Mami Classic 42 – Familienroman. Annette Mansdorf
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»Du sollst aber nicht weggehen, Mama…«, jammerte Julia und hielt ihre Mutter am Rock fest.
Katinka Berger setzte sich noch einmal ans Bett ihrer sechsjährigen Tochter. Julia hatte Fieber und Halsschmerzen, nicht schlimm, aber doch so, daß sie ihre Mama um sich haben wollte. Dabei wurde es für Katinka höchste Zeit, in die Versicherung zu fahren, in der sie arbeitete. Ihr Vater, der Julia betreuen sollte, war auch noch nicht da…
»Schätzchen, der Opa kommt zu dir und paßt auf. Er wird sicher wieder ein paar schöne Spiele wissen…«
»Aber Janosch drängelt sich immer vor…«
Janosch war der Zwillingsbruder. Plötzlich fiel Julia ein, daß der ja in der Schule war. Sie würde ihren geliebten Opa ganz für sich allein haben! Sofort klärte sich ihr Gesicht auf, sie lächelte.
»Ist gut, Mama, du kannst gehen…«
»Ich muß mich schnell ein bißchen schminken. Bis der Opa hier ist, warte ich.«
»Na gut. Aber du malst dich doch nicht für deinen Chef an, oder?«
Katinka seufzte. Sie kam einfach nicht dahinter, warum Julia Markus Leermann nicht mochte. Er war nett zu den Kindern. Katinka mochte im Moment nicht auf seine Aufmerksamkeit verzichten, obwohl sie keineswegs sicher war, daß ihre Gefühle über eine oberflächliche Verliebtheit hinausging. Außerdem war er noch nicht geschieden. Er lebte von seiner Frau getrennt, schon seit langem. Katinka war nicht der Grund dafür gewesen. Frau Leermann hatte sich einen Freund zugelegt und die Ehe beendet.
Im Badezimmer dachte sie daran, wie dankbar sie sein konnte, daß ihr Vater jederzeit bereit war, die Kinder zu betreuen. Als ehemaliger Kriminalbeamter war er schon mit achtundfünfzig Jahren in den Ruhestand gegangen, weil eine alte Schußverletzung ihm noch immer leichte Beschwerden machte. Seit dem Tod seiner Frau, Katinkas Mutter, beschäftigter er sich ausgiebig mit Julia und Janosch, die darüber begeistert waren. Er hatte immer sehr ungewöhnliche Ideen, die Katinka manchmal ziemlich suspekt waren. Oft kam es ihr so vor, als bilde der sie zu Mini-Kriminalisten aus.
Katinka kam also gut zurecht. Vor zweieinhalb Jahren, kurz nach dem Tod ihrer Mutter, war Carsten tödlich verunglückt. Sein unglaublicher Leichtsinn hatte ihn das Leben gekostet. Warum mußte er unbedingt als Stuntman arbeiten? Genauer gesagt, als Hobby-Stuntman, denn er hatte das neben seinem Beruf als Polizist gemacht. Sportlich war er gewesen, aber sich mehrmals mit einem Auto zu überschlagen, nur damit so ein dämlicher Film »echt« wirkte, war einfach sträflicher Leichtsinn. Sein Tod hatte sie für einige Zeit gelähmt, doch die Kinder und ihr Vater schafften es, ihr wieder Mut und Lebensfreude zu geben, zumal ihre Ehe nicht mehr sehr harmonisch gewesen war. Wie denn auch, wenn Carsten kaum zu Hause gewesen war?
Jetzt achtete sie bei den Bekannten, die sie hin und wieder einladen durften, sehr genau darauf, daß sie keine halsbrecherische Hobbys hatten. Einer von Carstens Kollegen, der sich sehr für Katinka interessiert hatte, kletterte in seiner Freizeit in Felswänden herum, nur mit den Fingerspitzen hing er an kaum wahrnehmbaren Vorsprüngen! Sie hatte ihm gleich erklärt, daß sie nichts mehr mit solchen Dingen zu tun haben wollte. Natürlich war er nicht bereit gewesen, auf sein Hobby zu verzichten.
Heiraten wollte Katinka sowieso nicht mehr. Jedenfalls redete sie sich das ein. Ihr Vater lächelte dann immer verschmitzt und bemerkte nur, daß dann der Richtige eben noch nicht gekommen sei.
Markus Leermann und er hatten sich auf Katinkas dreißigstem Geburtstag kennengelernt. Burghard Schöller fand ihn für seine Tochter zu langweilig, was zu einem ziemlich heftigen Wortwechsel zwischen ihr und ihm geführt hatte, bis sich die Wogen wieder geglättet, als ihr einfiel, daß Markus schließlich nicht als Ehemann auf dem Prüfstand gelangt war und sich eine Diskussion deswegen eigentlich von selbst verbot. Wenn es ihr Spaß machte, mit ihm essen oder ins Theater zu gehen, sollte man sie gefälligst lassen!
Es klingelte, dann wurde die Tür aufgeschlossen. Ihr Vater war gekommen. Er war immer sehr rücksichtsvoll, wie er glaubte. Das Klingeln hieß »Ich komme jetzt rein« und würde ihr im Notfall nicht mal die Zeit lassen, sich schnell einen Bademantel anzuziehen und den »Liebhaber« im Schrank zu verstecken, weil er kaum eine Minute verstreichen ließ, bis er die Tür aufschloß. Sie mußte jedesmal darüber lächeln.
»Hallo, niemand zu Hause?« rief er mit seiner tiefen, angenehmen Stimme.
»Ich komme schon. Guten Morgen, Papa. Oh, eine neue Krawatte?«
Seit er nicht mehr im Dienst war, hatte er sein Faible für bunte, ziemlich abenteuerliche Krawatten entdeckt. Er war sehr stolz darauf, die absonderlichsten Exemplare zu finden. In der Weihnachtszeit trug er solche mit lauter Nikoläusen, zu Ostern tummelten sich Osterhasen oder bunte Eier darauf. Heute waren es vom Wind gepeitschte Palmwedel. Es war Frühsommer.
»Ka, ich habe eine neue Quelle entdeckt. Die Frau bemalt sie alle selbst. Man kann auch Motive bestellen.«
»Das hast du doch nicht etwa vor?« fragte Katinka ahnungsvoll.
»Ich dachte, wenn ich zu unserer jährlichen Zusammenkunft gehe, könnte ich mir eine mit lauter Revolvern machen lassen. Wäre doch lustig. Und wenn ich meinen ehemaligen Bereichsleiter ärgern will, schenke ich ihm eine.«
Er grinste von einem Ohr zum anderen und sah keinen Tag älter als fünfzig aus. Katinka fragte sich manchmal , ob sie eines Tages mit einer Stiefmutter rechnen müßte. Eigentlich war er noch zu jung und agil, um immer allein zu bleiben. Aber dazu äußerte er sich nie.
»Wo ist denn mein krankes Hühnchen? Ich habe ihr etwas mitgebracht…«
»Ich bin im Bett, Opa!« rief Julia fröhlich.
»Ich muß los, Papa. Wenn etwas ist, kannst du ja anrufen.«
»Wir kommen schon klar. Geh nur. Viel Spaß, mein Deern.«
Er küßte sie auf die Wange. Katinka freute sich immer wieder darüber, daß er mit Zärtlichkeiten so freimütig umging. Viele Väter waren da gehemmter, wie sie noch von ihren Freundinnen aus der Kinderzeit wußte.
»Tschüß, Julchen!«
»Tschüß, Mama«, rief Julia zurück.
Sie hatte ihre Schmerzen vergessen. Erleichtert verließ Katinka das Haus.
Auf dem Weg zur Versicherung kaufte sie noch schnell ein paar Blumen für ihren Schreibtisch. Sie mochte solche Kleinigkeiten, die die Arbeit versüßten. Noch lieber wäre es ihr, wenn sie ihre neue Kollegin endlich dazu bewegen könnte, nicht immer so ein sauertöpfisches Gesicht zu machen. Aber sie saß ihr erst seit vier Wochen gegenüber, man sollte die Hoffnung nicht aufgeben.
»Guten Morgen!« wünschte sie dann auch möglichst heiter, als sie das Büro betrat.
Die Umgestaltung zum Großraumbüro war Gott sei Dank verhindert worden. Katinka stellte es sich gräßlich vor, in solchen Sälen zu arbeiten, wo einer den anderen störte.
»Morgen«, kam es dumpf zurück.
Birgit Mühlgraf litt unter chronisch verstopfter Nase, wofür sie natürlich nichts konnte. Vielleicht machte sie das so mürrisch.
Katinka stellte die Blumen in eine schöne leuchtendblaue Glasvase. Unter den mißbilligenden Augen ihrer Kollegin plazierte sie sie dann auf dem Schreibtisch.
»Ich bin gegen Narzissen allergisch.«
»Wie? Oh, tut