Konstruktive Rhetorik. Jürg Häusermann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Konstruktive Rhetorik - Jürg Häusermann страница 12

Автор:
Серия:
Издательство:
Konstruktive Rhetorik - Jürg Häusermann

Скачать книгу

entstehen. Die Wirkung der Rede wird weiter vermittelt zu Gesprächspartnern außerhalb des ursprünglichen Publikums und gegebenenfalls in weitere Medien. Bei Alexander von Humboldt waren dies Berichte von Besuchern in Briefen, Zeitungsartikeln und Büchern.53 Im 21. Jahrhundert sorgen soziale Medien und je nach Art der Veranstaltung die üblichen Massenmedien für Resonanz.

      Die Vorstellung, dass die Zuhörenden stumm und ohne eigenen gedanklichen Beitrag einem Vortrag folgen, ist in jedem Fall falsch, auch wenn es in Rhetoriktrainings geradezu sprichwörtlich geworden ist, die Rednerin als die darzustellen, die die Zuhörenden „führt“.54 Die Zuhörenden sind immer aktiv – vorausgesetzt sie stehen noch mit der Rednerin in Kontakt. Die Aufgabe einer dialogischen Rhetorik ist es, diesen Kontakt zu sichern und auszubauen.

      Wie sie zuhören: rational, emotional, kreativ, orientierend

      Von David Malan wurde erwartet, dass er eine stinknormale Einführung in die Informatik hielt. Der Kurs im B.A.-Programm der Harvard University war nicht besonders beliebt. Etwa 130 Studierende hatten sich jeweils eingeschrieben; 25 von ihnen hatten daraufhin Informatik als Hauptfach gewählt. Der Rest war für immer abgeschreckt. Malan wollte das ändern. Er tat zwar genau, was man von ihm erwartet hatte: Er führte in die Grundlagen und die Denkweise des Computers ein. Aber er tat es auf eine völlig andere Weise als seine Vorgänger, und wenige Jahre später schrieben sich 700 Studierende ein, und immerhin 50 wählten Informatik als Hauptfach.55

      Ein Grund für den Erfolg dieses Dozenten war, dass er die Aktivität der Zuhörenden richtig einschätzte. Während sich die meisten Menschen, die über ihr Fach vortragen, auf Sachinformationen konzentrieren, wurde hier das Publikum auf mehreren Aktivierungsebenen angesprochen: nicht nur auf der Informationsebene, sondern auch auf der emotionalen, kreativen und orientierenden Ebene.

      Über Emotionen motivieren

      Malan beginnt seine Einführung in Computational Mathematics (in Harvard CS 50 genannt) weder mit einer Definition noch mit einem Überblick über die Thematik, sondern mit einer Selbstoffenbarung:

      »Hallo! Mein Name ist David Malan, und das ist CS 50. Ich liebe diesen Kurs über alles. Für mich ist das mein Traumjob, ehrlich gesagt …«56

      Er steht vor 400 Studierenden verschiedenster Fächer, die nicht genau wissen, was sie in Informatik erwartet, und er sagt ihnen zuallererst, wie sehr er das Fach liebt. Er erzählt, wie er dazu gekommen ist, es zu studieren, dass er – ebenso wie wohl viele im Hörsaal – eher Angst davor gehabt hat und wie er herausgefunden hat, dass es mit vielen seiner Interessen zusammenhängt.

      Malan will die Studierenden mitreißen, sein Ziel ist zunächst, dass seine Begeisterung überspringt. Neben dieser emotionalen Aktivierung tritt die strukturierte Vermittlung von Inhalten in den Hintergrund. Als er das Fach vorstellen muss, tut er dies zuerst über Geschichten, die dessen Anwendung illustrieren. Er erzählt: Als Studierender fand er es umständlich, die nächste Busverbindung herauszufinden, die ihn vom Campus nach Hause brachte. Er nutzte die digitalisierten Fahrpläne, um einen Dienst zu entwickeln, der ihm per SMS die gewünschten Abfahrten und Anschlüsse übermittelte – lange bevor es Smartphones und dazu passende Apps gab. Zwar lassen sich über das Erzählen nur einzelne Beispiele vermitteln; Verallgemeinerungen brauchen abstraktere Formen. Aber die Geschichten vermitteln seine Gefühle und motivieren zum weiteren Zuhören, auch wenn es komplexer wird.

      Die Kreativität der Zuhörenden ansprechen

      Gibt es eine Methode, um auf rationelle Art zu ermitteln, wie viele Personen im großen Vorlesungssaal versammelt sind? – Eine einfache Frage, die zunächst die Kreativität der Studierenden anregen soll. Mehrere melden sich zu Wort und schlagen mögliche Arten des Zählens oder Schätzens vor. Dann aber schlägt der Dozent eine eigene Methode vor, die das Denken der Informatik erfahrbar macht. Sie besteht darin, dass die Studierenden Zweiergruppen bilden. Einer der beiden setzt sich, der andere bleibt stehen. Derjenige, der noch steht, repräsentiert jetzt zwei Personen. Wieder bilden je zwei der noch Stehenden eine Gruppe; einer setzt sich, der andere repräsentiert jetzt vier Personen. So geht es weiter. Wenn die Letzten, die noch stehen, ihre Summen addieren, ist die Gesamtzahl ermittelt.

      Es ist ein munteres Treiben, bei dem sich alle körperlich betätigen und dabei erfahren, was binäres Verarbeiten von Informationen bedeutet.

      Zum Mitdenken anregen

      Zu jeder Rede gehören auch Informationen, die rationales Denken erfordern. Dazu gehören begründende, verallgemeinernde, zusammenfassende Aussagen, die sich auf einer abstrakteren Ebene als die praktischen Beispiele bewegen. Die Frage ist, wann man sie platzieren soll. Dazu gehören Behauptungen wie: „Informatik macht euch offen für die Möglichkeiten, Probleme effektiver zu lösen.“

      Wäre der Dozent damit eingestiegen, vor den praktischen Aufgaben und Beispielen, hätte er nur ein schwaches Interesse geweckt. Aber nachdem Emotionen und Kreativität aktiviert wurden, fallen auch die rationalen Aussagen auf fruchtbaren Boden.

      Orientierung schaffen

      Zu diesen Appellen an die emotionale, die kreative und die rationale Beteiligung gesellt sich eine weitere Ebene, die orientierende. Dazu gehört Überblick über die Organisation der gesamten Veranstaltung ebenso wie die Orientierung innerhalb des Vortrags: Wo sind wir? Was wird als nächstes kommen? Wie ist die aktuelle Aussage mit den übrigen verknüpft? Es wird eine Struktur für die aktuelle Vorlesung skizziert, und die Studierenden bekommen auch eine erste Idee für die folgenden Wochen. Die orientierende Ebene enthält also mehrere Dimensionen: zum einen Klärungen über den Aufbau und die Gliederung bis hin zum verwendeten Vokabular, zum anderen Informationen über die zeitliche Platzierung der Vorlesung, aber auch über die Rahmenbedingungen, das Biotop, in dem sich diese abspielt.

      Den Kontakt verstärken

      David Malan hat eine halbe Stunde lang sehr einfache Beispiele präsentiert, mit denen er in das Denken der Informatik eingeführt hat. Er hat gezeigt, wie sich Boolesche Operatoren, Funktionen und Ausdrücke unterscheiden. Dann verlässt er die Inhaltsebene und stellt das Team vor, das hinter dem Lehrprogramm steckt, die Mitarbeiterinnen, mit denen die Studierenden zu tun haben werden. Dies ist eine einfache Methode, den Kontakt auf Beziehungsebene zu verstärken. Natürlich hat er schon zu Beginn Kontakt aufgenommen, durch die Art der Ansprache, durch Blickkontakt oder Fragen. Aber das Interesse für die Personen, die hinter der Präsentation stecken, ist größer, wenn eine Basis gelegt ist. Nach einem ersten einführenden Teil macht es Sinn, die Assistentinnen kennenzulernen. Deren Namen und Aufgaben können jetzt mit den ersten Erfahrungen verknüpft werden; Informationen auf verschiedenen Ebenen werden nutzbringend miteinander verknüpft.

      Was sie nachher tun: die Weiterverwendung von Reden

      Buddha zog ein halbes Jahrhundert lang von Ort zu Ort und verkündete seine Lehre. Eine Gruppe von Mönchen begleitete ihn, und diese Mönche prägten sich ein, was der Meister zu sagen pflegte. Als er 483 v.Chr. starb, konnten sie die Reden und Aussprüche mit großer Genauigkeit aus dem Gedächtnis wiedergeben, und auch in den folgenden Jahrhunderten wurden diese kaum verändert von Mund zu Mund weitergegeben.57

Скачать книгу