Das Ende des Laufstegs. Martin Willi
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«Entschuldigung, das habe ich nicht gewusst, es tut mir sehr leid. Bitte glauben Sie mir, Herr Huber!» Sichtlich getroffen und nachdenklich drückte die Kommissarin ihre Zigarette im runden gläsernen Aschenbecher aus, der auf einem der kleinen Tische des Waldhauses stand. Währenddessen verwunderte sie sich selbst, weshalb es hier in dieser Lokalität immer noch Aschenbecher gab und das Rauchen damit legalisiert wurde.
Hans-Peter strich mit seiner rechten Hand über seinen Bart. Für ihn jeweils ein Zeichen, dass er sich nicht wohl fühlte. «Nein, mir tut es leid, ich bin zu weit gegangen. Ich habe nicht das Recht über Sie zu urteilen. Das steht mir nicht zu, ich möchte Sie um Verzeihung bitten.»
«Schon gut, ich werde jetzt dafür sorgen, dass Sie sicher und schnell nach Hause kommen.»
«Auf Wiedersehen, Frau Neubauer. Ach, Entschuldigung, Frau Neuhaus, ich bin ganz durcheinander.»
Leise tickte die Uhr auf dem Schreibtisch von Petra Neuhaus. Knapp vor zwei Uhr nachts war es bereits, dies deuteten ihr die schwarzen Zeiger unbarmherzig an, die unaufhörlich und regelmässig ihre Arbeit taten, als würde es kein Ende geben. Während Hans-Peter längst zuhause war und zu schlafen versuchte, ging die Arbeit für die Kriminalkommissarin mit den langen brünetten Haaren erst so richtig los. Hans-Peter Huber hatte Recht, sie hatte wirklich eine starke Ähnlichkeit mit der Filmschauspielerin Christine Neubauer, dies wurde ihr schon mehrmals so gesagt. Sie musste schmunzeln, als sie daran dachte, dass Hans-Peter Huber ihr beim Abschied aus Versehen Frau Neubauer sagte. Das war ihr bislang wirklich noch nie passiert, aber sie fühlte sich darüber auch etwas geschmeichelt.
Vor ihr lagen in einem Halbkreis rund ein Dutzend Fotos von der tot aufgefundenen jungen Frau. Immer wieder nahm sie auch die Halskette der Toten in die Hand, die als Anhänger einen Schutzengel mit dem Buchstaben S zierte. Ein S, dachte sich Petra, ein S für den Vornamen, für Susanne, Svenja, Sonja, Silvia, Sabine, Sandra, Silke, Stella, Sabrina, Slavka, Sarah … Oder ein S für den Vornamen ihres Freundes, für Samuel, Silas, Sven, Sebastian, Simon, Severin, Stefan, Sean, Siegfried, Sulejman, Sigismund … Oder ganz einfach ein S für Schutzengel … Aber vielleicht hat der Buchstabe ja gar keine Bedeutung.
Nachdenklich betrachtete die Kriminalpolizistin die verschiedenen Fotos, die vor ihr lagen und nach Antworten suchten. Wer bist du, S?, fragte sich Petra innerlich aufgewühlt, als sie ein Foto in der rechten Hand hielt, die leicht ins Zittern gekommen war. Warum hat man dich umgebracht? In was für einer Scheisswelt leben wir eigentlich? Du warst doch noch so jung, du hattest dein ganzes Leben noch vor dir. Warum um alles in der Welt musstest du sterben, warum?
2 (Juli 2012)
«Irgendwann werde ich weltberühmt sein, du wirst schon sehn. Überall wird man mich kennen, in Namibia, Neuseeland, auf den Färöer-Inseln und vielleicht sogar auf dem Mond. Dann wirst du Gott und das ganze Universum dafür danken, dass du mich kennst. Auf Knien wirst du mich um ein Autogramm bitten, nein, sogar anflehen und dabei winseln wirst du wie ein Hund.» Lachend tauchte Sabrina Eckert ihre zierlichen Füsse in das warme Wasser des Hallwilersees. Die Zehennägel waren mit einem weinroten Nagellack angestrichen, was ihre auch so schon hübschen Füsse noch erotischer und anziehender aussehen liess. Die Sonne schien auf ihre samtweiche, braungebräunte Haut und liess kleine Schweissperlen entstehen, die sanft der Haut entlangschlichen und zu Boden kullerten. Der knappe dunkelblaue Bikini liess erahnen, welch wohlgeformten prallen Brüste sich darunter verbargen. Brüste, die jeden Mann buchstäblich um den Verstand bringen mussten, Brüste, die nicht wenige Frauen neidisch werden liessen.
«Jaja, du wirst sicher mal berühmt, irgendwann, eines Tages. Aber denk daran, dass viele Berühmtheiten erst nach ihrem Tod bekannt geworden sind.» Sabrinas Freundin Jolanda Wyss war, rein körperlich gesehen, das pure Gegenteil von Sabrina. Dick, nein dick war sie eigentlich nicht, aber ein paar Kilo zu viel trug sie schon auf den Rippen ihres jugendlichen Körpers. Mollig, ja mollig, so bezeichnete man sie. Was sie selbst aber wirklich störte, das waren ihre Pickel im Gesicht. Schon eine winzige Gesichtsunreinheit war für ein Mädchen im Alter von Sabrina und Jolanda zu viel, jeder Pickel ein Grund, um sich in den Boden zu verkriechen, unter der Erdoberfläche zu verschwinden und nie mehr auftauchen zu wollen. Jolandas Gesicht jedoch war zeitweise richtiggehend übersät mit diesen widerlichen Pickeln. Dies vor allem während ihrer Periode, wie es in diesen Tagen wieder der Fall war. Ansonsten hatte sie während der Periode nur wenig Schmerzen, im Gegensatz zu vielen anderen jungen Frauen in ihrem Alter. Nein, diese Pickel, die waren manchmal wirklich nicht mehr anzuschauen. Am liebsten hätte sie jeden dieser hässlichen Dinger aus ihrem Gesicht herausgekratzt, oder noch besser mit einem Skalpell herausgeschnitten.
«Hier schau mal», sagte Sabrina plötzlich lachend zu ihrer Freundin. Dabei strahlten ihre weissen Zähne mit dem Glanz des Wassers im See um die Wette und ihre grünen Augen funkelten vor unbändiger Lebensfreude. «Hier werde ich mich melden und du wirst dann schon sehen, wie schnell es geht mit meiner Berühmtheit.» Sabrinas rechte Hand mit den rot geschminkten Fingernägeln, natürlich in der identischen Farbe, mit der sie ihre Zehennägel lackierte, reichte Jolanda eine kleine Zeitungsannonce. «Hast du eine erotische Erscheinung und träumst von einer grossen internationalen Karriere? Melde dich jetzt bei ermodcast.ch und deine allerkühnsten Träume werden wahr! Alter egal – Hauptsache hübsch und attraktiv! In wenigen Schritten vom Casting zur grossen Karriere als Fotomodell. Zögere nicht – wer zögert, der scheitert», so die Zeilen des Inserats aus einer Boulevardzeitung, das Sabrina laut und euphorisch vorlas.
Jolanda runzelte skeptisch ihre Stirn und die Zornesfalten nahmen eine bedrohliche Form an. «Und du glaubst im Ernst daran, dass das eine gute und seriöse Sache ist?»
«Aber natürlich Jolanda, warum denn nicht?»
Jolanda, die von Natur aus eher der vorsichtige schüchterne Typ war, meinte mit Bedacht: «Ich weiss nicht, irgendwie scheint mir diese Sache etwas dubios, geradezu merkwürdig. Das tönt ja fast wie ein Casting für einen Pornofilm. Meinst du nicht auch, Sabrina? Hast du dich schon erkundigt wer überhaupt hinter dieser Firma ermodcast.ch steckt?»
«Aber sicher, Schätzchen, ich habe im Internet recherchiert oder gegoogelt wie man heutzutage so schön sagt.» Sabrina setzte ihr charmantes gewinnbringendes Lächeln auf, das jedes Herz regelrecht zum Schmelzen brachte. «Sei doch nicht immer so pessimistisch und skeptisch, sonst verpasst du noch das eigene Leben.»
«Jaja, wenn du meinst. Und was hat es denn nun mit ermodcast. ch auf sich?»
«Das ist alles in Ordnung, glaube mir. Der Chef des Unternehmens ist ein gewisser Pedro Alvare, das soll ein echt geiler Typ sein.»
«Pedro Alvare, oh Gott, das ist aber bestimmt kein Schweizer. Das ist ein Name wie aus einem Mafiafilm. Pass bloss auf dich auf, meine liebste Sabrina.»
«Aber sicher, mach dir nur keine Sorgen. Du kennst mich doch.»
«Ja, ich kenne dich und leider bist du trotz deiner hoffnungsvollen grünen Augen oft ein bisschen blauäugig. Soll ich dich nicht lieber zu diesem ermodcast-Castingtermin begleiten?»
«Aber nein Jolanda, das ist doch überhaupt nicht nötig! Hab keine Angst, du wirst dich noch sehr wundern über mich. Mach dir keine unnötigen Sorgen um mich, ich kann selbst auf mich aufpassen. Ich mach noch ganz grosse Schlagzeilen, du wirst schon sehen, Jolanda! Ach was, ich werde selbst zu einer Schlagzeile!»