Das Ende des Laufstegs. Martin Willi
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Trotz Wind und Regen waren die Glockenschläge sehr gut hörbar, zehn Uhr abends war es, als Hans-Peter sich mit Flurin dem Waldhaus näherte. «Dort bei der Hütte machen wir eine kleine Pause, Flurin. Das haben wir uns nun wahrlich verdient, meinst du nicht auch? Wir müssen ja bescheuert sein, bei diesem Wetter einen Spaziergang zu machen. Ich werde wohl nur noch älter und dümmer. Oder was meinst du? Du sagst natürlich wieder nichts, so wie immer. Na egal, auf alle Fälle gibt’s jetzt erst mal eine Pause. Vielleicht hört der Regen ja doch noch auf.» Der Hund spitzte seine Ohren; Pause, dieses Wort kannte und liebte er. Schnellen Schrittes eilten die beiden durchnässten Gestalten dem langsam nahenden Waldhaus entgegen.
Vielleicht noch fünfzig Meter trennte die beiden bis zum schützenden Dach. Aber was war denn jetzt bloss mit Flurin los? Wie angewurzelt blieb der Vierbeiner urplötzlich stehen, sein aufgeregter Blick richtete sich zu einigen alten grossen Tannen hin. Der Schäferhund fletschte die Zähne, er knurrte und liess alsbald ein kräftiges drohendes Bellen ertönen. «Was soll denn das? Flurin, spinnst du denn? Hör auf zu bellen und komm endlich. Ich will mir hier wegen dir nicht den Tod holen. Ich will eigentlich noch ein paar Jahre leben. Hörst du nicht, jetzt komm endlich!» Hans-Peter zerrte mit all seiner vorhandenen Kraft an der ledernen dunkelbraunen Leine, die er seinem Hund erst vor wenigen Tagen gekauft hatte. In einem Schweizer Fachgeschäft natürlich, denn Qualität darf auch etwas kosten, das war Hans-Peters Meinung. Doch wie sehr sein Meister auch zerrte, so liess Flurin sich nicht dazu bewegen, den Weg gemeinsam in Richtung des vor der Nässe schützenden Waldhauses fortzusetzen. «Na gut, du störrischer alter Bock was du bist», sagte sich Hans-Peter und liess sich von seinem Hund zu den mächtigen Tannen führen, die ihm einen beängstigenden Eindruck machten.
Was ist denn das? Ein Schuh? Das kann doch gar nicht sein, ich muss mich irren. Doch Hans-Peters Blick schien ihn nicht getäuscht zu haben. Da lag wirklich ein roter Schuh, ein Stöckelschuh um genau zu sein. «Jaja, ist ja schon gut Flurin, führ dich nicht so auf wie ein wild gewordener bockiger Esel.» Schnell bückte sich nun der Hundehalter und wollte schon den Stöckelschuh ergreifen und an sich nehmen, als sein Blick durch etwas anderes abgelenkt wurde. Das schon nicht mehr ganz junge Herz von Hans-Peter Huber blieb einen Sekundenbruchteil stehen, sein Blick starrte auf etwas Ungeheuerliches, nicht mal im schlimmsten Traum hätte Hans-Peter daran gedacht, dass ihm jemals so etwas passieren würde.
Nur wenige Meter von ihm entfernt lag eine Gestalt, ein Mensch, eine junge Frau, wie er unschwer erkennen konnte. Kurz hielt Hans-Peter in der gebückten Stellung inne, bevor er sich langsam, beinahe schon in Zeitlupentempo, erhob. Flurin bellte wie wild um sich. «Oh Gott, das darf doch nicht wahr sein», entfuhr es Hans-Peter, während er unsicher um sich blickte. Sein Atem begann flach zu rasen. Der nun angsterfüllte Rentner zögerte, sollte er sich der ein paar Meter vor ihm liegenden Frau nähern? Langsam tastete er mit den Schritten den Boden ab und wagte sich an die Frau heran, beinahe schon Zentimeter um Zentimeter. «Hallo, kann ich Ihnen helfen?» Warum rufe ich überhaupt, die ist doch bestimmt tot. Und wirklich, jetzt wo sich Hans-Peter in Schrittnähe zur Frau befand, war für ihn klar ersichtlich, dass die Frau nicht mehr leben konnte. Sie lag auf dem Bauch, den Kopf nach unten im Schlamm. Ihre langen roten Haare waren nass und verdreckt, sie bedeckten fast den ganzen Kopf. Den Oberkörper bekleidete eine einst wohl weisse Bluse. Ihre schlanken wohlgeformten Beine zierten schwarze Netzstrümpfe und am rechten Fuss trug sie noch immer den roten Stöckelschuh, der zweite des Paares, von dem Hans-Peter bereits einen kurz davor entdeckt hatte. Was Hans-Peter Huber jedoch als Erstes auffiel und was ihn sehr verwunderte, aber auch schockierte, war die Tatsache, dass der schwarze Minirock und der ebenso schwarze Slip der jungen Frau hinuntergezogen waren und dass sich eine weisse Rose auf dem nackten Hinterteil befand.
Die entsetzten, weit aufgerissenen, Augen des Mannes starrten noch immer auf die weisse Rose, während er mit der einen Hand seinen intensiv schnuppernden Hund hielt und mit der anderen sein Mobiltelefon aus der Jacke klaubte. Erst vor wenigen Wochen hatte er sich erstmals ein sogenanntes Handy gekauft. «Nur für den absoluten Notfall», sagte er sich damals. Ohne zu ahnen, dass dieser Notfall schon so bald eintreffen würde. Die zitternden Hände wählten mühsam die Nummer des Polizeinotrufs: 117
Rund eine Stunde später sass der noch immer verwirrte und etwas zitternde Hans-Peter mit einer grauen wärmenden Wolldecke umschlungen im Waldhaus, das sich nahe vom Tatort befand. Zu seinen Füssen lag ein sichtlich erschöpfter Flurin. Ein gutes Dutzend Polizisten durchkämmte die nähere Umgebung, sie untersuchten den Tatort, sicherten die Spuren, fotografierten die tote Frau. Wenigstens hat es endlich aufgehört zu regnen, das wurde aber auch Zeit, dachte sich Hans-Peter, als er durchs Fenster hinaus in die Dunkelheit spähte, damit er erkennen konnte, was draussen denn überhaupt so alles vor sich ging. Genau in diesem Augenblick drückte eine kräftige Hand die eiserne Türklinke des Waldhauses nach unten. Ein Polizist in Uniform trat in das Innere der Hütte, gefolgt von einer Frau in Zivil. «Guten Abend Herr Huber. Mein Name ist Petra Neuhaus, ich bin Kriminalkommissarin und leite die Untersuchung dieses Mordfalls. Sie haben die Tote also gefunden und uns angerufen, nicht wahr?» Mit ihrer ruhigen sinnlichen Stimme richtete sie diese Worte an Hans-Peter. Was für eine hübsche Frau, die sieht ja fast so aus wie die Christine Neubauer vom Fernsehen, nur etwas jünger. So dachte er sich noch, bevor er mit einem knappen «Ja», die Frage beantworten konnte.
«Haben Sie ausser dem roten Stöckelschuh sonst noch etwas gefunden oder ist Ihnen irgendetwas besonderes oder merkwürdiges aufgefallen?»
«Nein, tut mir leid, aber ich kann Ihnen in dieser Angelegenheit wohl nicht weiterhelfen.»
«Ihnen ist auf Ihrem Spaziergang durch den Wald auch niemand begegnet?»
«Nein, wirklich nicht. Bei diesem Wetter traut sich wohl niemand raus, wenn er nicht muss. Wenn ich keinen Hund hätte, so wäre ich bestimmt auch im Trockenen geblieben. Das können Sie mir nun wirklich glauben.»
Allerdings, dachte sich Petra Neuhaus. Wie schön wäre es doch bei diesem furchtbaren Wetter Zuhause im warmen weichen Bett zu liegen. Und am liebsten mit einem tollen Mann der mich verwöhnen würde, bis ich schreie vor Glück, das wäre wundervoll. «Ich denke mir, dass es am besten ist, wenn ein Kollege Sie und Ihren Hund nach Hause fährt. Wir haben ja Ihre Personalien und werden uns wieder melden, sofern wir Sie noch benötigen.» Die Hand der Polizistin ergriff eine Zigarettenschachtel im Innenteil ihrer Jacke und zog diese gewandt und wie selbstverständlich heraus. Noch während der uniformierte Polizist ihr entgegenkommend die Zigarette anzünden konnte, fragte Hans-Peter: «Rauchen Sie schon lange?»
«Seit meiner Jugend.»
«Und warum?»
«Wie bitte?», die Kommissarin war verwundert über die ihr so direkt gestellte Frage. Verblüfft schaute sie den Barträger an, der sie mit starrem Blick anvisierte.
«Warum tun Sie das, wenn ich Sie fragen darf?», Hans-Peters Stimme erklang nun wie auf einen Schlag hartnäckig, beinahe schon dominant und eisern.
«Es gefällt mir, es ist wie ein Lebenselixier für mich», antwortete die attraktive Frau mit dem Ansatz eines gewinnenden Lächelns. Gleichzeitig entwich eine kleine Wolke mit Zigarettenrauch aus ihrem Mund. Innert Sekundenbruchteilen schlossen sich ihre vollen sinnlichen Lippen wieder um die Zigarette, damit sie den nächsten Zug inhalieren konnte.
Hans-Peter schloss zunächst kurz die Augen und blickte dann zur Seite. Er schaffte es nicht, der Kommissarin beim Rauchen zuzusehen. Zu sehr wurde er an den Tod seiner innig geliebten