Toni der Hüttenwirt Classic 38 – Heimatroman. Friederike von Buchner
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Die Tante nahm Julias Hand.
»Ich habe mit allen gesprochen, Julia. Sie werden alle dableiben und dir helfen. Mußt dich erst mal um nichts kümmern. Gönne dir ein paar ruhige Tage. Lebe deine Trauer aus. Laß die Tränen fließen. Das ist das Beste, was du machen kannst, Julia!«
Mit Tränen zwischen den Wimpern schaute Julia ihre Tante an.
»Du weißt, daß mir das Nichtstun nicht liegt. Ich werde schon klarkommen, Tante. Arbeit ist die beste Medizin, sagte Vater immer, wenn er mal wieder das Reißen im Kreuz spürte. Gut, daß alle bei mir bleiben. Aber um die Verwaltung muß ich mich selbst kümmern.«
Ihre Tante legte den Arm um Julia.
»Ich kann ein paar Tage bei dir bleiben, wenn du willst?«
Julia überlegte. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Sei mir nicht böse, daß ich dein Angebot ablehne. Ich will dir damit nicht weh tun. Ich weiß, wie traurig und erschüttert du bist. Immerhin war mein Vater dein einziger Bruder. Jetzt hast du auch niemanden mehr.«
Mit wohlgewählten Worten versuchte Julia, ihrer Tante zu erklären, daß sie denke, es sei das Beste, wenn sie sich so früh wie möglich in das Leben alleine auf dem Hof einfinden würde. Sie mußte sich daran gewöhnen. Das versuchte Julia zu erklären. Dabei hatte sie ein schlechtes Gewissen, der Tante gegenüber.
»Ich habe dich immer lieb gehabt, Julia! Eine eigene Familie war mir nicht gegönnt. Aber das ist eine andere Geschichte. Die gehört jetzt nicht hierher. Ich werde immer für dich da sein. Mußt dich net entschuldigen, daß du allein sein willst. Dein Vater war auch so. Er packte die Aufgaben immer gleich an. Du weißt ja, wo du mich finden kannst. Du kannst mich jederzeit anrufen. Ich komme dich gern besuchen.«
»Das weiß ich, Tante Else!«
Gemeinsam gingen die beiden Frauen in den Innenhof. Dort stand Tante Elses Auto. Sie hatte schon gepackt. Schnell waren die Koffer im Wagen verstaut.
»Ich danke dir, Tante, daß du die letzten Tage hier gewesen bist. Es war mir eine große Hilfe und Trost.«
Die beiden Frauen umarmten sich. Dann stieg die Tante ein und fuhr vom Hof. Ein Arbeiter schloß danach das Hoftor von innen.
Julia setzte sich auf die Bank neben der Tür, die in den Teil führte, den sie mit ihrem Vater und vorher zusammen mit ihrer Mutter bewohnt hatte.
Julia dachte an Tante Else. Sie war unverheiratet. Warum die Tante nicht geheiratete hatte, wußte Julia nicht. Als Julia noch ein Kind war und die Großeltern Grundmayr im Altenteil des Hofes lebten, lebte ihre Tante mit auf dem Hof. Sie pflegte die alten Leute bis zu deren Tod, der rasch aufeinander erfolgte.
Dann zahlte Julias Vater seiner Schwester das Erbe aus. Tante Else zog direkt nach Kirchwalden. Sie kaufte sich ein kleines Siedlungshaus mit einem Garten. Finanziell gut abgesichert, gab sie an einigen Nachmittagen Musikunterricht. Tante Else war sehr musikalisch und spielte verschiedene Instrumente, Harfe, Zither, Gitarre und Klavier. Tante Else war eine kluge und warmherzige Frau. Julia liebte sie sehr. Die Tante war schon in der Kindheit eine enge Vertraute Julias gewesen. Ihr konnte das Mädchen alle Gedanken, Sorgen, Kummer anvertrauen, die sie ihren Eltern nicht sagen wollte. Die gütige und geduldige Tante hatte immer Zeit und ein offenes Ohr. Mit ihr konnte Julia wirklich über alles reden.
Warum hatte Tante Else nie geheiratet? Das fragte sich Julia wieder einmal. Als Julia älter geworden war, hatte sie die Tante danach gefragt. Weder damals, als sich Julia so im Backfischalter mit Gedanken an Burschen und die erste Liebe herumschlug, noch später gab ihr die Tante eine Antwort. Vielleicht wurde sie einmal sehr enttäuscht, überlegte sich Julia später. Trotzdem war ihre Tante nicht verbittert, wie man es von vielen älteren Frauen kannte, die niemals geheiratet hatten. Julia bewunderte sie sehr.
Hoffentlich lebt sie noch lange, noch sehr lange. Das wünschte sich Julia von ganzem Herzen.
Die Sonne ging langsam unter. Ein kühler Wind kam auf. Julia fror etwas. Sie konnte sich aber noch nicht entschließen, ins Haus zu gehen. Drinnen würde es nicht mehr so sein, wie es einmal war. So zog Julia das dicke, schwarze Schultertuch aus Wolle enger um ihren Körper.
*
Meta Baumberger eilte, so schnell sie ihre Füße trugen, zum Pfarrhaus. Kurz entschlossen läutete sie nicht an der Vordertür. Sie ging durch den Pfarrgarten um das Haus herum. Die Tür zur Küche stand offen.
Meta trat ein. Helene blickte kurz auf. Sie war gerade mit dem Aufwischen des Fußbodens fertig. Sie hatte noch einmal geputzt. Anschließend brachte sie den Eimer mit dem Putzwasser in den Garten und leerte ihn aus.
Bis sie zurückkam, packte Meta das Essen aus.
»Hier, setz dich! Iß! Der Pfarrer Zandler tut bei uns essen!«
»Ich will nix essen! Ich kann nix essen!« lehnte Helene trotzig ab.
»Nix da, Helene! Ich gehe net eher heim, bis du etwas gegessen hast!«
Meta Baumberger blieb stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»So eine Blamage, Meta! So eine Schande! Des mir! Daß mir des passieren kann! Und gleich zweimal – zwei Mal an einem Tag!«
Meta bewegte sich nicht und zeigte auch keine Reaktion.
»Naa, wirst schon alles vom Pfarrer wissen. So eine Schande! Was tue ich mich schämen!« jammerte Helene weiter.
Meta bestand darauf, daß die Freundin etwas aß. Inzwischen kochte Meta einen Kaffee.
»So, Helene! Jetzt sagst du mir mal, was mit dir los ist. Hör’ mal! Jeder Hausfrau ist schon mal das Essen angebrannt. Jetzt ist es dir auch mal passiert. Na und? So etwas kommt vor!«
»Mir ist es aber gleich zweimal an einem Tag passiert, Meta! Der gute Herr Pfarrer hat ganz verwirrt geschaut. Dann hat er den Hut genommen und ist gegangen! Des mußt du dir mal vorstellen!«
Meta Baumberger schenkte Helene Träutlein Kaffee ein.
»Gut! Sei’s drum! Dann ist es dir eben zweimal passiert an einem Tag! Sag mir lieber, wo du mit deinen Gedanken gewesen bist.«
Helene Träutlein rührte im Kaffee und schaute durch die offene Tür in den Pfarrgarten hinaus. Die Haushälterin schwieg. Sie preßte die Lippen fest zusammen, als wollte sie mit aller Kraft verhindern, daß ihr Worte entweichen.
Meta Baumberger mußte viel Geduld aufbringen. Sie begann zu fragen:
»Bist krank?«
»Naa! Ich doch net! Der Martin, unser guter Doktor Engler, sagt immer, ich hätte eine Gesundheit wie ein starker Gaul. Mich würde nix umwerfen. Na, da ist nix!«
»Das ist schon mal gut!«
Meta seufzte.
»Hast einen anderen Kummer, der dir so den Verstand vernebelt? Ich will hier im Pfarrhaus net fluchen, Helene. Der Herrgott soll mir beistehen. Aber ich gehe net eher hier hinaus, bis ich weiß, was mit dir los ist.«
Helene