Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund

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Gesammelte Erzählungen von Klabund - Klabund

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Die Luke, die die Stelle des Fensters vertrat, ging auf einen grauen Korridor hinaus, von dem das Zimmer sein ganzes Licht empfing. Richtig gelüftet konnte das Zimmer nicht werden. Es roch, ja stank infolge der Jod-, Karbol-und anderen Tinkturen, die der naturwissenschaftliche Oberlehrer für seine offene Hauttuberkulose benötigte, pestilenzialisch. Das Zimmer mußte sich auch ohne Zentralheizung behelfen: es wurde von einem durchlaufenden Kamin geheizt. Den Kamin hatte sich der naturwissenschaftliche Oberlehrer mit allerlei Bildern benagelt, die in der Hauptsache dem kleinen Witzblatt entnommen waren. »Ich bin ein Mensch mit liberalen Ansichten«, pflegte er zu sagen und dabei die Backen wie ein Seehund zu blähen.

      Wie die hübsche Russin gerade auf ihn hereinfiel, ist schwer zu begreifen. Es waren doch mehrere angenehme Herren in der Pension »Schönblick« anzutreffen. Der Leutnant. Oder der schwäbische Virtuose Krampski, welcher von seinen Kompositionen behauptete, sie seien gar nicht »reizend«, wie die abgetakelte Operettensängerin zu verbreiten sich erdreistete, sondern fabelhaft, phänomenal, puccinesk.

      Der naturwissenschaftliche Oberlehrer, der stets nach Karbol roch und daheim drei unmündige Kinder und eine blasse sommersprossige Frau zu verwahren hatte, die einem ausgewrungenen Handtuch glich – er hielt das zarte hübsche Mädchen mit behaarten Affenhänden in seinen schweißigen Armen. Floh die kleine Russin vor sich selber zu ihm? Wollte sie sich peinigen, erniedrigen, bespeien? Sich leidend vernichten? Marternd erlösen? Was hatte die Krankheit aus ihr gemacht?

      Eines Nachts trugen Männer auf leisen Filzsohlen die hübsche Russin aus dem Haus. Am nächsten Morgen hieß es am Frühstückstisch, sie sei abgereist. Der naturwissenschaftliche Oberlehrer blieb den ganzen Tag zu Bett.

      Er hätte Temperaturen, ließ er sagen, und bäte, ihm die Mahlzeiten aufs Zimmer zu bringen.

      Aber die Mägde wollten das Essen nicht in seine stinkende Kammer tragen. Die Pneumo selber mußte es tun.

      Der Desinfektor betrat wichtig mit seinem Instrumentenkasten das Zimmer der kleinen Russin, das plötzlich ein Stück leerer unausgefüllter Raum geworden war ohne Form und Inhalt. Wie ein Kinderballon, dem das Gas entströmt ist, lag es in sich zusammengefallen da.

      Man fand einen Zettel auf dem Nachttisch, mit allerlei konfusen russischen Schriftzeichen bedeckt. Die Pneumo warf ihn nach einem kurzen achtlosen Blick beiseite. Auf dem Zettel aber standen diese russischen Verse:

      Wenn der Dichter träumt, weinen die Mädchen, Und im Morgenrot liegt die Blüte ihres Herzens betaut.

      IX

       Inhaltsverzeichnis

      Lieber Harry!

      Dank für Deine freundlichen Zeilen. Ich habe mich in den zwei Monaten, die ich nun wieder hier bin, recht gut eingelebt. Mißverstehe mich nicht: leben, das heißt hier: einer Protestversammlung Sterbender gegen den Tod angehören. Reden wie feurige Fahnen gegen einen Herrn schwingen, der unerkannt am Präsidententisch sitzt, und jederzeit die Glocke läuten kann. Dann ist einem im Nu das Wort (und der Hals wie mit einem Rasiermesser) abgeschnitten. Es sind Spiegel um einen aufgestellt. Man darf sich nur bespiegeln. In dem edlen Bulgaren. In der mütterlichen Pneumo. Dem taumelnden Thorax. Es gibt einen Spiegel, der heißt Klunkenbul. Dann sind noch vorhanden der Literat Pein, die Operettensängerin, der kleine Japaner, der Virtuose Krampski, der Leutnant. Einer taugt selbst zum Spiegel nicht: der naturwissenschaftliche Oberlehrer. In einer hübschen Russin bespiegelt man sich gern. Schließlich resigniert man, aus Furcht, den Spiegel blind zu machen. Da kommt der naturwissenschaftliche Oberlehrer und schmeißt mit tellergroßen Steinen in den Spiegel. Der zerbricht klirrend, klagend, anklagend. Aus einem der Scherben, die drei-und viereckig herausspringen, verfertigt der Oberlehrer sich einen Rasierspiegel und rasiert sich nun sein Leben lang vor diesem zarten Auge der Unendlichkeit seinen naturwissenschaftlichen Backenbart. Sybil ist kein Spiegel. Sie ist ein See. Selbst unser Schatten versinkt bei einem Blick in sie sofort in die Tiefe. Seit wieviel Jahren schon spiele ich das Spiel der Spiegel? Es sind sieben Jahre her, daß ich an beiderseitiger Rippenfellentzündung erkrankte und im Krankenhaus in Frankfurt an der Oder lag. Ich ging, ein Knabe von sechzehn Jahren, zur Rekonvaleszenz nach Locarno. Ich schlug zum erstenmal die Augen zum Himmel empor und sah die Madonna del Sasso auf dem Felsen schweben und San Bernardo über die Sonnenhügel schreiten. Auf Locarno folgten Borkum, Brückenberg, Gardone-Riviera, Arco, Swinemünde, Reichenhall, Arosa, Lugano, Davos, Wehrawald und wieder Davos. Überall lebte ich meiner Gesundheit, wie es so hübsch heißt. Aber lebte ich nicht meiner Krankheit? Ich erinnere mich eines Sanatoriums im Schwarzwald, da war unser Krankenpfleger und Masseur zugleich Totengräber des kleinen Dorfes. Man sah von den Liegehallen auf den Kirchhof. Ein freundliches Symbol. Bei mir verdichtet es sich noch: Kranker, Krankenpfleger und Totengräber bin ich in einer Person. – Sybil wird hier im Kurtheater auftreten. Ich habe es ihr nicht ausreden können. Sie spielt die Frau im »Weib«. Der Literat Pein den Mann. Ich … den Bruder. Wann ich wieder in München sein werde? Anfang Mai, falls Sybils Zustand sich nicht verschlimmert. Ich fürchte … für mich. Grüße die Freunde.

      Dein

       Sylvester.

       Inhaltsverzeichnis

      Sybil lag auf ihrem Balkon und der ausgestopfte Papagei stand auf einem kleinen Tisch neben ihr. Sie lutschte an Kognakbohnen und warf dem toten Vogel hin und wieder eine zu.

      »Friß, Vogel, oder werde lebendig!«

      Sie blätterte in dem Rollenbuch des Schauspiels »Weib« und studierte ihre Rolle als Frau. Das Schauspiel ließ nur drei Figuren agieren: die Frau, den Mann, den Bruder. Es war erdacht und wie man zugestehen muß theatralisch sehr geschickt verfertigt von dem Tiroler Dichter Korbinian Zirl, demselben, dem jenes bemerkenswerte Festspiel »Andreas Hofer« zugeschrieben wird, das im Jubeljahre 1913 die Herzen der Deutschen und Österreicher höher schlagen ließ. Im »Andreas Hofer« wie im »Weib« handelte es sich um eine äußerst lebendige Dialektik und um einen rasch bewegten Dialog, dort patriotisch, hier erotisch bezweckt. Das Schauspiel »Weib« war von sämtlichen bedeutenden Bühnen Deutschlands angenommen: in der bestimmten Erwartung eines klingenden Kassenerfolges. Im »Deutschen Theater« in Berlin verdiente sich der berühmte böhmische Komiker Zawadil Schnallenbaum als Mann die tragischen Sporen. Aber fast überall im Reich wurde das Stück aus Gründen der Sittlichkeit verboten. Katholische und protestantische Pfarrerverbände, Jünglingsvereine und Vereine zum Schutz alleinreisender junger Mädchen erließen langatmige Proteste gegen das »Weib«. Selbst ein Rabbiner gab seiner Entrüstung in den Zionistischen Blättern Ausdruck. Der bekannte Zentrumsabgeordnete Dr. Aborterer sah in dem Schauspiel »Weib« eine schamlose Aufreizung zur Blutschande.

      Sybil war von der Rolle der Frau entzückt.

      Vielleicht meine letzte Rolle, dachte sie und warf dem toten Papagei wieder eine Kognakbohne zu. Wer wird nach mir das Weib spielen?

      Sie hatte die Rolle im Deutschen Theater in Berlin bei der Premiere dargestellt und rauschenden Beifall geerntet. Korbinian Zirl hatte ihr einen Lorbeerkranz mit einer himmelblauen Atlasschleife geschickt, darauf waren diese Worte in Gold gestickt:

      Der dankbare Dichter seinem Weib.

      Er hatte ihr auch persönlich die Hand gedrückt und sie in seinem treuherzigen Dialekt seiner Verbundenheit versichert:

      »Grad himmlisch is g’w’en, Fräul’n …. I hab

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