Mutter aller Schweine. Malu Halasa

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Mutter aller Schweine - Malu Halasa

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Al Dschid eines Tages wegen Geschäften in die Hauptstadt musste. Am Abend kehrte er ziemlich bedrückt nach Hause zurück. Mutter Fadhma dachte, es läge am schlechten Gerstenpreis, doch als sie nachfragte, zog er den Brief mit einer Übersetzung ins Arabische aus der Tasche. Mit ausdrucksloser Stimme las er vor: »›Ihr schreibt immer nur, dass Ihr mehr Geld wollt. Wie könnt Ihr Schweine es wagen, uns immer weiter zu nerven! Ich bin schwanger, und Euer Sohn will, dass ich Euch das bisschen Geld gebe, das meine Familie mir schickt. Fahrt zur Hölle.‹«

      Nicht einmal diese Nachricht schaffte es, Mutter Fadhmas Vertrauen in Abd endgültig zu erschüttern. Erst ein paar Jahre später, als ein Schnappschuss mit der Post kam, wurden ihre Hoffnungen ganz zerschlagen. Auf dem Foto war ein kleines Mädchen in Baströckchen und hawaiianischem Top zu sehen, eine orangefarbene Blumenkette um den Hals. Sie hatte die Hände zu einer Seite und einen nackten Fuß nach vorne ausgestreckt. Muna, dreieinhalb Jahre alt, beim Hula-Tanzen. Der beiliegende Brief war einfach und direkt. Fadhma sagt ihn auf, als wäre er gestern angekommen: »›Meine liebe Familie, ich schreibe Euch aus meinem Labor, der einzige Ort, an dem ich zur Ruhe komme. Ich habe eine gute Stelle bei einer großen Plastikfirma. Meiner Frau und meiner Tochter geht es gut. Wie Ihr sehen könnt, sieht das Mädchen nicht arabisch aus. Das ist das Problem bei einer Mischehe. Weder sie noch ihre Mutter würden in Jordanien akzeptiert werden, und wir würden dort ein unglückliches Leben führen. Ich denke also, dass es für uns am besten ist hierzubleiben. Gott schütze Euch.‹«

      Schweigend reicht Fadhma Muna das Bild, das sie als kleines Mädchen zeigt. »Daran erinnere ich mich gar nicht«, sagt ihre Enkeltochter und grinst verlegen. Nachdem sie das Bild lange und eingehend betrachtet hat, gibt sie es an Samira weiter und fragt Fadhma: »Dschadda, warum hast du deinen Kindern eigentlich muslimische Namen gegeben?«

      Wieder sieht die alte Großmutter das Mädchen in neuem Licht. Blöd ist sie zumindest nicht. Fadhma lächelt stolz. »Das war die Idee deines Großvaters.«

      In der Hoffnung, dass Munas Interesse an Familiengeschichte größer ist als Samiras oder Lailas, setzt sie langsam an. »Vor Hunderten von Jahren führten Christen, die Sabas verehrten, den Schutzheiligen unserer Familie, Krieg gegen die heidnischen Götter der Wüste. Nach diesen Gefechten ließen sie sich in einer Kreuzritterfestung im Süden des Landes nieder und wären auch dort geblieben, wenn es nicht zu einer Auseinandersetzung um eine Frau gekommen wäre –«

      »Es geht immer um eine Frau«, unterbricht Samira und lacht. »Jemand guckt jemanden an. Der Vater von jemandem regt sich auf. Die Brüder von So-und-so mischen sich ein, und dann geschieht eigentlich immer ein Mord.«

      Fadhma geht bewusst nicht auf den Kommentar ihrer Tochter ein und fährt fort: »Es hätte einen Konfessionskrieg gegeben, doch die Kirchenobersten in Jerusalem richteten eine Petition an den türkischen Gouverneur der Region, und so durften die Christen hier in die Berge kommen« – Fadhma wirbelt einen Finger durch die Luft – »und sich in den Ruinen einer verlassenen byzantinischen Stadt niederlassen, die sieben Mal von Erdbeben zerstört worden war. Als die Stämme ankamen, suchten sie Schutz in einer Höhle bei einer Quelle, von der sie glaubten, sie sei Gottes Geschenk an sie. Sie gehörte aber schon jemand anderem. Ungewollt tauschten unsere Vorfahren also einen Kampf gegen einen anderen, und in einer Schlacht fiel dein Urgroßvater. Für die Familie war das ein schwerer Schlag. Doch im jungen Alter von zehn Jahren schwor Al Dschid feierlich, den Tod seines Vaters nicht zu rächen, was bemerkenswert war, wenn man den Ehrenkodex der Stämme bedenkt. Als er dann heiratete und selbst Kinder bekam, gab er ihnen keine christlichen Namen, sondern welche, die entweder muslimisch waren oder als neutral galten. So konnten sie unbehelligt unter Fremden leben.«

      Sie schenkt sich eine weiteres Tässchen Kaffee ein. »Dein Großvater glaubte, dass der Islam und das orthodoxe Christentum wie ein großer und ein kleiner Baum zusammengewachsen waren. Die Blätter waren unterschiedlich, aber der Schatten war derselbe. Er hat sich auch selbst das Lesen und Schreiben beigebracht.« Sie sah ihn nun vor sich, wie er im alten Haus stundenlang in der vorderen Fensternische saß und bei Tageslicht seine Bücher las. »Er liebte die Geschichte Arabiens. Unsere Töchter wurden nach großen islamischen Frauen benannt, manche von ihnen Kriegerinnen. Möchtest du sein Lieblingsgedicht hören? Das war ihre Gutenachtgeschichte.«

      Mutter Fadhma setzt sich auf und rezitiert ein wenig nervös:

      »Wir sind die Töchter des Morgensterns,

      Wir gehen auf weichen Kissen,

      Perlen zieren unsre Hälse.

      Moschus duftet in unsrem Haar.

      Kämpft ihr, umarmen wir euch,

       Weicht ihr zurück, verlassen wir euch

      und nehmen Abschied von der Liebe.

      Das Lied haben Hind und die anderen Rebellinnen aus Mekka auf dem Schlachtfeld gesungen«, sagt sie. »Sie haben ihre Trommeln geschlagen und ihre Männer angefeuert, Muslime zu töten, die aus Medina gekommen waren, um Mekkas einträglichen Handel mit Karawanen und Pilgern an sich zu reißen.«

      Zu guter Letzt fühlt sich Mutter Fadhma nun doch wohl. Seit Husseins Problemen ist ihr ein Lieblingshobby versagt geblieben, nämlich beim Morgenkaffee mit den älteren Damen der Stadt Geschichten auszutauschen. Weder Muna noch Samira zeigen etwas vom Esprit oder Temperament ihrer alten Freundinnen, aber als Publikum sind die beiden jungen Frauen zu gebrauchen. Fadhma würde ihnen noch vieles mehr erzählen, was sie über Hinds Mut und Grausamkeit auf dem Schlachtfeld weiß oder deren Streit mit dem Propheten Mohammed; die Bekehrung der Heiden, die zuerst die christlichen Heiligen bekämpft hatten, und der brutale Anbruch einer neuen Zeit, die nur noch dem Einen Gott gehörte. Es wäre eine Geschichtsstunde, auf die ihr Ehemann stolz gewesen wäre, auch wenn ihm oftmals nicht bewusst war, wie häufig er seine eigenen Geschichten wiederholte. Schon spürt Fadhma, wie in Samiras Zimmerecke die Langeweile aufsteigt, also bewahrt sie sich ihre Geschichten für ein anderes Mal auf und fragt: »Und was habt ihr heute vor?«

      Samira antwortet: »Vielleicht fahren wir nach Amman und sind dann rechtzeitig zur Hochzeit heute Abend wieder da. Oder wir könnten am Nachmittag ins Internetcafé gehen. Wir haben uns noch nicht entschieden.« Muna nickt eifrig.

      »Bewegt euch nicht zu weit fort«, warnt Fadhma. »Heute Nachmittag erwarten wir Gäste.«

      »Gäste?«, fragt Samira erstaunt.

      »Es kommen ein paar Leute vorbei, um Muna kennenzulernen«, sagt ihre Mutter stolz.

      »Na ja, vielleicht sollten wir trotzdem versuchen, eine SIM-Karte für mein Handy zu bekommen«, schlägt Muna vor, »auch wenn es wahrscheinlich nicht funktioniert. Ich habe gehört, dass die Stadt schlechten Empfang hat« – sie klingt fast, als wollte sie sich entschuldigen – »wegen des Dschabel Musa, aber der Berg ist gar nicht das Problem, sondern ich. Ich bin richtig internetsüchtig.«

      Samira blickt verständnisvoll drein, auch wenn Fadhma nicht weiß, warum sie das sein sollte. Die Jugend spricht eine andere Sprache, und Fadhma kann das Gefühl in ihren alten, müden Knochen nicht ignorieren, dass ihre Tochter ihr etwas verheimlicht. Wo ist sie in den letzten Monaten immer hin? Mit wem verbringt sie ihre Zeit? Mit einem Mann? Nur weil Muna zu Besuch ist, soll Samira bloß nicht denken, dass sie das ausnutzen kann. Fadhma weiß nur zu gut, dass jetzt nicht der richtige Moment ist. Eher würde sie sich den Mund mit Stroh zunähen, als eine Szene zu machen und so eine Spur von Spekulationen zu schaffen, die ihren Weg zurück bis nach Cleveland, Ohio, finden würde. Plötzlich kommt ihr das Zimmer heiß und klaustrophobisch vor. Wortlos legt Fadhma die Briefe zurück in den Karton.

      

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