schon todt wähnten, schoß herein wie ein Pfeil. Sie rannte den Wurstpfeiler mit dem Trauerflor um und um, sie war Tag und Nacht gelaufen, war auf der Eisenbahn mit dem Güterzuge gefahren, wozu sie die Gelegenheit erspäht hatte, und doch war sie fast zu spät gekommen; sie drängte sich hervor, sah gar zerzaust aus, hatte ihren Wurstspeiler verloren, aber nicht die Sprache, sie nahm sofort das Wort, als wenn man nur ihrer harre, nur sie anhören wolle, als wenn alles Andere in der Welt die Welt nichts anginge; sie sprach sofort, sprach sich aus; sie trat so unerwartet auf, daß Niemand Zeit gewann, sich über sie und über ihre Rede aufzuhalten, während sie redete. Hören wir zu, was sie sprach:

       Inhaltsverzeichnis

       Was die vierte Maus, bevor die dritte gesprochen hatte, zu erzählen wußte.

      »Ich begab mich sogleich nach der größten Stadt,« sagte sie, »der Name ist mir entfallen, ich habe ein schlechtes Gedächtniß für Namen. Von der Eisenbahn kam ich mit confiscirten Gütern aufs Rathhaus und dort angekommen, lief ich in die Wohnung des Schließers. Der Schließer sprach von seinen Gefangenen, namentlich von einem derselben, der unüberlegte Worte gesprochen hatte; von diesen Worten waren wieder und wieder Worte gesprochen, und diese wieder niedergeschrieben und einregistrirt worden; »das Ganze sei Suppe auf einem Wurstspeiler!« sagte der Schließer, »allein die Suppe kann ihm seinen Hals kosten!« Das flößte mir nun Interesse für den Gefangenen ein,« sagte die kleine Maus, »ich benutzte die Gelegenheit und huschte zu ihm hinein; ein Mauseloch findet sich hinter jeder verschlossenen Thür! Der Gefangene sah blaß aus, hatte einen großen Bart und große, funkelnde Augen. Die Lampe flackerte und dampfte, und die Wände waren das so gewohnt, sie wurden deshalb nicht schwärzer. Der Gefangene ritzte Bilder und Verse mit Weiß auf Schwarz, ich las sie nicht. Ich glaube, er hatte Langeweile; ich war ein willkommener Gast. Er lockte mich mit Brotkrümelchen, mit Pfeifen und mit milden Worten, er freute sich meiner sehr, ich faßte allmälig Vertrauen zu ihm, und wir wurden Freunde. Er theilte Brot und Wasser mit mir, gab mir Käse und Wurst, ich lebte flott; allein es war doch, das muß ich sagen, namentlich der gute Umgang, der mich hielt. Er ließ mich auf seiner Hand, auf seinem Arm, ganz in den Aermel hinauf laufen; er ließ mich in seinem Barte umherkriechen, nannte mich seinen kleinen Freund; ich gewann ihn in der That lieb; so etwas ist wohl gegenseitig! Ich vergaß, was ich in der weiten Welt wollte, vergaß meinen Wurstspeiler in einer Ritze im Fußboden; dort liegt er noch. Ich wollte bleiben, wo ich war, ginge ich erst fort, dann hätte ja der arme Gefangene gar Niemand, und das ist zu wenig in dieser Welt! – Ich blieb, er blieb nicht! Er redete recht traurig zu mir das letzte Mal, gab mir doppelt so viel Brot und Käse wie sonst, und warf mir darauf Kußhände zu; er ging und kehrte nicht wieder. Ich kenne seine Geschichte nicht. »Suppe auf einem Wurstspeiler!« sagte der Schließer, und zu diesem ging ich nun hinein; doch ihm hätte ich nicht trauen sollen; er nahm mich zwar auf seine Hand, aber er steckte mich in einen Käfig ein, in eine Tretmühle; das ist entsetzlich! man läuft und läuft und kommt doch nicht weiter, und ist nur zum Gelächter!

      Die Enkelin des Schließers war eine allerliebste Kleine, ein Lockenkopf, wie das schönste Gold, Augen, wie freudig! und einen Mund, wie lächelnd! »Du arme kleine Maus!« sagte sie, guckte in meinen häßlichen Käfig hinein, zog den eisernen Stecken herab – und ich sprang aufs Fensterbrett herab, von dort hinaus auf die Dachrinne. Frei! Frei! nur das allein dachte ich, nicht an das Ziel der Reise!

      Es war finster, die Nacht zog herauf; ich logirte mich in einem alten Thurme ein, dort wohnte ein Wächter und eine Eule; ich traute Keinem von Beiden, am wenigsten der Eule; sie gleicht einer Katze und hat den großen Fehler, daß sie Mäuse frißt; allein man kann sich irren und das that ich; sie war eine respektable, außerordentlich gebildete, alte Eule; sie wußte mehr als der Wächter und eben soviel wie ich; die Eulenkinder machten Aufhebens von allen Dingen; »kocht nur keine Suppe auf einem Wurstspeiler!« sagte die Alte; das waren die härtesten Worte, die sie übers Herz bringen konnte, sie hegte eine zu innige Liebe zu ihrer eigenen Familie. Mir flößte ihr Betragen ein solches Vertrauen ein, daß ich aus der Ritze, wo ich saß, ihr ein »Pi« zurief; dieses Vertrauen gefiel ihr sehr, und sie versicherte mich, daß ich unter ihrem Schutze stehen solle, keinem Thiere sollte es erlaubt sein, mir Böses anzuthun, das wolle sie selbst zum Winter thun, wenn es schmale Bissen setze.

      Sie war in Allem eine kluge Frau; sie bewies mir, daß der Wächter nur mit dem Horn, welches lose an seiner Seite hing, heulen könne; »er bildet sich entsetzlich viel darauf ein, glaubt, er sei eine Eule im Thurme. Groß hinaus will es, aber gar winzig ist es! Suppe auf einem Wurstspeiler!« – Ich bat die Eule, mir das Recept zu der Suppe zu geben, und nun erklärte sie es mir: »Suppe auf einem Wurstspeiler« – sagte sie, »»sei nur eine menschliche Redensart, und sei in verschiedener Weise zu verstehen, ein Jeder glaube, seine Weise sei die richtigste; allein das Ganze sei eigentlich Nichts!««

      »Nichts!« rief ich aus. Das schlug mich. Die Wahrheit ist nicht immer angenehm, aber die Wahrheit geht über Alles! und das sagte auch die alte Eule. Ich dachte nun darüber nach, und sah wohl ein, daß ich, wenn ich das brächte, was über Alles geht, so brächte ich weit mehr als Suppe auf einem Wurstspeiler. Und darauf beeilte ich mich, weiter zu kommen, damit ich noch zu rechter Zeit nach Hause käme und das Höchste und Beste, das, was über Alles geht, – die Wahrheit bringen könnte. Die Mäuse sind ein aufgeklärtes Völkchen und der Mausekönig ist über sie Alle insgesammt. Er ist capable, mich zur Königin zu machen – um der Wahrheit willen!«

      »Deine Wahrheit ist eine Lüge!« sagte die Maus, der das Wort noch nicht gegeben war; »ich kann die Suppe zubereiten, und ich werde sie auch zubereiten.«

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