Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman. Marisa Frank
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Die junge Frau hatte die letzte Stufe erklommen. Sie wollte gerade den Pavillon betreten, als sie im Dämmerlicht die dunkle Gestalt bemerkte, die dort zwischen den Säulen stand und über den Park schaute. Der Schmerz, der sie wie ein unsichtbarer Mantel umgab, schnitt ihr ins Herz. Lautlos wollte sie sich zurückziehen.
»Sie müssen Antonia sein.«
Antonia zuckte beim Klang der Stimmt zusammen. »Ja, Hoheit«, sagte sie und trat in den Pavillon. »Ich wollte Sie nicht stören, Prinz Leon. Bitte entschuldigen Sie.«
»Schon gut«, antwortete er und drehte sich ihr zu. Auf den Fotos, die sie von Louises Bruder kannte, war Prinz Leon ein äußerst gut aussehender Mann mit dichtem dunklem Haar und braunen Augen, die vor Leben nur so sprühten. Der junge Prinz sah noch immer gut aus, auch wenn er im letzten Jahr hagerer geworden war und sich rechts und links seines Mundes zwei tiefe Falten eingegraben hatten. »Sie arbeiten also inzwischen auf unserem Gestüt.« Er machte keine Anstalten, ihr die Hand zu reichen.
»Die Arbeit macht mir große Freude, Prinz Leon.«
»Das setzte ich voraus.« Er bedachte sie mit einem langen, abschätzenden Blick. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.« Abrupt drehte er sich um und starrte erneut in die Nacht.
Es gab einiges, was ihm Antonia gern gesagt hätte. Es fiel ihr schwer, darauf zu verzichten. Jetzt konnte sie ihre Freundin verstehen, die meistens ziemlich wütend von ihren Besuchen bei ihrem Bruder zurückgekehrt war. »Ihnen auch einen schönen Abend, Hoheit«, erwiderte die junge Frau und stieg die Treppe wieder hinunter.
Erst, als sie nach Hause zurückkehrte, fragte sie sich, weshalb sie sich so über das Benehmen des jungen Prinzen ärgerte. Hatte Louise sie nicht vor Leon gewarnt? Auf jeden Fall würden die nächsten Wochen alles andere als einfach werden, da war sie sich sicher. So wie sie Leon von Bernstett einschätzte, würde er mit eiserner Hand die Geschicke des Gestütes leiten.
*
Antonia von Vallone irrte sich nicht! Prinz Leon von Bernstatt war fest entschlossen, die Energie, die er bis zu seinem Autounfall in seine Reiterkarriere gesteckt hatte, nun auf die Leitung des Gestütes zu konzentrieren.
Keine zwei Tage nach seiner Rückkehr begann er damit, die Arbeit auf dem Gestüt völlig umzuorganisieren, womit er sich unter den Angestellten keine Freunde machte. Dazu kamen sein despotischer Führungsstil und sein fester Wille, jegliche Auflehnung gegen seine Anordnungen im Keim zu ersticken. Fürst Albert hatte seine Angestellten stets aufgefordert, eigene Ideen in die Arbeit mit einzubringen. So hatte er es nicht nur in der Porzellanmanufaktur gehalten, sondern auch auf dem Gestüt. Prinz Leon machte vom ersten Tag an klar, dass er keinen Wert auf die Ratschläge seiner Angestellten legte.
An diesem Vormittag hatte Antonia den Tierarzt bei seinem wöchentlichen Routinebesuch unterstützt. Als sie den Arzt zu seinem Wagen begleitete, der vor dem Hoftor geparkt stand, hörte sie, wie Prinz Leon ziemlich lautstark Bernd Fischer beschuldigte, eine der ihm anvertrauten Stuten zu vernachlässigen.
»Sieht aus, als wären auf dem Gestüt stürmische Zeiten eingezogen«, bemerkte der Tierarzt und stieg in seinen Landrover. »Haben Sie auf sich Acht, Frau von Vallone.«
»So leicht wirft mich kein Sturm um, Doktor Winkler«, antwortete Antonia. Mit halbem Ohr lauschte sie auf die Stimmen, die aus dem Futterlager kamen. Wenn es zwischen Fürst Albert und seinen Angestellten Meinungsverschiedenheiten gegeben hatte, hatte er stets dafür gesorgt, dass sie unter vier Augen stattfanden.
Nachdem der Tierarzt abgefahren war, setzte sie sich in das kleine Büro, das ihr zur Verfügung stand, und füllte einige Formulare aus. Sie war fast damit fertig, als Leon Prinz von Bernstett ohne anzuklopfen die Tür aufriss. »Weshalb haben Sie mich nicht vorher über den Besuch des Tierarztes informiert, Frau von Vallone?«, herrschte er sie an.
»Weil es sich um den wöchentlichen Routinebesuch handelte, Hoheit«, erwiderte Antonia und erhob sich. »Ihr Vater …«
»Wie mein Vater derartige Angelegenheiten regelt, interessiert mich nicht, Frau von Vallone«, erklärte der junge Prinz. »Habe ich nicht ausdrücklich klar gemacht, dass in Zukunft auf dem Gestüt nichts mehr ohne meine Genehmigung zu geschehen hat?«
»Mir war nicht bewusst, dass der Routinebesuch des Tierarztes auch dazu gehört.« Sie schaute ihm unerschrocken ins Gesicht. »Doktor Winkler ist seit dem frühen Morgen auf dem Gestüt gewesen. Sein Wagen stand neben dem Tor. Ganz gewiss haben Sie ihn auch gesehen.«
Leons Gesicht verfärbte sich. »Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, Frau von Vallone, hüten Sie Ihre Zunge.« Er drehte sich um und verließ das Büro. Krachend flog die Tür hinter ihm zu.
Antonia sah empört auf die geschlossene Tür. Seit sie ihre Arbeit auf dem Gestüt angetreten hatte, hatte es niemand gewagt, so mit ihr zu sprechen. Und sie musste sich das auch nicht gefallen lassen, zumal sie sich keines Unrechts bewusst war. Was bildete sich dieser Mann ein? Weder sie noch einer der anderen Angestellten trugen die geringste Schuld an seinem Unfall und dessen Folgen.
Wütend steckte sie die Formulare, die sie ausgefüllt hatte, in Klarsichthüllen, verstaute sie im obersten Schubfach ihres Schreibtischs und trat in den Hof hinaus.
Bernd Fischer kam aus dem angrenzenden Stallgebäude. »Unser Herr und Meister hat heute besonders gute Laune«, bemerkte er düster. »Wenn er so weitermacht, werden ihm die Leute davonlaufen. Mit seiner Sekretärin soll er sich heute auch schon angelegt haben.«
»Prinz Leon wird bald dahinterkommen, dass es so nicht geht«, antwortete Antonia. Sie überquerte den Hof und betrat das Bürogebäude. Durch die Glasfenster, die in einen breiten Korridor mündeten, konnte sie zwei Frauen vor ihren Computern sitzen sehen. Sie schauten nicht auf.
Mit einem Gruß betrat sie das Vorzimmer. »Ich hätte gern Seine Hoheit, Prinz Leon, gesprochen, Frau Stihl«, sagte sie zu Leons Sekretärin und ging zur Verbindungstür.
»Seine Hoheit möchte momentan nicht gestört werden, Frau von Vallone«, erwiderte die Sekretärin. Leise fügte sie hinzu: »Besser, Sie halten sich daran.«
»Nein, das werde ich nicht.« Entschlossen klopfte Antonia an die Verbindungstür und trat in das dahinterliegende Büro.
Leon von Bernstett zuckte heftig zusammen. Er hatte im Internet Fotos seines letzten Reitturniers abgerufen. »Was wollen Sie denn hier, Frau von Vallone?«, fragte er ärgerlich. »Ich hatte ausdrückliche Anweisung gegeben …« Er drückte auf den Einschaltknopf seines Wechselsprechers. »Frau Stihl, hatte ich Ihnen …«
»Frau Stihl kann nichts dafür«, fiel ihm Antonia ins Wort. »Sie sagte mir, daß Sie nicht zu sprechen sind.«
»Und warum dringen Sie dann hier ein?« Er schaltete den Wechselsprecher aus. »Wenn Sie denken, Ihre Freundschaft mit meiner Schwester …«
»Sie irren sich, Hoheit. Ich habe noch nie meine Freundschaft mit Ihrer Schwester in die Waagschale geworfen. Und Louise hat mit dem, was ich Ihnen zu sagen habe, auch nichts zu tun.«
»Was Sie mir zu sagen haben?« Die Lippen des jungen Prinzen verzogen sich spöttisch. »Da bin ich ja gespannt, was Sie mir zu sagen haben, Frau von Vallone.«
Antonia trat näher an den Schreibtisch,