Der Duft der Aprikosen. Jutta Mattausch

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Der Duft der Aprikosen - Jutta Mattausch

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zur Hauptstraße hinunter. Zunächst zum Kooperative-Laden, in dem staatlich subventionierte Butter, Öl, Salz und Teepulver verkauft wurden. Allerdings stand ich, wenn ich den Auftrag hatte, etwas einzukaufen, oft vor leeren Regalen, und immer schimpfte Api, wenn ich mit leeren Händen zurückkam. »Wer vom Personal hat wieder die Sachen auf dem Schwarzmarkt verkauft!«

      Dieses Mal kümmerte ich mich jedoch nicht um Lebensmittel, sondern lief weiter über den staubigen Platz vor unserem kleinen Tempel, wo die öffentlichen Dorfversammlungen stattfanden, und schaute bei Dolma Tsering vorbei. Ihr Teashop bestand aus einem einzigen Raum mit spärlicher Einrichtung: ein zweiflammiger Kerosinkocher, zwei Holzbänke und ein wackliger fleckiger Tisch. Auf einem Regal lagen ein paar vergessene Kekspackungen. Nachdem Tante Dolma Tserings Teashop der einzige im Dorf war, legten die Lkw-Fahrer hier ihre Pausen ein, und auch jetzt stand ein grüner Lastwagen an der Straßenseite. Tundup drückte sich oft hier herum. Heute allerdings nicht.

      Viel später fand ich ihn, und zwar auf der Sommerweide. Er saß auf unserem Stein, die langen dünnen Beine ans Kinn gezogen, und starrte ins Wasser. Ich setzte mich neben ihn und wir schwiegen beide ziemlich lange. Ich schaute ihn von der Seite an. Tundup war schlaksig und sehnig, sein Blick intensiv, und das schmale Gesicht umrahmten widerspenstige Locken.

      »Denk bloß nicht, ich hätte Lust auf Schule«, begann Tundup das Gespräch. »In einem Zimmer sitzen und schreiben, bis einem die Finger krumm werden.«

      »Dann geh einfach nicht hin!« Mein Vorschlag war kühn, doch ich musste Tundup auf meine Seite ziehen. »Mit mir würde das keiner machen.«

      Tundup zuckte die Schultern. »Ich muss. Vater will das. Er will mir damit ein Geschenk machen.« Ein schiefes Lächeln huschte über sein schmales Gesicht. Er überlegte kurz, bevor er langsam fortfuhr. »Überleg doch mal. Ein Mon-Junge, der nicht nur trommeln, sondern auch lesen, schreiben und rechnen kann! Das ist auch nicht übel.«

      Dann versicherte er mir, dass er möglichst oft auf unsere Weide kommen wolle. Doch es war ein schwacher Trost. Ich glaubte ihm nicht, schließlich war er ja einverstanden mit den Plänen seines Vaters. Damit hatte ich kein Argument mehr. Wir machten uns noch eine Zeit lang gegenseitig Mut, versprachen einander, uns oft zu treffen. Doch im Herzen hatte ich verstanden: Mein bester Freund würde bald andere Wege gehen.

      Mit fiel ein, dass Vater mir aufgetragen hatte, einen Korb Äpfel an der Straße zu verkaufen. Zusammen mit Tundup war das Verkaufen immer ein Spaß gewesen, zumal wir als Belohnung von unserem Verdienst Süßigkeiten bei Onkel Sonam kaufen durften. Tundup war sofort bereit mitzukommen und für eine Weile vergaßen wir unseren Zwist.

      Am Straßenrand saßen schon ein paar Nachbarn mit Äpfeln, Aprikosen und Kartoffeln im Schatten der Pappeln und warteten auf die Lastwagen. Da wir am Ortseingang positioniert waren, hatten wir gute Kundschaft, sodass unser Korb bald leer war.

      »Was wirst du nehmen?«, fragte Tundup, während wir über den aufgeheizten Asphalt trabten.

      Vater hatte mir eine Rupie vom Verdienst erlaubt, das machte fünfzig Paisa für jeden. Ich überlegte. Eine Handvoll Bonbons. Oder wir würden eine Packung Kekse nehmen. In Vorfreude ließ ich die Münzen in meiner Hand klimpern.

      Onkel Sonams Laden war ein Holzverschlag, in dem er zwischen seinen Waren hockte, während er auf Kundschaft und Unterhaltung wartete. Auf den Regalen türmten sich Tee, Salz, Öl für die Butterlampen, weiße Glücksschals, Seife, Streichhölzer, Bleistifte, Gummischuhe, bunte Gebetsfähnchen, Bonbons, Schuluniformen, Kleiderseife und glitzernde Armreifen aus Plastik. Tundup und mich interessierte besonders das linke vordere Regal, auf das Onkel Sonam leider ein wachsames Auge hatte. Hier standen nämlich die Salzkräcker und die süßen »glucose biscuits«, außerdem staubgetrübte Gläser, gefüllt mit herrlichen Kaubonbons. Wir entschieden uns für biscuits und Onkel Sonam schenkte uns noch zwei Bonbons und ein Päckchen Streichhölzer dazu.

      »Dein Vater hat Stifte und Hefte gekauft. Dann kann es ja losgehen«, wandte sich Onkel Sonam zu Tundup und lächelte ihn leutselig an.

      Ich ärgerte mich über seine netten Worte, immerhin hatte er in der Frühe am Bach Tundup mitsamt seiner Familie noch lächerlich gemacht. Offen ins Gesicht wollte es ihnen also niemand sagen, was die meisten Nachbarn dachten: Ein Skandal, dass der Mon-Junge Tundup die Schule besuchen würde.

      Oft heißt es, in der ladakhischen Gesellschaft habe es keine Klassenunterschiede gegeben, aber das stimmt nicht. Auch bei uns waren manche Menschen von Geburt an niedriger gestellt. Dabei waren die sogenannten unteren Stände aus dem Dorfleben nicht wegzudenken.

      In Ladakh gab und gibt es bis heute drei Gruppen der unteren Gesellschaftsschichten, der Rigsnan: die Garba (Schmiede), die Beda und die Mon. Wir hatten drei Garba-Familien im Dorf. Sie bauten Lehmöfen für die Küchen, schmiedeten Bukhari, metallene Schüsseln zum Heizen, schärften Äxte und Pflüge. Außerdem stellten die Garba Ohrringe und Amulette her und beschlugen Pferdehufe.

      Die beiden anderen Gruppen, die Beda und die Mon, waren Musikanten. Kein Fest war ohne Musikanten vorstellbar. Eine Hochzeit, ein Geburtsfest, ein Tempelfest konnte erst beginnen, wenn die Trommler und Flötisten eingetroffen waren. Die Beda, ursprünglich Bettelmusikanten, spielten Flöte, die Mon waren die Trommler. Zum Musizieren waren Spieler für eine große sowie für eine kleine Trommel nötig, die beiden mussten stets zusammen sein.

      Tundups Vater spielte die große Trommel. Die zweite Mon-Familie hatte die kleine Trommel, und eine dritte Familie war für die Flöte zuständig. Als Gegenleistung für ihre Dienste versorgten die Dorfleute die Rigsnan mit allem Nötigen. Zur Erntezeit etwa rief man ein Mitglied aus jeder Familie ins Haus, das in seinen Korb so viel Getreide packen durfte, wie es tragen konnte. Da Rigsnan nur wenige oder gar keine Felder besaßen, wurden sie mit ausreichend Chang und Tsampa entlohnt und verkauften, was sie nicht selbst verbrauchten, in Leh auf dem Markt. Materiell ging es den Angehörigen der niederen Kasten also nicht schlecht, allerdings mussten wir anderen im Umgang mit ihnen einige Regeln einhalten:

      War ein Rigsnan in einem Haus eingeladen, musste er nahe der Tür sitzen und durfte nicht zu den besseren Sitzplätzen vorn am Ofen aufrücken. Man trank nicht aus demselben Glas und teilte keinen Teller mit ihm, weshalb er sein Essen und Trinken in einem speziellen, dafür reservierten Geschirr erhielt. Auch sollte niemand etwas essen, das ein Rigsnan zubereitet hatte. So weit zu den gesellschaftlichen Vorschriften. Allerdings gab es zum Glück einige Leute im Dorf, zu denen etwa Onkel Angchuk und meine Api gehörten, die sich darum überhaupt nicht kümmerten.

      Ich erinnere mich, wie der kleine Trommler eines Tages mit einer Flasche Chang und einem Katak in unserem Garten stand. Ob er wohl einmal mit Api sprechen könne, fragte der Trommler zaghaft meine Mutter, die ihn zufällig hatte kommen sehen.

      »Was willst du?«, fragte Mutter argwöhnisch, Apis großzügige Art war weithin bekannt.

      »Ein Dzo möchte ich kaufen«, erklärte der Trommler kurz darauf, als er mit Api in der Küche saß. »Meine kleinen Felder können meine Familie nicht ernähren. Mit einem Dzo als Lastenträger dagegen kann ich einen Handel mit den Nomaden im Changtang aufbauen.«

      Api hörte interessiert zu.

      »Tausend Rupien für ein Dzo, Api, nur ausleihen. Du bekommst dein Geld bald zurück.«

      »Gib dem Mon-Ashang das Geld«, befahl sie Mutter, die dem Gespräch aus sicherer Entfernung zugehört hatte.

      Mutter wand sich. »Dem Mon willst du Geld leihen?«

      »Genau!«, antwortete Api harsch. »Er will rechtschaffen Handel treiben und er hat das Recht auf eine Chance. Und du,

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