Heimathafen Hellas. Andreas Deffner

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Heimathafen Hellas - Andreas Deffner

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Firmen Karelia und Co. vermochte einen besonders dichten Qualm zu erzeugen. Zwar war der Aufenthalt in dieser Räucherhöhle für einen Nichtraucher aufgrund des Brennens in der Lunge nicht ganz optimal, dennoch faszinierte mich das Ambiente und ich holte mir an der langen Selbstbedienungstheke eine Tirópita und einen Frappé. Ich hatte im Vorjahr diese Kombination aus mit Feta gefüllten Blätterteigtaschen und dem herrlich frischen Eiskaffee liebgewonnen. Ich setzte mich mit meinem kleinen Mittagessen an einen der letzten freien Tische und beobachtete die rauchgeschwängerte Szenerie, als sich ein etwa 50-jähriger Grieche an meinen Tisch gesellte. Er sah mir offenbar an, dass ich Ausländer war und sprach mich daher auf Englisch an: »Wohin geht denn die Reise? Wo kommst du her? Wie war das Wetter bei euch dort oben? Zahlen sie gute Löhne in Europa? Schmeckt der Frappé? Kennst du dich mit Gartenarbeit aus? Von welchem Fußballverein bist du Fan?« Ein Fragengewitter ging auf mich nieder. Der Grieche war scheinbar in Frage- und Erzähllaune. Er sei ungelernter Arbeiter, schaffe als Gärtner und Hausmeister in den noblen Athener Vororten und nun sei er auf dem Weg in sein Heimatdorf. Das alles und seine vermutlich fast vollständige Lebensgeschichte erfuhr ich, zwischen Tirópita und Frappé, innerhalb weniger Minuten, dann musste er los. Ich könne aber ruhig nochmal zur Toilette gehen, wenn ich müsse. Er würde dann auf meine Tasche aufpassen. Als misstrauischer Nordeuropäer würde man dieses Angebot aus Sicherheitsgründen natürlich ablehnen, ich fühlte mich jedoch dem Gärtner, meinem neuen griechischen Freund, in der Pflicht, der kurz zuvor ebenfalls im Keller bei den WCs gewesen war, während ich ein Auge auf sein Gepäck geworfen hatte. Im Übrigen konnte mir an diesem Tag eh nichts Schlimmes mehr passieren und Kostas war mir sympathisch. Ich eilte also zum Klo. In meinem Magen machte sich nun dennoch ein mulmiges Gefühl breit. Geld, Ausweis und Bustickets hatte ich zwar in der Hosentasche, aber was, wenn Kostas gar kein Gärtner, sondern ein fixer Taschendieb wäre? Ich beeilte mich, in dem schlecht gekachelten und nach altem Urin miefenden Raum fertig zu werden. Flink wusch ich mir noch die Hände – Seife gab es keine, Papierhandtücher oder ähnliches ebenfalls nicht – und wollte mit nassen Händen gerade wieder die Treppe hinauf sprinten, als mir eine dicke Klofrau fröhlich lächelnd einige Blätter abgewickeltes Toilettenpapier in die Hände drückte. Offenbar war dies der übliche Handtuchersatz, denn die gute Frau hatte an ihrem kleinen Tisch gleich mehrere Stapel des grauen Zellstoffes für die handfeuchten Gäste vorbereitet. Von der Freundlichkeit beeindruckt, kramte ich einen 100-Drachmen-Schein hervor, legte ihn der Frau auf ihr Tellerchen und hätte dabei fast vergessen, dass ich mein Reisegepäck nach wie vor einem Fremden anvertraute. Gehetzt erreichte ich wieder das Tischchen, an dem Kostas weiterhin in aller Seelenruhe an seinem griechischen Kaffee nippte. »Schön dich kennengelernt zu haben, aber ich muss mich jetzt leider verabschieden. Mein Bus fährt in drei Minuten ab«, sagte Kostas und verschwand. Mit ihm mein Misstrauen. Natürlich hatte er nichts gestohlen, natürlich nicht einmal daran gedacht.

      Eine gute halbe Stunde vor der planmäßigen Abfahrt meines Busses machte ich mich auf, den richtigen Abfahrtsplatz zu finden. Es wimmelte nur so von Bussen, die Athen in alle Himmelsrichtungen verließen. Menschen und Taxis drängten umher. Ein uralter Greis mit einer großen Sackkarre bot sich gegen Bezahlung an, die schweren Koffer der Reisenden zu den Bussen zu transportieren. Ich verzichtete auf seine Dienste und kaufte mir stattdessen Wasser. Noch im Kafeneíon des Busbahnhofgebäudes hatte ich beobachtet, dass offenbar jeder griechische Busreisende mindestens eine 0,5 Liter Plastikflasche mit kaltem, stillem Mineralwasser kaufte, bevor er die Busreise antrat. Ich tat es ihnen gleich. Fast so zielsicher wie ein Einheimischer überquerte ich den großen, offenen Busabfahrtsplatz, der sich unter Wellblechdächern an das Busbahnhofgebäude anschloss. Am allerletzten Haltepunkt, direkt an der Ausfahrt, fand ich genau dort, wo Gärtner Kostas es mir erklärt hatte, das Schild mit dem Hinweis auf die Abfahrt nach Náfplion. Ein alter Mercedes-Benz Bus mit ansehnlichen Chromstoßstangen und -außenspiegeln stand bereits abfahrtbereit daneben. Ein grauhaariger, älterer Herr, tadellos gekleidet, mit Anzughose, weit offenem gestärkten Hemd und Goldkettchen, saß unter dem Haltestellenschild. Vor ihm stapelten sich schätzungsweise fünfzig kleine Pakete und Päckchen; alle gut verschnürt. Ich sah mich um und begriff, dass man hier auch sein Gepäck verschicken konnte, ohne dass man selbst mitfahren musste. Ein geschickter, halbvollständiger Kurierdienst. Der ältere Mann, der scheinbar die Aufgabe eines Paketaufsehers hatte, fragte mich urplötzlich, wohin ich wolle. Als ich ihm mein Ziel nannte, antwortete er: »Setz dich! Wir rufen, wenn es los geht.« Und so hockte ich mich neben ihn auf die schmale Holzbank. Leute kamen, brachten und holten Pakete. Ich bestaunte das muntere Treiben. Eine alte Frau trug hektisch einen kleinen Umschlag heran und redete auf den Paketwart ein. Griechisch, ich verstand kein Wort. Als die Alte sichtlich beruhigt von dannen zog, erklärte mir der Paketwärter, der meinen fragenden Blick gesehen hatte, in gebrochenem Englisch, dass die Tochter der Frau übers Wochenende ans Meer gefahren sei, aber den Schlüssel für das Wochenendhaus vergessen hätte. Er lächelte und sagte: »Jetzt bringt ihn eben die KTEL.« Sie waren stolz auf ihr beliebtes Busunternehmen.

      Irgendwann erschien unser Busfahrer und setzte sich mürrischen Blickes hinter das Steuer. Goldene Kreuze baumelten vom Rückspiegel, auf den Ablageflächen standen kleine Miniaturaltare, Heiligenbildchen und Ikonen. Während ich noch, vor so viel Gläubigkeit überrascht, zum Fahrer blickte, erschien kurz darauf ein Gehilfe und öffnete die Kofferraumklappen auf beiden Seiten des Busses. Ein dritter Mann tauchte auf und rief laut: »Náfplio!« Die zahlreichen wartenden Passagiere brachten ihm ihre Taschen, die er eilig in der rechten Seite des Ladefachs verstaute. Ich reihte mich ein und als ich dran war, stockte plötzlich die Verladefreude des KTEL-Mannes. »Argos?«, fragte er mich irritiert. »Náfplio«, sagte ich. Daraufhin bedeutete er mir, dass ich meine Tasche auf der linken Seite einladen lassen müsste. Ordnung muss eben sein! Linksseitig des Busses erwartete mich und einige andere Touristen ein weiterer KTEL-Mann, der die Taschen nach Náfplion verstaute. Dann konnte es endlich losgehen. Beim Einstieg in den Reisebus forderte mich jetzt noch ein Fahrkartenkontrolleur auf, das Ticket vorzuzeigen. Er riss eine Hälfte ab, dann durfte ich im grün-beigefarbenen Gefährt mit den roten Plüschsitzen Platz nehmen. Inzwischen hatte ich natürlich vergessen, dass es zugewiesene Sitzplätze gab. Dies fiel erst auf, als sich der Bus bis fast auf den letzten Platz gefüllt hatte und eine große schwere Frau mit Plastiktüten in den Händen meinen Sitzplatz für sich beanspruchte. Die Frau, von einem langen Einkaufstag gezeichnet, wollte einfach nur noch sitzen und konnte es gar nicht verstehen, dass so ein Jungspund ihren Platz okkupierte. Eine gepflegte Konversation wollte so selbstverständlich nicht entstehen und so begann ein wuseliger Tumult. Denn natürlich war mein mir per Ticket zugewiesener Sitzplatz inzwischen ebenfalls anderweitig besetzt. Der darauf sitzende junge Mann wiederrum fand den seinigen ebenfalls belegt, genauso wie der dort Sitzende seinen und so weiter … Ein Tohuwabohu an dessen Ende scheinbar alle Insassen, bis auf die Frau mit den Tüten, auf einem anderen Polster saßen. Ein weiterer KTEL-Mitarbeiter stieg nun zu und gab das Signal zur Abfahrt: »Φύγε!« (Fíge! – Gehe!) Mit einigen Minuten Verspätung und noch offen stehender vorderer Einstiegstür fuhren wir, nachdem sich der Fahrer vor einem seiner Heiligenbilder dreimal bekreuzigt hatte, schließlich ab, und nach nur wenigen Minuten steckte der Bus auf der stadtauswärts führenden Straße in Richtung Korinth in einem hupenden und abgasgeschwängerten Stau. Es war heiß und stickig. Eine Klimaanlage hatte der alte Reisebus deutscher Bauart nicht. Dafür ließen sich die kleinen Schiebefenster öffnen und heißer Fahrt-, aber meistens staubedingter Standwind, sorgte für eine winzige Erfrischung. Als wir nach über dreistündiger Fahrt endlich im 120 Kilometer entfernten Argos ankamen, wurde mir klar, warum das Reisegepäck links und rechts getrennt im Bus untergebracht wurde. Die enge Straße vor dem Busbahnhof in Argos war gerade einmal breit genug, damit die Ladeluke an der rechten Seite zum Bürgersteig hin geöffnet werden konnte. Jetzt musste alles schnell gehen, denn der Gegenverkehr kam nicht am Bus vorbei. Gehetzt sprangen diejenigen, die ihr Reiseziel erreicht hatten, raus, dann ging es auch schon weiter. Kurz darauf erreichten wir Náfplion, die Endhaltestelle. Dort war der Bus nach Toló leicht zu finden, doch ich musste eine weitere halbe Stunde auf seine Abfahrt warten. Doch schließlich gelang mir auch das und am späten Nachmittag stieg ich auf der Sekeri-Straße gegenüber der alten Bäckerei aus. Ich war endlich wieder in Toló. Die letzten Meter die Straße hinab bis zur Taverne von Perikles waren nur noch ein Katzensprung und die Begrüßung dort euphorisch. An diesem Abend schlief ich früh und tief und fest.

      

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