Heimatkinder Staffel 3 – Heimatroman. Kathrin Singer
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»Ja, warum wohl?« Er musterte Zenza misstrauisch. »Hast du vielleicht doch deinen Schnabel nicht gehalten und mit ihm geratscht, als ihr so lange in der Kammer wart?«
Plötzlich sprang der Wurzinger auf und packte grob Zenzas Schultern. »Natürlich hast du mich verraten. Du hast von Uli geredet, sonst hätt’ dieser Korbinian nicht nach dem Toten graben können.«
»Um aller Heiligen willen«, Zenza stöhnte, »hat er das getan?«
»Ja, aber er kann nicht mehr darüber reden, was er gefunden hat …«
Zenza flüchtete an die Tür. Dort blieb sie stehen und stammelte: »Jessas Maria, du wirst doch nicht auch ihn …« Sie konnte nicht weiterreden, so verwirrt und verängstigt war sie.
»Lass das meine Sach’ sein und verschwind«, schrie sie der Wurzinger an. »Der Bub bleibt heute oben in der Kammer, und dich will ich auch nicht mehr sehen.«
»Ich geh’ ja schon, ich geh’ ja schon«, stotterte Zenza – und draußen war sie, heilfroh, dass keine Gäste in der Hütte waren. Von diesem Schreck, da war sie ganz sicher, würde sie sich nie wieder erholen. Wenn der Wurzinger auch den zweiten Stettnersohn aus der Welt geschafft hatte, dann war sie daran schuld. Sie hätte ihm nichts von Ulis Tod erzählen sollen, schon gar nicht, wo er begraben worden war.
Sie atmete auf, als der Wurzinger das Haus verließ und nur laut schrie: »Ich geh’ zur Nani.«
*
Es war später Nachmittag, als der Wurzinger zurückkam. Inzwischen hatten sich noch drei Gäste eingefunden, die über Nacht bleiben wollten. Zenza bediente sie, während Stepherl wieder in der Kammer hocken musste.
Plötzlich fragte einer der Gäste, der gerade vor der Hütte gewesen war: »Was graben denn die Polizisten bei der Fichte dort drüben?«
Der Wurzinger zuckte zusammen, als habe ihn ein elektrischer Schlag getroffen. »Wer …, was …, wer gräbt?«, stotterte er und rannte hinaus.
Da kamen ihm die Polizisten schon entgegen. »Sie sind doch der Wurzinger-Rupert, ich kenn’ Sie«, sagte einer von ihnen.
»Ja und?«, wurde er mit gespielter Ruhe gefragt, obgleich dem Wurzinger die Schweißperlen auf der Stirn standen.
In diesem Augenblick wurde er schon in den Polizeigriff genommen, und Handschellen klickten um seine Gelenke.
»Sie sind verhaftet und kommen gleich mit uns. Wir haben den toten Uli Stettner gefunden. Sie sind des Mordes an ihm verdächtigt.«
»Was reden Sie da für dummes Zeug?«, fragte der Verhaftete. »Ich werd’ mich über euch beschweren. So unseren Frieden hier oben zu stören. Wichtigtuer seid ihr, die einen Unschuldigen festnehmen.«
In diesem Augenblick stürzte Zenza auf die Männer zu. Ihre Stimme überschlug sich, als sie schrie: »Ja, nehmt ihn mit, den Teufelsbraten, den Mörder. Ich weiß, dass er den Uli erschlagen hat. Und dem anderen hat er auch den Garaus gemacht.«
»Es ist gut, Zenza.« Einer der Polizisten sah sie mitleidig an. »Schließ die Hütte ab. Wenn ihr Gäste habt, werden sie weitergehen müssen. Du kommst mit aufs Revier, aber bring den Buben zuerst heraus.«
»Was soll ich auf dem Revier?« In Zenzas Augen flackerte Angst.
»Wir brauchen dich als Zeugin gegen den da.« Die Polizisten sahen sie mitfühlend an. Dass sie als Mitwisserin, die so lange geschwiegen hatte, bestraft werden würde, hielten sie nicht für möglich. Diese wunderliche alte Frau war dem Wurzinger ausgeliefert gewesen.
Sie rannte jetzt schon in die Hütte. Die Gäste brauchte sie nicht wegzuschicken, die hatten ihre Rucksäcke schon geschultert, als sie gemerkt hatten, was sich hier abspielte. Mit Stepherl kam sie wenig später ins Freie zurück. »Kümmert euch um den Buben«, sagte sie, »mich geht er auch nichts mehr an.«
Stepherl wirkte vollkommen verschüchtert. Die Tränen liefen ihm über die Wangen, als er fragte: »Wo ist Onkel Korbi? Er wollte mich doch zu meiner Mama bringen, zur Franzi.«
Einer der beiden Polizisten hob ihn hoch und setzte ihn auf die Schultern. »Da, halt dich gut fest, damit du nicht herunterfällst. Wir bringen dich schon zu der Franzi und zu deinem Onkel Korbi.«
»Was, der lebt?«, schrie der Wurzinger, und sein Gesicht lief vor Zorn krebsrot an.
»Ja, der zweite Mordversuch ist danebengegangen.« Der Polizist stieß ihn vorwärts. Nun blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als den Marsch hinunter ins Tal mit anzutreten. Dabei war ihm aber anzusehen, dass er der alten Zenza am liebsten auch etwas angetan hätte. Er war jetzt sicher, dass sie die Verräterin war.
*
Es war später Abend, als Franzi und Korbinian noch immer darauf warteten, dass ihnen Stepherl gebracht wurde. Endlich hörten sie Schritte vor der Haustür. Josef Feistauer, der auch sehr mitgenommen wirkte, öffnete. Dann hörte man ihn schon rufen: »Stepherl, Bub, dass du nur wieder da bist.«
Franzi und Korbinian liefen hinaus, sie nahmen dem Polizisten den Jungen ab und trugen ihn in die Wohnstube. Der Polizist folgte ihnen.
»Der Bub muss todmüde sein«, sagte er. »Auf dem Revier ist er schon eingeschlafen. Wir mussten diesen Umweg mit ihm machen, weil wir erst den Wurzinger abliefern mussten. Durchgefroren wird er auch sein.«
»Vater«, rief Franzi, »sei so nett und stell Wasser auf den Herd. Stepherl muss gleich in die Wanne, damit er sich aufwärmt. Mein Gott, wie sieht er aus, was haben sie mit ihm gemacht?« Die Tränen standen ihr in den Augen, als sie Stepherl an sich drückte. »Jetzt musst du nie wieder von uns weg«, redete sie immer auf den Jungen ein und wiegte ihn in ihren Armen. »Du gehörst jetzt wieder zu uns, wir werden dafür sorgen, dass du die schrecklichen Wochen dort oben vergessen kannst.«
Der Polizist nickte zustimmend. »Da droben muss die Hölle für den Bub gewesen sein. Es hat sich niemand richtig um ihn gekümmert, nicht einmal zu essen bekam er regelmäßig, wie uns die alte Zenza inzwischen gestanden hat. Aber daran soll auch dieser Leuteschinder von Wurzinger schuld gewesen sein.« Die Stimme des Polizisten klang grimmig, seine ganze Verachtung für den Gefangenen war daraus zu hören.
»Nun, der alte Wurzinger wird nie mehr sein Unwesen treiben können, der bekommt gewiss lebenslänglich. Er wurde schon in die Kreisstadt ins Untersuchungsgefängnis gebracht. Zwei Kollegen sind unterwegs, um seine Tochter auch dorthin zu bringen. Er hat sie bei der ersten Vernehmung nicht geschont und zugegeben, dass sie von dem Mord an Uli gewusst hat. Die alte Zenza haben wir in einem Gasthof untergebracht. Wenn sie gnädige Richter findet, kommt sie sicher in ein Altersheim, denn ihr Geist ist so verwirrt, dass man bei ihr andere Maßstäbe ansetzen muss.«
»Und der Wurzinger hat wirklich alles gestanden?«, fragte Korbinian.
»Ja, nachdem er einsehen musste, dass ihm das Leugnen nichts mehr hilft – Korbinian, nun musst du dafür sorgen, dass dein Bruder ein ordentliches Grab bekommt. Morgen wird er heruntergeholt.«
»Ja, das werd’ ich tun.« Nachdem Korbinian das gesagt hatte, versank er in Schweigen. Alles zog noch einmal an ihm vorüber, was er im vergangenen Jahr hatte erleben müssen. Ohne Gram dachte er an seinen Bruder. Er hatte seinen Leichtsinn schließlich mit dem Leben bezahlen müssen.
Korbinian