Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund

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Gesammelte Erzählungen von Klabund - Klabund

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Sonst hätte ich den Ärzten die Messer aus der Hand geschlagen.«

      »Wie leichtsinnig«, sagte Sybil, »sind die Ärzte hier oben mit ihren Verordnungen für Bettruhe. Eine winzige Temperaturerhöhung: gleich ins Bett. Das mag bei manchen Temperamenten seine Richtigkeit haben. Bei Phlegmatikern. Bei Melancholikern. Das Bett ist für den täglichen Tod, den Schlaf, da. Wie leicht birgt es den richtigen Tod.« »Mir hat immer der Tod Friedrichs des Großen als Beispiel eines Todes gegolten, wie er sein soll«, meinte Sylvester. »Er starb draußen im Freien, in der Sonne, unter grünen Bäumen im Lehnstuhl sitzend, den letzten Blick einer Schwalbe zugehaucht.«

      »Einer hat einmal den ausgezeichneten Gedanken gehabt,« flüsterte der Bulgare auf seinem Hocker, »die Tuberkuloseheilung auf die Basis der sogenannten Liegekur zu stellen; seitdem müssen alle Lungenkranken in den Lungenkurorten der ganzen Welt den ganzen Tag, ohne sich zu rühren, und ohne größtmögliche individuelle Einschränkung, auf den Liegehallen liegen. Als ich das erstemal nach Ansicht der Ärzte am Rand des Grabes wandelte, ging ich nicht ins Bett, sondern aufs Pferd. Ich ritt jeden Morgen in der Frühe meine zwei, drei Stunden und ritt mich wieder ins Leben zurück. Nichts macht einen so guter Laune wie Reiten. Ich bin von Leysin aus auf den Montblanc geklettert, als man mir den zweiten Tod prophezeite. Trotz meiner rasenden Energie bin ich durch die jahrelange Liegekur erschlafft und ermüdet. Ich brauche dann und wann eine Reaktion, um noch weiter zu können: eine Montblancbesteigung, ein dampfendes Pferd, eine Pfirsichbowle, ein junges Mädchen, einen Poker.«

      »Die Ärzte bedenken nicht,« sagte Sylvester verächtlich, »daß sie das, was sie auf der einen Seite gewinnen, auf der andern Seite wieder verlieren. Einer macht neun Jahre Kur und wird als geheilt entlassen. Seine Lunge ist faktisch geheilt. Gut. Wie aber steht es mit seinen übrigen leiblichen und seelischen Organen? Seine Nerven sind herunter. Seine Energie wie alter Kuchen zerbröselt. Er ist ein wachsweicher Klumpen angefressenen Fleisches. Zu keiner auch der geringsten Arbeit taugt er mehr. Er ist ethisch verlottert. Ein Parasit des Menschentums und zu nichts als seinem Tode noch verwendbar. Aber er stirbt, achtzig Jahre alt, an der › Dementia praecox‹.«

      Der kleine Japaner wiegte den braunen Kokoskopf: »Wir haben oben einen Griechen im Sanatorium. Er liegt schon fünf Jahre im Bett. Griechen haben außer ihm das Sanatorium bisher nicht frequentiert. Wenn sie schon nach Davos kamen, wußten sie wohl von ihrem Landsmann nichts oder dachten nicht an ihn. Da keiner mit ihm griechisch sprach, hat er in den fünf Jahren das Griechische, seine Muttersprache, vergessen. Deutsch hat er aber inzwischen bis auf einige Brocken auch nicht gelernt. So kann er keine Sprache, weder Griechisch noch Deutsch, und schwebt sprachlos in Zeit und Raum. Ich wollte ihm schon Japanisch beibringen.«

      Sybil sah nach der winzigen Schwarzwälderuhr über ihrem Bett.

      »Ihr müßt gehen,« sagte sie freundlich, »ich erwarte den alten Ronken.«

      Sie nahmen ihre Stöcke und gingen.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Weißbart mit dem Rotkehlchenkopf beklopfte Sybil mit seinem eleganten weichen Hammer.

      »Mein liebes gnädiges Fräulein,« zwitscherte er, »wir werden Sie röntgen müssen …«

      »Tut das weh?« lächelte sie erschreckt, »ich habe Angst vor Schmerzen.«

      »Es tut gar nicht weh. Es ist eine kurze, schmerzlose und beinahe unterhaltsame Angelegenheit. Wenn Sie sich so weit fühlen, daß Sie gehen können, kommen Sie zu mir ins Laboratorium. Oder nehmen Sie einen Schlitten.« –

      Sybil nahm einen Schlitten. Aber sie fuhr nicht ins Sanatorium, sondern bei Sylvester vor.

      Sylvester lag grade auf dem Liegestuhl und schluckte Arsenikpillen, als der Kutscher auf die Veranda polterte: »Das gnädige Fräulein Lindquist lassen den Herrn Doktor zu einer Spazierfahrt einladen.« Er warf sich einen Schal um den Hals und fuhr im Lift herunter.

      Eine kleine weiße Hand winkte ihm fröhlich.

      »Sybil,« sagte er, »Sie machen mich glücklich …« »Wenn ich Sie nur glücklich machen könnte«, sagte sie leise.

      Sie sprach diese Worte so gesellschaftlich gleichgültig, daß Sylvester ihre Schwere nicht empfand. Vielleicht auch wollte er sie nicht empfinden.

      Sie glitten durchs Dorf, dem See zu.

      Eben lief aus dem Bahnhof Dorf ein Zug in der Richtung Landquart – Zürich.

      »Möchten Sie«, fragte Sybil, »mit dem Zug zurück in die Ebene … in den Glanz … in das Leben?«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Ohne Sie?«

      Sie schwieg.

      Aus den Nüstern der Pferde schnob silberner Atem.

      »Weshalb suchen Sie meine Freundschaft, Sylvester? Ich bin krank. Und eine Schauspielerin. Eines von beiden schon sollte genügen, Sie zu erschrecken.«

      »Ich bin selber beides. Und noch ein drittes dazu, Sybil. Und also bin ich vielleicht kränker als Sie, Sybil. Ich bin ein Dichter und speie immer Blut.«

      »Und ich weine Blut. Denn ich lebe mit den Augen …«

      »Und ich,« sagte er bitter, »da ich Blut speie, lebe mit dem Mund …«

      Nebel schössen wie Skiläufer von den Bergen.

      Sybil fröstelte.

      »Ich habe schon wieder Fieber. Wir müssen kehrtmachen.«

      Die Sonne schwamm über dem Nebel auf den obersten Bergspitzen, rosa, als lagerten Quallen auf den Gipfeln. Früher ist doch hier überall Meer gewesen, sann Sylvester. Eigentlich wandeln wir auf dem Grund des Meeres. Davos ist Vineta, die verzauberte Stadt. Wir sind längst ertrunken, aber wir wandeln noch, als lebten wir, mit Perlen und goldenen Ketten behängt, über den Meergrund. Der Himmel wallt über uns, und die zarten Seesterne leuchten. Wir greifen mit den Händen in die Luft. Die ballt sich wie Wasser schwer um unsere Glieder. Wir vermögen unsere Hände nicht mehr zu bewegen. Und gehen können wir in der dicken Flut nur langsam, ganz langsam. Kurschritt. Und unsere Augen versuchen, bis zur Oberfläche des Meeres, bis zum Himmel zu dringen. Aber sie sind fast erblindet von dem vielen In-die-Höhe-stieren.

       Inhaltsverzeichnis

      Der naturwissenschaftliche Oberlehrer litt an offener Hauttuberkulose. An seiner linken Hand befand sich eine winzige weißliche Spalte, die hin und wieder eine weiße Flüssigkeit absonderte. Desgleichen hatte er an der linken Wange einen kaum bemerkbaren Einschnitt, der aussah, als rühre er von einem Stich mit einem Federmesser her. Übrigens wußte das niemand von den Herrschaften, die mit ihm zu Tisch saßen. Denn obgleich sie sämtlich an der Krankheit litten, hielten sie doch auf reinliche Scheidung von Haut-und Knochentuberkulose.

      Der naturwissenschaftliche Oberlehrer hatte das sonderbarste Zimmer des ganzen Hauses inne.

      Es kostete nur 6,50 Franken täglich,

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