Der Duft der Aprikosen. Jutta Mattausch

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Der Duft der Aprikosen - Jutta Mattausch

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benahm ich mich entsprechend, stellte mich steif, schrie und kickte mit den Beinen, aber Mutter blieb ungerührt und sagte nur: »Du verschmutzt das Haus nicht mit deinen Läusen!« Natürlich kamen meine Geschwister ebenso an die Reihe, sie benahmen sich allerdings anständiger.

      Ich besaß zwei Kleidungsstücke: eine alte Goncha und eine neuere Goncha. Dem jeweiligen Anlass entsprechend wechselte ich, im Winter jedoch trug ich beide Gonchas übereinander. Dabei änderte sich die Passform: Eine neue Goncha bekam ich erst dann, wenn ich aus der alten herausgewachsen war, also wenn sie unter den Achseln zwickte und auf Höhe der Knie endete. Ebenso variierte die Farbe in unterschiedlichen Rottönen, je nachdem, welcher Farbton im Dorfladen bei Onkel Sonam gerade vorrätig war. Die Goncha meines Freundes Tundup war immer weiß. Weiß bedeutete, dass die Familie kein Geld für Farbe hatte. In Wirklichkeit war Tundups Goncha natürlich nicht weiß – der Stoff glich einem Farbkasten, in dem sich seine Aktivitäten widerspiegelten. Graue Asche, rote, grüne und gelbe Flecken, braune und dunkelgrüne Verfärbungen.

      Im Winter trug ich unter den Gonchas eine Hose. Meine Hosen hatten immer drei Schlitze gehabt. Da war einmal der lange Schlitz im Schritt. Dieser war sehr praktisch, weil ich mich ohne Umstände hinhocken konnte, wenn ich musste. Die beiden anderen Schlitze verliefen seitlich entlang der Naht. Sie waren gerade breit genug, um durchzugreifen und meine Haut zu kratzen, weil der Stoff aus Schafwolle wirklich rau war oder weil im Winter unsere Körperpflege dürftig ausfiel oder eben wegen der Läuse.

      Schließlich will ich dir, Sonja, meine Geschwister vorstellen: Der Älteste von uns war mein Bruder Tenzin, nach ihm kamen Yangchen und Dolma auf die Welt. Als viertes Kind wurde ich geboren. Einige Jahre später kam als Nachzüglerin meine Schwester Dolkar. Zu ihr hatte ich eine besonders innige Verbindung; ich trug sie auf meinem Rücken, wenn Mutter auf dem Feld arbeitete, und kochte ihr Gerstenbrei, sobald sie nach dem Mittagsschlaf ihr Köpfchen aus dem Küchenfenster steckte und nach mir rief.

      Da mein Bruder Tenzin der erstgeborene Sohn war, würde er später den Großteil des Erbes bekommen, also den Bauernhof mitsamt Haus und Tieren. Deshalb war Vater besonders an Tenzin als dem künftigen Familienoberhaupt gelegen. Er tat alles, damit er ein würdiger Nachfolger unseres Hausstands wurde, und so war Tenzin nicht nur in der Schule angemeldet, er sollte sogar eine Mittelschule besuchen. Allerdings zeigte mein Bruder kein Interesse an Vaters Plänen. Er schwänzte den Unterricht, mochte aber ebenso wenig die Arbeit auf dem Feld. Mit einem Wort: Mein Bruder war ein Faulenzer.

      »Tenzin, du Nichtsnutz. Steh endlich auf und sieh zu, dass du etwas lernst.« Wie oft hat Api zu der Wolldecke hinüber geschimpft, unter der Tenzin zusammengerollt in den hellen Tag hinein schlief. In letzter Sekunde hängte er sich mürrisch seine Schreibtafel über die Schulter und trödelte den Weg zum Schulhaus entlang. Damals beneidete ich meinen Bruder nicht. Ich genoss die Freiheit auf der Weide mit meinen Freunden.

      Auch Yangchens Zukunft war absehbar. Als älteste Tochter konnte sie mit einer großen Hochzeit rechnen und in eine angesehene Familie einheiraten. Da Vater fand, dass auch seinen Mädchen Yangchen und Dolma vor ihrer Heirat ein wenig Bildung nicht schaden könne, durften sie ebenfalls die Schulbank drücken. Mir dagegen sollte als zweitgeborenem Sohn die Hirtenarbeit bleiben, und später sollte ich ins indische Militär eintreten. Api gefielen Vaters Pläne für mich nicht.

      »Wir sind friedliche Menschen und leben nach Buddhas Lehre«, wetterte sie, »in unsere Familie kommt kein Gewehr.«

      Meine Mutter hielt sich aus diesen Diskussionen heraus. Sie war der ruhende Pol in unserem Haus und zu jedem freundlich, solange er keine Gefahr für ihre Familie darstellte. In meiner Erinnerung sehe ich Mutter vor dem Herd sitzen, das Kopftuch nach hinten geschoben, wie sie in das kleine Loch pustet und die Glut anfacht. Da der getrocknete Dung und das Gestrüpp die Küche mit beißendem Qualm durchsetzten, litt Mutter häufig an entzündeten Augen. Wenigstens hatte unser Haus über dem Ofen ein Loch in der Decke, durch das der Qualm abzog. Viele Nachbarn wie Tante Palmo fürchteten, durch ein solches Loch könnten böse Geister ins Haus dringen, und hatten keinen Rauchabzug. Tante Palmos Augenentzündungen waren deshalb noch schlimmer als die meiner Mutter.

      Das Kücheninventar hatte Mutter bei ihrer Hochzeit in unser Haus mitgebracht. Ihre Krüge, Teller und Teekannen standen ordentlich auf den schmalen Holzregalen an der Küchenwand, doch ihr ganzer Stolz waren zwei Kochtöpfe aus gebranntem Ton. Das Essen aus diesen Töpfen hatte einen speziellen süßlich-würzigen Geschmack nach fruchtbarer schwerer Erde. Eine Rarität war ein Kochtopf aus schwarzem Stein. Der Stein stammte aus einer Gegend nahe der Grenze zu Pakistan. Dolatik, so hieß diese Region, lag direkt an der alten Seidenstraße, und es hieß, es sei eine trockene Steinwüste, übersät mit Skeletten von Menschen und Tieren. Mutter stammte aus einer ordentlichen Familie vom Nachbarort und als ältester Tochter war ihr das Erbe ihrer Mutter zugefallen: Der große Perak mit den schweren Türkisen, massive Ohrringe aus Gold und mehrere Ketten mit Türkisen und Korallen lagen nun im Nachbarzimmer in ihrer Truhe.

      Der Garten lag in trübem Grau im ersten Morgenlicht, als sich Api mit ihren beiden Eseln auf den Weg machte. Die Tiere trugen schwer an den mit Aprikosen und Äpfeln gefüllten Säcken. In der Seitentasche steckten ein Beutel Tsampa, Brotfladen vom Vortag, ein paar Flaschen Chang und Buttermilch als Proviant. Ich begleitete Api bis zu den letzten Häusern des Dorfs, und erst nachdem sie mir ein Geschenk aus der Stadt versprochen hatte, kehrte ich um. Dabei ging mir seit dem vergangenen Abend Mutters Satz im Kopf herum: Tundup soll zur Schule gehen! Es war für mich unvorstellbar. Mein bester Freund würde dann nicht mehr mit uns auf der Weide sein. Wie sollte das gehen, ein Sommer ohne Tundup?

      Als ich zu Hause ankam, machte sich Vater für sein allmorgendliches Bad am Bach fertig. Er hatte Kamm und Zahnbüste von dem Holzregal geholt, ein Handtuch über die Schulter geworfen. »Nunu Norbu, komm mit, eine ordentliche Wäsche wird dir nicht schaden.«

      Natürlich würde ich Vater begleiten, am Bach konnte ich bestimmt mehr über Tundups Pläne erfahren. Er drückte mir ein Stück hellrote, beißend süßlich riechende Seife in die Hand. Auf beiden Seiten war der Schriftzug »Lifeboy« eingeprägt.

      »Ach, es gibt frische Seife«, stellte ich zufrieden fest.

      Vater zwinkerte mir zu, wobei sich sein schmales Schnurrbärtchen nach oben verschob. »Wir haben eine neue Lieferung bekommen.«

      Er hatte eine Anstellung bei der Regierung als Kontrolleur im Straßenbau und dadurch kam unsere Familie zu einigen Privilegien, die nur wenige Leute im Dorf genossen: Wir erhielten Reis, Zucker und gesüßte Milch in Konservendosen, außerdem Zahnpasta, Seife und Rasierklingen. Mit solchen Kostbarkeiten war Vater der Mittelpunkt am Waschplatz, zumal er von Natur aus großherzig war – allerdings mit einem Kalkül im Hinterkopf, das er uns Kindern oft einbläute: »Wer etwas bekommen will, muss auch geben können.« Das eine gab es nicht ohne das andere. An diesem Punkt war Vater mit Api einig. Api formulierte ihren Lieblingssatz wie immer drastischer: »Wer bloß immer haben und nichts geben will, wird als Hungergeist wiedergeboren.«

      Hungergeist! Schon dieses Wort jagte mir Angst ein. Im Reich der Hungergeister, erklärte Api, besitzt ein Mensch zwar alle Reichtümer. Doch ist der Hals so eng zugeschnürt, dass kein Essen durchrutschen kann. Deshalb muss dieser Mensch, obwohl er alles haben könnte, elend Hunger leiden. Irgendwann hatte ich verstanden: Die Habgier verschloss nicht nur das Herz, sondern auch den Hals.

      »Bist du so weit?« Vater riss mich aus meinen Gedanken.

      »Ja, Vater, natürlich«, antwortete ich eilig, dann liefen wir über die Wiese zum Bach hinüber, in dem frisches Wasser vom Gletscher uns erwartete. Der Gletscher, wir nannten ihn den »Hausgletscher«, lag zwei Gehstunden oberhalb des Dorfs in einem Hochtal. Wir verdankten diesem Wasser das Gedeihen der Felder, Gemüse und Obst und überhaupt das Leben im Dorf. Seit vielen Generationen wurde das Schmelzwasser über Kanäle ins Dorf heruntergeleitet. Ein großer

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