Sinfonie des sonnigen Tages. Anja Hilling
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1. Crescendo (vorauseilendes Licht)
Die Komposition gibt einen kurzen Vorgeschmack, lässt die auftretenden Körper und Gedanken einmal ineinander stürzen als das was sie sind, Illusionen, weiche Substanzen in ständiger Wechselwirkung mit der ewig wütenden Materie. Gleich Instrumenten, die bewegt werden von einem Stoff, der weit über ihre Einzelwirkung hinausreicht, werden drei Menschen aufeinander geworfen, getrennt, von ihrem Wesen abgestoßen, um sich am Ende der Bewegung wiederzufinden, fast zufällig, an einem wesenlosen Ort. Die Musik wird das Ende nie vergessen.
2. Nacht (steigender Lärm, wachsende Angst)
Die Musik beginnt ihre Reise, leise, am Anfang des Tages, mitten in der Nacht, in der Dunkelheit, die wie stürzende Steine im Meer fremde Klänge heimatlos ins Unbewusste integriert.
Ricarda.
Was ist das für n Lärm.
Die Nacht wird unterbrochen von der Notbeleuchtung einer Ferienanlage, dreihundert Meter vom Strand entfernt. Die Anlage zählt dreiundzwanzig identische Bungalows. In diesem hier, mit der Nummer elf, befinden sich ein Tisch, zwei Stühle, ein Spiegel, ein Bett, ein Mann und eine Frau.
Ricarda
Ralf.
Der Mann und die Frau schlafen nackt. Aus hängengebliebener Gewohnheit. Ihre Blicke gehen in die gleiche Richtung. Er liegt hinter ihr, sein schwerer Arm auf ihrer Hüfte, sein Atem in ihrem Nacken.
Ricarda
Dreh dich um.
Er schläft. Sie nicht. Auf dem Steinboden stehen zwei Whiskygläser. Sie hat ihren ausgetrunken. Er seinen nicht. Der Lärm der Umgebung bewegt die Flüssigkeit.
Ricarda
Bitte.
Zwei Hütten weiter wird sich geliebt, direkt nebenan läuft ein Film in fremder Sprache, und der Ozean, unterbrochen von den Bässen der letzten Strandbars, dröhnt ins Rattern der Gedanken.
Ricarda
Dreh dich um.
Über ihnen schwirrt ein Ventilator. Unter ihnen rasen die Wanzen durch den Schaumstoff der letzten zwanzig Jahre.
Ricarda
Bitte Ralf.
Sie greift nach seinem Whiskyglas. Will das Glas umkippen. Seins in ihrs. Lässt es sein. Es wär immer noch zu viel. Von ihm in ihrem Glas.
Ricarda
Bitte. Dreh. Dich. Um.
Sein Atem schlägt in ihren Nacken. Laut. weich. Feucht. Mit der linken Hand knallt sie einen Moskito an die hellhörige Wand.
Ralf
Wie lieb von dir.
Ricarda
Du musst dich umdrehen.
Ralf
Warum.
Ricarda
Dein Atem kriegt hier so was Säuerliches.
Ralf
Rassist.
Er dreht sich um. Die Luft des Ventilators schlägt schnell und hart auf den Kreis seines Haarausfalls.
Ricarda
Warum schläfst du so viel.
Ralf
Ich hab was Verrücktes geträumt Ric.
Ricarda
Das hab ich nicht gefragt.
Ihr Blick rast in einen Mückenstich in seinem Nacken. Mit den Augen öffnet sie den Stich, rutscht durch das Gift in die Leere seiner Gänge.
Ralf
Ich hab geträumt.
Jemand reißt mir den Magen auf.
Von unten mit einem Taschenmesser.
Für einen Moment ist nichts zu hören außer dem Klang ihrer unausweichlichen Gegenwart, zwei sich widersprechende Rhythmen, magnetisch und abstoßend zugleich. Zwei eigenständige Melodien, die sich, ohne einander, verlieren würden im Raum.
Ralf
Wo gehst du hin.
Ricarda
Joggen.
Ralf
Wir sind hier um uns zu erholen.
Ricarda
Von was denn.
3. Strom (geschlossenes Kreisen)
Der Blick rast, am Körper vorbei, über die Terrakottaterrasse, verirrt sich im Labyrinth der Übersichtlichkeit, unter brummenden Strommasten über den Rollrasen, durch die Anlage, vorbei am Stoff trocknender Strandtage, durch Terrassenfelder bunter Bikinis, bleibt kurz hängen an einer gemieteten Geländemaschine. Kreuzt eine Straße. Weiter über sandigem Boden. Rauscht durch die Häuser einer anderen Anlage. Nicht teurer, nur näher am Meer. Rast weiter. Lauter, dunkler über den Strand. Erschrickt das Fell zweier schlafender Hunde. Rast durch den weißen Sand, fällt ins Meer. Weiter weiter dunkler stiller. Lautlos. Bis zum Aufklatschen auf der anderen Seite.
4. Raumverengung (Pick-up-Stimmen)
- Auf der anderen Seite
Achtzig Euro vom Meer entfernt
- Ein Pick-up wird beladen.
- Kartoffeln Kalaschnikows Schafe Menschen Gedanken. Ineinander verschlungen für den unbezahlbaren Lift zum Strand.
- Eine Frau landet auf einem Ersatzreifen.