Der Duft der Aprikosen. Jutta Mattausch
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Читать онлайн книгу Der Duft der Aprikosen - Jutta Mattausch страница 11
Einige Nachbarn waren bereits da. Die Frauen hatten sich bei den Weidenbäumen eingerichtet und säuberten sich mit frischen Zweigen die Zähne. Vater und ich stellten uns zu den Männern.
»Julley, Dorje Phuntsog, wie geht es dir? Geht es gut?«, begrüßten sie meinen Vater, rückten zur Seite und nahmen uns in ihrer Mitte auf. »Dorje Phuntsog, hast du eine Zahnbürste dabei?«
Mein Vater antwortete launig: »Nehmt euch ein Vorbild an euren Frauen, so putzt man Zähne.«
»Aber, Dorje Phuntsog, du hast eine Zahnbüste, nicht wahr?«
Die Frauen lachten und eine rief zu uns herüber: »Wenn du eine Zahnbürste hast, gib sie mir.«
»Nein, ich will die Zahnbürste«, unterbrach eine andere Frau. »Du würdest sie mir doch geben, oder?«
Während die Zahnbüste also rundum ging, Vater nun auch unsere Lifeboy-Seife herumreichte, hockte ich auf einem flachen Steinvorsprung auf meinen Fersen, streckte die Hände in das eiskalte Wasser und wartete, bis die interessanten Themen kämen.
»Dorje Phuntsog, hast du auch deinen Kamm dabei?«, rief eine Nachbarin von der Frauenseite herunter.
Normalerweise wurden Kämme aus dem gesägten und gefeilten Horn der Schafböcke verwendet. Allerdings meinten die Frauen, dass solche Hornkämme empfindlich rupften.
»Komm nur, Tante.« Mein Vater holte jetzt auch seinen Kamm heraus, einen Kamm aus hellbraunem glattem Plastik. Nun kamen die Frauen herbei und öffneten ihre langen Zöpfe.
»He, Mutter, ich komme zuerst dran.«
»Nein, Dorje Phuntsog hat mir den Kamm gereicht!«
Nun waren die Zinken von Vaters Plastikkämmen so schmal und fein, dass auch die Kopfläuse hängen blieben – eigentlich ein Vorteil. Jedoch nicht, wenn es sich um die Läuse der Nachbarn handelte. Wegen dieser Kämme hatten wir zu Hause oft Streit, wenn Nachbarn unter einem Vorwand kamen, es aber letztlich bloß auf Vaters Plastikkamm abgesehen hatten.
»Brauche ich noch mehr Läuse im Haus, als hätten wir nicht genug!«, schimpfte Mutter.
»Obendrein soll ich den Besuchern noch Buttertee und Tsampa anbieten.«
Eines Morgens riss meiner Mutter der Geduldsfaden. Der zweite Besucher hatte gerade frisch gekämmt unser Haus verlassen, als sie den Kamm mit festem Griff an sich nahm. Es folgte ein lautstarkes Knackgeräusch. Vorsichtig schaute ich zu Mutter hinüber. Zufrieden betrachtete sie die beiden Teile des auseinandergebrochenen Kamms, dann legte sie die größere Hälfte auf die Ablage in unserer Küche zurück. Die kleinere Hälfte knotete sie an ein dickes Schwanzhaar, das von unserem Yakbullen stammte, und hängte es an einem Nagel vor der Haustür auf. »So, jetzt kann sich kämmen, wer will«, meinte sie zufrieden und schloss die Haustür hinter sich.
Jetzt, endlich, kam das Thema auf meinen Freund Tundup. Ich horchte aufmerksam.
»Habt ihr schon gehört? Der kleine Tundup aus der Trommlerfamilie wird zur Schule gehen.« Es war Onkel Sonam vom Dorfladen, der wie immer als Erster die Neuigkeit wusste. »Stellt euch das mal vor.«
»Nicht zu glauben. Ein Mon-Junge in der Schule! Hat man schon solchen Unsinn gehört?«, erwiderte ein Nachbar und lachte.
Auch mein Vater nickte: »Wozu sollte ein Mon zur Schule gehen? Zum Trommeln brauchst du weder Lesen noch Rechnen.«
»Bald kommen dann selbst die Kinder der Garba zur Schule«, spottete Onkel Sonam, »das wäre noch schlimmer.«
»Wo kämen wir da hin? Keine Musikanten und keine Schmiede mehr im Dorf, wenn alle nur noch Bildung wollen.«
»Onkel Angchuk wird nicht begeistert sein. Einen besseren Hirten als den kleinen Mon-Tundup wird er nicht bekommen.«
»Ja, er hat das richtige Händchen für die Tiere.«
Alle redeten aufgeregt durcheinander und so bemerkte niemand, dass Onkel Angchuk gekommen war.
»Nun macht einmal Pause.« Wegen Onkel Angchuks tiefer, voller Stimme und auch, weil er zu den größten Bauern zählte, wurde es augenblicklich still. Man scharte sich um ihn, und weil Onkel Angchuk unsere nächste Verwandtschaft war, drängelte ich mich nach vorn, um nichts zu verpassen.
»Der Vater des kleinen Mon-Tundup kam vor zwei Tagen zu mir und bat mich um die Entlassung seines Sohnes.« Onkel Angchuk holte tief Luft, während wir mit angehaltenem Atem lauschten: »Er hat eine gute Entscheidung getroffen. Auch ich meine, dass der Sohn eines Trommlers zur Schule gehen sollte.«
Damit war für Onkel Angchuk die Sache erledigt. Er holte seine Seife heraus und setzte sich seelenruhig an den Bach.
Meine Wangen brannten, benommen ging ich zwischen den Menschen hindurch, hörte sie reden über diese unerhörte Neuigkeit. Sobald ich außer Sichtweite war, rannte ich los. Ich rannte über die Felder, die Straße hinab, ich rannte, bis ich keine Luft mehr bekam und die Landschaft vor meinen Augen verschwamm. Wie konnte Tundup nur zu den anderen wechseln? Einfach so? Die anderen, das waren immer die Schulkinder gewesen. Wenn wir frühmorgens mit unserer Tierherde zur Sommerweide liefen, begegneten sie uns in ihrer adretten Uniform: blauer Pullover, braune Hosen, Turnschuhe mit Schnürsenkeln. Bald sollte Tundup zu denen gehören. Das hieße, ich würde ihm morgens begegnen, aber wir würden getrennte Wege gehen. Einfach unvorstellbar.
Ich beschloss, mit ihm zu reden. Gewiss klärte sich alles auf.
Vater sah es nicht gern, wenn ich ohne wichtigen Grund zu einer unserer beiden Mon-Familien im Dorf ging. Mir aber war es egal, dass die Mon zu der niederen Schicht gehörten, ich hatte nie über soziale Grenzen nachgedacht.
Tundup lebte mit seiner älteren Schwester Angmo und den Eltern in einem Häuschen. Ein paar Sonnenblumen standen im Garten, ein Beet mit Blumenkohl, Spinat und Kartoffeln, ein paar Weidenbäume. Kein einziger Obstbaum.
Als ich den Türriegel aufschob, begann der Hofhund zu kläffen und zerrte an seiner Kette. Angmo kehrte gerade den Hof. Sie war für mich das hübscheste und fröhlichste Mädchen der Welt. Angmo hatte das runde helle Gesicht eines Vollmondes, große schwarze mandelförmige Augen, sie bewegte sich weich und biegsam wie eine Silberpappel. Mein Herz machte einen Sprung, als ich sie sah. Angmo war einige Jahre älter als ich und ich war immer verlegen und schüchtern in ihrer Gegenwart, dabei behandelte sie mich so freundlich. Alles fühlte sich bei ihr leicht und selbstverständlich an.
»Julley, Nunu, du warst lange nicht hier.«
»Julley, Angmo. Ich suche Tundup. Ist er zu Hause?«, murmelte ich.
»Nein, keine Ahnung, wo er steckt. Eigentlich sollte er zu Hause sein, wir müssen noch einiges für die Schule vorbereiten. Bei Onkel Sonam haben wir schon Stifte und zwei Hefte eingekauft.« Angmos Augen funkelten vor Stolz. »Du hast es gehört, nicht wahr?« Beiläufig stellte sie den Besen an die Hauswand und beugte sich zu dem Hund vor, der nun mit dem Schwanz wedelte und versuchte, ihr Gesicht abzulecken. »Vater meint, es ist wichtig, lesen und schreiben zu können.«
»Ja, natürlich, das sagte Onkel Angchuk auch.