Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund

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Gesammelte Erzählungen von Klabund - Klabund

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grinste der Mond auf dem Uhrglas.

      Ich fuhr in die Stadt zurück. Meine Temperatur war auf 45 gestiegen. Ich bestand nur noch aus Schweiß, in dem, wie ein Fettauge in der Bouillon, die Uhr schwamm.

      In der Schwanthalerstraße sah ich ein Schild: »Keller zu vermieten.« Sofort stürzte ich in das Haus und mietete trotz vorgerückter Nachtstunde den Keller zu einem geradezu lächerlichen Preise.

      Ich schloß ihn sorgfältig ab, verstopfte die Fensterlöcher und Türritzen und zog wiederum, auf alles gefaßt, meine Uhr.

      Ich wartete ein, zwei Minuten.

      Ich wartete drei Stunden.

      Sie leuchtete – nicht!

      Tränen traten mir in die Augen. Ich war eine verpfuschte Existenz. Mein Leben war zerstört. Was sollte ich tun: meine Uhr leuchtete nicht …

      Was nützt es, daß ich mich mit Hindenburgseife wasche? Daß ich auf der Matratze »Immer feste druff« schlafe? Daß ich ein Portemonnaie besitze mit dem Eisernen Kreuz ins Leder gepreßt? Daß auf meinem Taschentuche die Schlacht zwischen Metz und den Vogesen abgebildet ist? Daß ich eine Armbinde trage mit der Inschrift. »Gott strafe England?« Daß mein Tintenfaß einen 42 cm-Brummer darstellt? Daß der Federhalter, mit dem ich schreibe, aus Patronenhülsen besteht? Daß ich mich jeden Tag mit dem nach einmaligem Gebrauch unfehlbar wirkenden Entlausungsmittel »Mackensen« entlause?

      Was besagt das alles, wenn ich keine Uhr besitze, die des Nachts leuchtet?

      Weinend wachte ich den Morgen heran.

      Schon um 5 Uhr stand ich vor dem Uhrwarengeschäft in der Kaufingerstraße und wäre beinah von der Straßenreinigung mit betroffen worden.

      Um 7½ wurde endlich das Geschäft geöffnet.

      Ich schlüpfte dem öffnenden Gehilfen noch unter der eisernen Rolljalousie durch und forderte mit einer Stimme, die sich wie ein Harlekin überschlug, eine Uhr mit ff. Radiumleuchtvorrichtung. Marke Kronprinz. Mit Garantie für Lebensdauer, mit Läutwerk, Bellvorrichtung, Scherenfernrohr und Periskop.

      Ich fieberte den ganzen Tag. Ich aß nichts. Ich saß stier und verstört im Café Glasl vor einer Schale Nuß und dachte nur den ganzen Tag: Leuchtet meine Uhr des Nachts? … Leuchtet meine Uhr des Nachts?

      Wenn es doch erst Abend … wenn es doch erst Nacht wäre!

      Und es wurde Abend. Es wurde Nacht. Ich saß in meinem Keller in der Schwanthalerstraße – und meine Uhr leuchtete!

      Sie leuchtete!

      Sie leuchtete die ganze Nacht: kalkweiß und graugrün wie ein magischer Kreis. Immer und immer starrte ich auf den Ring der fahlen Lichter. Der sah so aus:

      ********************

      Und wie ich mich tiefer in das Bild versah, da begriff ich: es war der Himmel, der Sternhimmel, den ich in der Hand hielt. Venus und Wage, Bär und Fisch glänzten in meiner Hand. Ich hatte das Rätsel des Lebens gefunden.

      Übernächtig, aber berauscht von der Erkenntnis der Nacht, stieg ich am Morgen aus meinem Keller empor. Da lag die Welt trübe und blaß wie ein Teller abgestandnes Wasser.

      Es regnete in Strähnen und ein weißer Wind seufzte.

      Die Welt ekelte mich an.

      Ich schlafe keine Nacht mehr. Ich esse und trinke nicht mehr.

      Meine Wangen fallen ein, Meine Augen sind rosa entzündet.

      Ich sitze im Keller und sehe des Nachts meine Uhr leuchten.

      Manchmal ziehe ich sie auf, damit mein Herz nicht stehen bleibt.

      Kleine Wanderung

       Inhaltsverzeichnis

      1.

      Ein rotbärtiger Bezirksfeldwebel erteilt mir höflich einen dreimonatlichen Urlaub. Auf dem Polizeipräsidium stellt man mir einen Paß aus. Ich lasse ihn vom österreichischen Konsul visieren. Der Konsul visiert ihn. Und mich. Er nimmt mich aufs Korn. Man beginnt auf der Stelle militärisch zu denken. Man erinnert sich seiner preußischen Abstammung und steht stramm. Das blaue Auge des Konsuls glänzt milder. Wien lächelt in seinem Blick. Und Budapest. Man rührt sich, ein wenig verlegen, und verneigt sich verbindlich. Der Konsul ist Ungar. Alle österreichischen Konsuln sind Ungarn. Ich denke an den Tag der Kriegserklärung Österreichs an Serbien. Es war in Leipzig. Wir zogen unter Führung eines Bäckergesellen nach dem österreichischen Konsulat. Wie in silberner Rüstung schritt der Bäckergeselle vor uns her, eine improvisierte schwarzgelbe Fahne schwingend. Der Konsul sprach vom Balkon. Oder aus dem Fenster. Er sang mehr als er sprach: viele O- und R-Laute. Es war ein Ungar. Der Bäckergeselle fuhr später, von der Menge bejubelt, in einer Droschke nach Hause. Er mußte noch zum Nachtbacken zurecht kommen.

      2.

      Ich packe meinen Rucksack. Es ist kein richtiger Rucksack: es ist ein kleiner federleichter brauner Tornister, der sich in der Stadt auch als Handkoffer tragen läßt. Es geht viel in ihn hinein. Ich ziehe ein paar starke Schuhe an und nun kann ich fortbleiben, so lange ich will: drei Tage ... oder drei Wochen ... oder drei Monate.

      3.

      Ein paar weiße Wolken sind über den blauen Himmel geklext. Es ist nicht so heiß wie die letzten Tage. Der Frühzug nach Garmisch ist besetzt wie sonst. Wie im Frieden. Tannengrüne Touristen klappern mit beschlagnen Stiefeln durch die Halle. Ältere wohlgekleidete Herren schreiten behutsam mit eleganten Handtaschen. Sie nehmen den Tag bedächtig wie ihre Handtasche zwischen die Finger. Frauen in lockeren Blusen lachen und winken. Es ist wie sonst. Der Zug geht pünktlich ab. Wie sonst. Er fährt keine Viertelminute länger wie sonst. Diese zwei Worte: wie sonst – sind sie nicht auch ein Erfolg deutscher Gewissenhaftigkeit und deutschen Gewissens, und nicht der geringste? Mag unser Sinn bedrängt oder unser Herz erschüttert sein: es ist doch (im Grunde) alles wie sonst. Die Welt. Und die Sonne. Und der Mensch. Auch im Frieden bebt die Erde. Speit der Vesuv Feuer. Verschlingt eine Springflut Galveston. Eisberge treiben auf dem Ozean. Und die Titanic sinkt. Automobile fallen in die Spree und die Seine. Raubmörder schleichen mit tückischen Messern durch verkommene Straßen. Eine Kugel tötet im Kriege. Und im Frieden ein Ziegelstein, ein Blitzstrahl oder ein böses Wort. Vielleicht sind Worte überhaupt viel mächtiger als Taten. Sie machen die Taten erst sichtbar. Was ist der größte Feldherr ohne den Ruhm? Seinen Ruhm schafft das Wort. Und das Wort schafft der Schreiber. Wer wüßte von Achilles, wenn Homer nicht wäre?

      4.

      Wir sind nicht schwächer wie sonst. Und nicht stärker.

      Das Korn steht hoch. Rot blüht der Mohn. Wie Kinder in kleinen Röcken laufen die Birken am Wege. Der Starnberger See schlägt sanfte Wellen. Das Gebirge ist morgendunstig leicht in die Decke des Himmels gestickt. Die Sonne schwingt den goldnen Schild überm Herzogstand. Der See glitzert. Und es steigt ein Tag empor, wie es deren viele gab, und immer geben wird. Es gibt nur eine Sonne. Und sie scheint über Gerechte und Ungerechte: in Polen, in Flandern, in Italien, in New-York. Glaube niemand, er habe die Sonne gepachtet und sie sei engagiert, für ihn zu leuchten. Wir haben alle Platz an der Sonne.

      5.

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