Mutter aller Schweine. Malu Halasa

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Mutter aller Schweine - Malu Halasa

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feilschen lautstark. »Jetzt entscheiden Sie sich mal«, poltert der größere und wesentlich ältere der beiden, ein Mann mit Halbglatze und Höckernase. Seine Schultern hängen herab wie Flügel, und er schlägt aufgeregt mit den Armen. Dünn, drahtig, streitlustig – eher Aasfresser denn Singvogel – hüpft er in kaum unterdrückter Erregung auf und ab. Der Blutdruck erhöht, die Klauen ausgefahren, macht er sich zum entscheidenden Hieb bereit. Er schwingt sich auf – und lässt sich wieder zu Boden trudeln, weil er genau merkt, dass er beobachtet wird. Der Hase muss nicht wissen, wann der Falke zuschlägt, denkt Abu Satar und scheucht seinen Fang hinein ins Schnäppchen-Emporium. Sein Nest muss fortwährend mit frischer Beute versorgt werden. Nicht umsonst trägt er den Spitznamen Ar-Risch Aschanah, der Fledderer.

      Nachdem das Geschäft abgewickelt, der Fahrer abgefertigt und die kostbare Ladung Kisten (im Grunde Plunder, Elektroteile und getragene T-Shirts der US-Armee) in einen Lagerraum geschafft ist, ärgert sich Abu Satar, dass er sich immer so aufregt. Andere Männer in seinem Alter entspannen bei Backgammon oder Kreuzworträtseln. Er unternimmt häufig Streifzüge durch die Schluchten seines Imperiums, wie jetzt gerade, nur mit Staubwedel und Mikrofasertuch bewaffnet, eine kurze Erholung von den stumpferen Freuden des Lebens. Diese Expeditionen erinnern ihn auch schlicht daran, dass seine kostbarsten Besitztümer, viele davon vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen, einen Wert jenseits von Geld haben.

      Die Lagen über Lagen von Küchenutensilien, die importierten Lebensmittel (hauptsächlich aus Asien), Sport-, Freizeit- und Konfektionskleidung – für Herren, Damen, Kinder, Babys und Neugeborene –, absurd hohe Stöckelschuhe und fußbett-marternde Turnschuhe, Deko für sämtliche Feiertage, egal ob islamisch (schiitisch, sunnitisch, drusisch, alawitisch und ismailitisch), christlich (syrisch-christlich und syrisch-katholisch, griechisch-orthodox, armenisch, maronitisch und phalangistisch) oder heidnisch (jesidisch, zoroastrisch, druidisch) sowie alle großen Namen dazwischen (von Buddha bis Bhagwan); synkopische Türklingeln, chinesische Scherenschnitte, Hotel-Hosenbügelmaschinen, analoge Telefone, elektrische Schuhputzautomaten und Designer-Nagellacke: zusammen mit tausend anderen erstaunlichen Produkten und Gerätschaften weitaus mehr als ein Sammelsurium unzusammenhängender Artefakte. Würde ein Passant durchs Fenster blicken, man sähe es ihm nach, wenn er das Schnäppchen-Emporium für eine postmoderne Verirrung der Art brut hielte. Gegenüber Erstkunden betont Abu Satar gerne, dass nur er allein einen Artikel aus dem Berg von Waren ziehen könne, denn es bestehe akute Lawinengefahr.

      Früher betrachtete Abu Satar das Emporium als ein Denkmal seines Daseins auf der Erde; eines Tages, wenn die Zeit für ihn gekommen wäre, würde es aufgelöst, auf eine Deponie geschafft und vergessen werden. Doch dank Umm al-Chanasir, der Mutter aller Schweine, hat er die feineren Aspekte seines Geschäftes zu schätzen gelernt. Heute betrachtet er das Schnäppchen-Emporium als ein unvollendetes Projekt, bei dem es gar nicht unbedingt um ihn selbst geht, sondern das organisch gewachsen ist und einem universellen Zweck dient. Während er Regale abstaubt, debattiert der Fledderer aufgebracht mit seinen imaginären Kritikern. Falls ihn jemand fragen sollte, er würde darauf pochen, dass es ihm um Fortschritt im weiteren Sinne geht. Niemand sonst in der Stadt hat sich so sehr in den Dienst des Gemeinwohls gestellt, selbst wenn das bedeutet, ein abergläubisches Völkchen in die Gegenwart zu schubsen. Ob er nun richtig oder falsch, politisch korrekt oder zutiefst beleidigend handelt, er ist und bleibt ein APW – ein Agent des Progressiven Wandels –, Buchstaben, die auf dem Neonschild an der Emporiumsfassade hinter seinem Namen stehen sollten wie ein Abschluss der Universität des Lebens.

      Das heißt, wenn er sich nicht gerade von Nostalgie verführen, überfallen oder gleich ganz niederstrecken lässt. Nicht zufällig landet er bei seiner Inventurrunde durch die verschlungenen Gänge an einem sehr privaten Ort. Er nimmt den winzigen Schlüssel, den er immer und ausnahmslos in der Hosentasche trägt, und öffnet eine gesicherte Glasvitrine voller Schmuck, sein mit gutem Grund so genanntes »Diebesnest«. Seit dem Krieg in Syrien rennen ihm schöne Flüchtlingsfrauen die Türen ein, weil sie unbedingt ihr Gold verkaufen wollen. Doch der Ankauf dieser Stücke beschert Abu Satar nicht mehr die Gefühlsschauer von einst. Seine aktuelle Geschäftsunternehmung mit seinem Neffen zehrt so ziemlich all sein Wollen und Begehren auf. Da wird ihm klar, nicht ohne einen Hauch bittersüßen Bedauerns, dass er gar kein Verlangen mehr verspürt, sich mit pflanzlichem Viagra aufzuputschen.

      Trotz seines offenkundigen Desinteresses zeigen sich die Frauen in ihrer Verzweiflung doppelt hartnäckig, ihm ihren Schmuck zu verkaufen, und so hat er ein paar recht beachtliche Stücke zu Spottpreisen erstanden. Sein Blick gleitet über das stattliche Vermögen im Diebesnest, diese Flut von Armbändern, Broschen, Halsketten, Hutnadeln, Kamel-Manschettenknöpfen, einzelnen antiken Perlen und einer schönen Auswahl an filigranem Silber und Gold. Er mustert den Haufen Glitzerkram, und doch entzieht sich ihm, was er so verzweifelt sucht. Grob reißt er die Lupe hoch, die er an einer Kette um den Hals trägt, und schielt gereizt hindurch. Sein rastloser Zeigefinger stochert in dem geheimen Schatz herum und schnipst ungeduldig eine einzelne Visitenkarte beiseite, falls sich darunter weitere Schmuckstücke verstecken sollten.

      Als er endlich die kaputten, angelaufenen Ohrringe mit Schnörkelmuster ausgräbt, fühlt er sich fiebrig. Er drapiert ein klobiges Goldhalsband mit rosaroten Rubinen als Schutz und Tarnung über die beiden einfachen Metallplättchen, die überirdisch leuchten, wie jenes schlanke palästinensische Flüchtlingsmädchen in Abu Satars vager Erinnerung. Sie hatte ihm den billigen Schmuck verkaufen dürfen, und für den Gefallen hatte er ihr einen hohen Preis abverlangt. Es war sein erstes Schnäppchen dieser Art, umso befriedigender aufgrund seiner Unschuld wie auch ihrer, allerdings ist ihm das gar nie in den Sinn gekommen. Abu Satar lässt die Lupe sinken, dann schließt und verriegelt er vorsichtig die Glasvitrine. Er blickt auf und lässt das Schnäppchen-Emporium auf sich wirken. Trotz seiner lebenslangen, harten und hingebungsvollen Arbeit kann er selbst kaum glauben, wie all dies seinen Anfang nahm: als ein Brett unter einer Markise, ein an vier Stangen geknotetes Stück Stoff. Der Stand hatte damals nur einen einzigen Zweck: die getrocknete, mit etwas Sesamstaub besprenkelte Thymian-und-Sumach-Mischung zu verkaufen, die der Familie Aufgabe und Namen verlieh: Satar. Dank ein paar bröseliger Blätter, Körner und einer geheimen magischen Zutat – Hanfsamen, denen Abu Satar seine eigene Neigung zu Träumereien zuschreibt – entwickelte sich der Zeltstand schließlich zu einem gedrungenen Gebäude an einem immer betriebsameren Trampelpfad.

      Unter seinem Vater war der Dorfladen nie eine großartige Goldgrube gewesen. Hin und wieder bogen sich die Holzregale unter jemenitischen Kaffeesäcken oder Baumwollgarn, das Wanderhändler über die Seidenstraße gebracht hatten. Doch meistens waren die einzigen ausgestellten Waren ein paar unbestimmbare, verkrumpelte Päckchen, die ungeöffnet auf einem der oberen Regalbretter blieben, sowie ein großes Fass Bratöl. Es war einfach eine Frage von begrenztem Angebot und noch begrenzterer Nachfrage. Für alles Unwesentliche blieb nur sehr wenig Geld übrig; was die Bauern nicht selbst auf dem Acker produzieren konnten, darauf verzichteten sie in der Regel.

      In der Generation seines Vaters waren drei Eigenschaften sehr viel wichtiger als die Frage, wie viele Schafe und Ziegen ein Mann besaß. Zuallererst kam die Ehrbarkeit. So betrachtet war der Händler schon durch seinen Beruf gehandicapt, der in der strengen sozialen Hierarchie einen der unteren Ränge belegte. Ganz oben thronten die Nomaden, die stolz und edel wie von alters her das Land durchstreiften. Als Nächstes kamen all jene, die Felder bestellten und Tiere hielten. Sie bildeten die Untergrenze des Akzeptablen. Unter den Bauern standen die madanijin, Stadtmenschen, die sich von modernen Erfindungen hatten verführen lassen und ihre Bindung an die Erde verloren. Dann, nur ein Stückchen über Wahrsagern, Prostituierten und Dieben, kam die Schicht der Kaufleute, die volkstümlich als nasabin verdächtigt wurden, Gauner und Spitzbuben.

      Trotz der allgemeinen Neigung, jemanden wie ihn gleich gänzlich abzulehnen, verwandelte Abu Satar der Ältere einen Ort spärlichsten Handels in eine Stätte der Begegnung. Zum Nebenerwerb schrieb er Briefe, und auch Kaffeekanne und Argileh hielt er stets griffbereit. Wenn gerade keiner der Männer zum Wasserpfeiferauchen zugegen war, bat Abu Satar die Dorfjugend in den Laden. So wuchs eine ganze Generation heran, deren Kindheit geprägt war durch den süßen Geschmack gebrannter Pistazien zum

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