Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Erzählungen von Klabund - Klabund страница 18

Автор:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Erzählungen von Klabund - Klabund

Скачать книгу

Inhaltsverzeichnis

      Heut lag es wie Schnee in der Luft.

      Ich dachte, es würde schneien. Die Wolken hingen bis zwischen die Häuser und wehten wie Laken vor den Fenstern.

      Der Rauch aus den Schornsteinen wand sich wie schwarze Papierschlangen im Karneval um die Dächer.

      Schließlich regnete es. Ein langer langsamer Regen.

      Ein Regen, der sich selber zum Mißmut regnen muß.

      Die Lichter der Laternen in der Ludwigstraße stachen wie goldene Bajonette durch den Asphalt und glänzten in der Tiefe. Wenn man heruntersah, glaubte man zu fliegen.

      Ein matter Vogel, mit dem klirrenden Flügelschlag des Abends.

      Zeppeline fuhren als Trambahnen über den Asphalthimmel. In den Augen der Frauen dämmerte der Herbst.

      Heut ist der Tag aller Seelen.

      Heut wollen wir nicht Leib sein. Auch nicht heiliger Leib oder Leib des Herrn. Leib der Frau. Nur Seele. Schneegewölk. Sinkendes Laub. Singender Wind.

      Wie viele Gräber muß ich heute besuchen. Wie viele Gräber will ich suchen, die ich nicht finden werde.

      Im Waldfriedhof, zwischen den Bäumen, liegen die Gräber wie tote Tiere. Da ein Igel. Dort ein Fuchs. Ein Reh. Einige Kaninchen.

      Der Regen fällt wie Tannennadeln von den Bäumen. Ich sitze auf einem Grab. Weil ich müde bin. Müde des Irrens in der Wildnis des Krieges.

      Ich weiß nicht, auf welchem Grab ich sitze.

      Ich habe nicht hinter mich gesehen auf die eiserne oder marmorne Tafel.

      Wer du auch seist: der du hier unter dem Moose liegst: du bist mein Freund.

      Nimm den Schmerz des Lebenden um deinen Tod, um den Tod aller deiner Brüder, nimm ihn in deiner braunen rauschenden Tiefe gern und gnädig an.

      Du ruhst auf dem Grunde des Meeres aller Dinge wie ein schöner Seestern und die silbernen Wogen ziehen über dich hin wie Schwalben.

      Wie sind wir einst im blühenden Licht des Frühlings geschritten, jubelnde Genien.

      Wie jung warst du, mein Freund, ein springender Hirsch. Hamburg war deine Heimat und du warst voll Rauch des Hafens und voll Weite des Meeres. Voll roter Korallen und klingend vom Geläut hanseatischer Türme.

      Wir wohnten in Tegernsee zusammen im Gasthof zum Alpbach, am Eingang des Tales, das nach Schliersee herüberführt.

      Jeden Morgen ließen wir uns im Kahn auf die Höhe des Sees treiben. Dann lagen wir der Länge lang auf dem Rücken im Boot und du sagtest, du könntest selbst am hellsten Tag die Sterne sehen.

      So scharfe Augen hattest du.

      Am Abend liebten wir ein und dasselbe Mädchen. Enzianblaue Augen und rote Haare. Ein Eichhörnchen. »Oachkatzl,« sagte sie immer und lachte. Sie liebte uns beide, aber ich glaube, sie liebte dich mehr als mich. Weil du dem heiligen Franz in ihrem Gebetbuch so ähnlich sahst.

      Was du immer werden wolltest, wurdest du jetzt: Erde. Ewige Erde. Humus wurdest du und deine Kraft wuchs in die Bäume hinein.

      Diese Tanne, die ich umarme und die mir brüderlich die Wangen streift: du bist es. So bist du zugleich über- und unterirdisch.

      Zugleich Tod und Leben.

      Der ich armselig durch die Oktobernacht des Daseins taumle, dunkel und frierend, mit der Ungewißheit des Lebens und der Gewißheit des Sterbens: ich bin weniger als du, mein toter Kamerad, und nur wie eine blaue Blume auf deinem Grabe. Meine Hoffnung ist nur eine Hoffnung des Schmerzes, und mein Glaube nur der Glaube aller Seelen.

      Nachts

       Inhaltsverzeichnis

      Es schlägt ein Uhr.

      Ich ziehe den Vorhang vom Fenster zurück und sehe auf den Hof. Wachsweiß und wie Attrappen stehen die Häuser im Vollmond. Zwischen die Häuser ist mit schwarzer chinesischer Tusche der Himmel gemalt.

      Man ahnt einige Sterne. Aber man sieht sie nicht.

      Wohnen hinter diesen Kulissen aus Pappe Menschen? Das kann nicht sein. Und wenn es schon Menschen sind, so müssen sie auch aus Pappe sein. Aus Bilderbogen ausgeschnitten. Auf der Vorderseite bunt und schmuck und martialisch. Auf der Rückseite nur leeres weißes Papier. Mit dem Namen der Firma, die sie gedruckt hat, in ganz kleinen Lettern.

      Welche Firma ist den Menschen, welche in diesen Häusern wohnen, eingebrannt? Gott? Teufel? Liebe? Geiz? Trunksucht? Mut? Demut?

      Ich höre einen Schritt.

      Der Schritt klingt ganz für sich. Losgelöst von einem Körper. Er tickt durch die Straßen. Wie eine Uhr.

      Der Körper, der zu dem Schritt gehört, weht schattenhaft und durchsichtig drüben an der Hauswand vorbei.

      Gute Nacht, Gespenst!

      Wo kommst du her? Du mußt dich beeilen, wenn du deinen Schritt noch einholen willst. Der ist dir schon weit voraus und läuft dir sonst davon.

      Ein höfliches Gespenst.

      Es grüßt den Mond.

      Ich denke an ein paar Zeilen aus einem Gedicht von Li-tai-pe:

      In der Blütenlaube von Jasmin sitz ich beim Weine.

      Gute Genossen heischt die gute Stunde.

      Da steigt der Mond übern First; verneigt sich mit goldenem Scheine –

      Höflich verneige auch ich mich, und mein Schatten verneigt sich als Dritter im Bunde ...

      Hast du überhaupt einen Schatten, Gespenst?

      Ja, du hast einen Schatten. Du zeigst ihn ängstlich vor, wie eine Legitimation: glaubt mir – ich bin ein Mensch.

      Ja, wir glauben dir. Du bist ein Mensch. Du bist ein ehrenwertes Gespenst. Ein Gespenst mit Schatten. Ein Gespenst, vor dem sich niemand zu fürchten braucht.

      Ich habe aber Grund, anzunehmen, daß du dich fürchtest.

      Wovor? Vor anderen Gespenstern? Vor jenen Gespenstern ohne Schatten? Welche weder in Sonne noch Mond einen Schatten werfen?

      Kamst du aus dem Kriege?

      Kannst du nicht schlafen: weil die Granaten in deinem Kopfe zischen? Die Maschinengewehre trommeln? Wilde Münder Wut, Erbarmen, Schmerz und Jubel brüllen?

      Ich bin so müde, daß mir bald die Augen zufallen und daß ich bald an kein Gespenst mehr glaube. Aber ich muß noch wissen, wer du bist.

      Du

Скачать книгу