Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund

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Gesammelte Erzählungen von Klabund - Klabund

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erhob sich.

      »Ich habe noch eine Verabredung in der Bar mit dem Dichter Rainer Josefa Fintenfein. Hier ist meine Karte. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich einmal besuchen würden. Ich bitte Sie darum. Vielleicht kann ich Ihnen (und mir) ein wenig nützen. Guten Abend.«

      Bartholomäus ließ sich von der Kellnerin den Pelz umlegen und verneigte sich leicht.

      Der junge Mann sah ihm nach. Dann sah er auf die Visitenkarte, die Bartholomäus ihm gereicht hatte, schüttelte den Kopf und zündete sich eine neue Virginia an.

      *

      Bartholomäus lebte hinfort nur das Leben des jungen Mannes. Das heißt: er ließ sich sein Leben von dem jungen Mann erleben.

      Er dachte: es wäre hübsch, jene Schauspielerin zu lieben. Und der junge Mann liebte sie.

      Er dachte: es wäre an der Zeit, nach Monte Carlo zu fahren.

      Und der junge Mann fuhr nach Monte Carlo.

      Der Dichter Rainer Josefa Fintenfein schrieb ein Sonett auf den jungen Mann, welcher im Spital von Buenos-Ayres den Sterbenden zwischen den Betten noch einmal das Leben vorgetanzt hatte.

      Der Maler Ramsold Ruck malte ihn als Schiffsjunge mit einem Hintergrund von unerhört wundervollem Blau. Und dieses Blau sollte der südamerikanische Himmel sein.

      Der Schauspieler Kalischer Bohnenblust spielte in seiner Maske den Hannibal in der Komödie »Hannibals Brautfahrt«.

      Bartholomäus hatte alles dies erdacht, und zum erstenmal in seinem Leben wurden alle seine Gedanken zu Taten.

      Er war eins mit sich, weil er eins mit dem jungen Mann war.

      *

      Als der Krieg ausbrach, wurde Bartholomäus von ihm wie von einer Sensation erfaßt.

      Er meldete sich bei den leichten bayerischen Reitern als Kriegsfreiwilliger.

      Aber der schwer Herz- und Lungenkranke wurde als völlig dienstuntauglich bei der Musterung zurückgewiesen.

      Der junge Mann zog an seiner Stelle ins Feld.

      Und er sang ihm am letzten Abend zur Guitarre noch allerlei Lieder: deutsche und spanische und englische, und zum Schluß sang er das alte Soldatenlied:

      »Ich weiß nicht, bin ich reich oder arm

      Oder gehts mit mir zum Verderben?

      Ich weiß nicht, komm ich noch einmal nach Haus

      Oder muß ich vorm Feinde sterben ...«

      Dann gab er ihm die Hand, sagte: »Adiö, Bartholomäus« und ging.

      *

      Als die Nachricht kam, daß er bei Souchez gefallen sei: durch Kopfschuß beim Sturmangriff –, da wußte Bartholomäus, daß er für ihn gestorben sei.

      Er, Bartholomäus, hätte eigentlich so sterben müssen. Ihm war dieser Tod zugedacht.

      Aber da er sein Leben nicht gelebt hatte, so war er auch seinen Tod nicht gestorben.

      Er begriff, daß es keinen Zweck mehr für ihn habe, sich mit dem Dichter Rainer Josefa Fintenfein in der Odeonbar zu verabreden, im Kunstsalon Dietzel ein Bild von Ramsold Ruck zu kaufen und den Schauspieler Kalischer Bohnenblust in seiner neuesten Rolle zu betrachten.

      Er fuhr eines Tages nach Berchtesgaden.

      Touristen begegneten ihm noch auf dem Wege nach dem kleinen Watzmann.

      Dann wurde er nicht mehr gesehen.

      Auch seine Leiche fand man nicht.

      In den »Münchener Neuesten Nachrichten« hieß es, er sei wahrscheinlich in den Schroffen am Königssee abgestürzt.

      Leuchtet Ihre Uhr des Nachts?

       Inhaltsverzeichnis

      Ich schlenderte eines Vormittags durch die Kaufingerstraße, dachte an nichts böses, aber auch an nichts gutes – als mir plötzlich aus dem Schaufenster eines Uhrmacherladens ein gelbes Plakat mit blutroten Buchstaben in die Augen sprang:

      Leuchtet ihre Uhr des Nachts?

      Deutsches Reichspatent! ff. Radium. Erstklassige Qualität. Mit Garantie auf Lebensdauer. Mit Läutwerk. Mit Bellvorrichtung: schlägt an wie ein Hund beim Nahen einer Gefahr (unentbehrlich für Angehörige des Heeres und der Marine). Mit Scherenfernrohr, mit Periskop für Unterseeboote.

      Ich stand wie betäubt. Ein eisiger Schrecken kroch mir vom Rückenmark ins Gehirn. Was nützte es, daß ich rite den philosophischen Doktor an der Universität lllinois U. S. ehrenvoll gegen Erstattung von 320 D. bestanden hatte? Was nützte es, daß ich Antwort auf alle Fragen des Lebens wußte, wie zum Beispiel: warum? weshalb? weswegen? wozu? Was, sage ich, hat das alles für einen Nutzen und Gewinn, wenn ich nicht weiß, ob meine Uhr des Nachts leuchtet? Und das, muß ich gestehen, wußte ich nicht. Aber das gelbe Plakat mit den blutroten Buchstaben zwang mich unerbittlich zur inneren Einkehr.

      Ich fieberte den ganzen Tag. Ich aß nichts. Ich saß stier und verstört im Café Glasl vor einer Schale Nuß und dachte nur den ganzen Tag: Leuchtet meine Uhr des Nachts? … Leuchtet meine Uhr des Nachts? …

      Wenn es doch erst Abend … wenn es doch erst Nacht wäre!

      Eine Dame mit sanften Eidechsenaugen sah immer zu mir herüber.

      Es war die schönste Frau, die es auf der Welt geben konnte. Ich wagte nicht, sie anzusprechen. Ein Kreisel rotierte in meinem gänzlich hohlen Hirn:

      Leuchtet Ihre Uhr des Nachts?. .. Leuchtet Ihre Uhr des Nachts? … Schließlich konnte ich es nicht mehr aushalten: der silberne Schein, der aus den Augen der Dame floß, fiel wie Nebel auf mich.

      Ich stand auf, schwankte an ihren Tisch, und indem ich höflich den Hut zog, sagte ich mit vibrierender Stimme, rasend verliebt und meiner Sinne nicht mehr mächtig:

      »Leuchtet Ihre Uhr des Nachts?«

      Da nahm die Dame eines ihrer sanften blauen Augen aus ihrem Gesicht und warf es mir grollend an den Kopf.

      Es war ein Glasauge.

      Mit einer Beule an der Stirn verließ ich das Café. Der Abend hing die dunklen Netze um Tal und Hügel, um Busch und Baum.

      Die Straße war taghell erleuchtet von tausend elektrischen Äpfeln und Birnen.

      Ich zog meine Uhr – aber es war viel zu hell in den Straßen; wie konnte ich beim aufdringlichen Geflimmer der tausend Lampen sehen, ob meine Uhr leuchte?

      Ich nahm ein Auto und fuhr auf die Theresienwiese. Mutterseelenallein ging ich mitten auf die Wiese und zog bebend meine Uhr.

      Aber siehe, ich

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