Fürstenkrone Staffel 6 – Adelsroman. Marisa Frank
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Während er mit der Polizei in Freiburg telefonierte, blickte er aus dem Fenster seines Büros in den Hof hinaus. Antonia kam aus dem Stallgebäude, in dem sich Armands Box befand, überquerte den Hof und verschwand im Stall gegenüber. Er hörte das freudige Wiehern, mit dem sie von den Pferden begrüßt wurde.
»Haben Sie nicht heute einen freien Tag?«, fragte er, als sie wenige Minuten später im Hof zusammentrafen und er sah, dass sie dabei war, bei der Versorgung der Pferde zu helfen.
»Ich mache mir viel zu viel Sorgen um Armand. Da ein Großteil der Leute auf der Suche nach ihm ist, wird hier jede helfende Hand gebraucht.« Sie stellte die beiden Futtereimer ab. »Was hat die Polizei gesagt?«
»Sie ist auf dem Weg zu uns«, antwortete Leon. Er räusperte sich. »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Frau von Vallone.«
Antonia hob irritierend die Augenbrauen. »Sie entschuldigen sich bei mir?«, fragte sie verblüfft.
»Ja, ich habe Ihnen Unrecht getan. Ganz sicher sind Sie auch gestern Abend Ihrer Arbeit äußerst gewissenhaft nachgekommen.«
Prinz Leon bot ihr die Hand. »Darf ich Sie heute Abend zum Essen einladen?« Er hatte kaum die Einladung ausgesprochen, als er sich fragte, ob er den Verstand verloren hatte. Ihm lag nichts an dieser jungen Frau. Warum tat er sich das an?
Meinte er wirklich sie? Antonia konnte es kaum fassen. Nein, sie hatte nicht die geringste Lust, mit Prinz Leon den Abend zu verbringen. Da konnte sie sich wirklich eine angenehmere Gesellschaft vorstellen. Wie kam er überhaupt dazu, sie …
»Gern«, antwortete sie, während sie noch nach den passenden Worten suchte, seine Einladung auszuschlagen. Erschrocken zuckte sie zusammen. War sie irrsinnig geworden?
»Das freut mich«, sagte er mit belegter Stimme. »Da Ihnen Pferde genauso viel bedeuten wie mir, wird uns der Gesprächsstoff bestimmt nicht ausgehen.«
Antonia bückte sich nach den Eimern. »Bitte entschuldigen Sie mich, Hoheit.« Eilig betrat sie den Stall. Erst, als sie sich sicher war, dass der junge Prinz sie nicht mehr sehen konnte, setzte sie die Eimer erneut ab. Abwechselnd wurde ihr heiß und kalt. Das konnte alles nur ein Albtraum sein. Hatte sie wirklich zugesagt, am Abend mit Prinz Leon zum Essen zu gehen? Genügte es nicht, dass man Armand vermutlich gestohlen hatte? Musste sie sich auch das noch antun?
Im Hof hielt ein Wagen. Sie hörte die Stimme von Prinz Frederik. Sein Bruder antwortete ihm.
»Fühlen Sie sich nicht wohl, Frau von Vallone?«
Antonia hob den Kopf. »Es ist alles in Ordnung, Fred«, sagte sie zu dem Stallburschen, der sie angesprochen hatte. Sie nahm die Eimer auf und trug sie zu den hinteren Boxen. Prinz Leon hatte sie mit seiner Einladung völlig überrumpelt. Bis zum Abend musste ihr eine Ausrede einfallen. Sie konnte nicht mit ihm zum Essen gehen, das war unmöglich!
Und warum sollte es unmöglich sein, fragte eine innere Stimme. Warum sollte sie nicht mit ihm ausgehen? Dieser Abend konnte ihre Zusammenarbeit erleichtern. Vielleicht würde er in Zukunft umgänglicher sein und auch einmal nach der Meinung seiner Angestellten fragen und auf ihre Ratschläge hören.
Ihre Gedanken wandten sich erneut Armand zu. Dem Hengstfohlen ging es bestimmt gut. Wer immer es gestohlen hatte, er hatte gewiss nicht vor, ihm ein Leid zuzufügen, sondern wollte es zu einem hohen Preis verkaufen. Aber wer zahlte Unsummen für ein Fohlen, für das der Verkäufer keinerlei Papiere besaß und dessen Abstammung er nicht nachweisen konnte?
Im Hof hielt ein weiterer Wagen. Gleich darauf meldete ihr Fred das Eintreffen der Polizei. »Sie werden sehen, in ein paar Stunden ist Armand wieder bei uns, Frau von Vollone«, sagte er zuversichtlich.
Ich wünschte, ich könnte daran glauben, dachte Antonia. Der Dieb hatte bestimmt dafür gesorgt, dass das Fohlen so schnell wie möglich außer Landes gebracht wurde. Armand konnte seit Stunden in der Schweiz oder in Frankreich sein. Vermutlich hatte der Dieb einen Helfer unter den Angestellten. Anders konnte es nicht sein. Jemand musste ihn in die Stallungen gelassen haben. Aber wer?
*
Im Laufe des Vormittags waren alle Angestellten des Gestüts von der Polizei vernommen worden. Gegen keinen von ihnen hatte sich ein konkreter Verdacht ergeben.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer unserer Angestellten an dem Diebstahl beteiligt war«, sagte Leon Prinz von Bernstett zu Antonia. sie saßen bei einem Glas Wein auf der Terrasse eines der exklusivsten Restaurants von Freiburg. Während des Essens hatten sie fast ausschließlich von den Pferden gesprochen.
»Und dennoch muss es so sein. Es gibt keine Einbruchsspuren«, erwiderte Antonia.
Der junge Prinz nickte düster. »In meiner Familie ist seit Jahrzehnten darauf geachtet worden, unsere Tiere nur in gute Hände zu geben. Mein Vater hat jeden Käufer auf Herz und Nieren prüfen lassen.« Er nippte an seinem Wein. »Wann haben Sie Ihre Liebe zu Pferden entdeckt?«
»Als ich das erste Mal auf Bernstett meine Ferien verbringen durfte«, sagte Antonia. »Ihr Vater hatte Louise und mich zu einem Ausritt mitgenommen. Am liebsten hätte ich in den Stallungen übernachtet.«
»Ich habe es als Kind manchmal getan. Natürlich nur heimlich.« Prinz Leon lachte leise auf. Sie hörte ihn zum ersten Mal lachen. »Ich war noch keine acht, als für mich schon feststand, Springreiter zu werden. Nachdem ich meinen Vater davon überzeugt hatte, dass es mein Herzenswunsch war, bekam ich von ihm einen eigenen Trainer. Ich …« Er seufzte auf. »Seltsam, wie sich das Leben von einer Sekunde zur anderen völlig ändern kann. Ich brauchte sehr lange, um zu begreifen, dass ich nach diesem Unfall nie wieder an einem Turnier teilnehmen werde.«
Antonia spürte den tiefen Schmerz in der Stimme des Prinzen. Es fiel ihr schwer, nicht nach seiner Hand zu greifen und sie mitfühlend zu drücken. Sie suchte noch nach Worten, als er sagte:
»Man sollte nicht glauben, wie schnell die Zeit vergeht. Ich sehe Louise immer noch im Park mit ihren Puppen spielen. Meine Schwester wird Ihnen bestimmt fehlen, wenn sie in England lebt.«
»Ja, da bin ich mir sicher«, antwortete Antonia. »Während der letzten Jahre haben Louise und ich einen großen Teil unseres Lebens gemeinsam verbracht.«
»Ich werde sie auch vermissen«, gab er zu. »Als Louise geboren wurde, war ich schrecklich eifersüchtig auf sie. Frederik besuchte damals schon ein Internat in England. Ich dagegen war erst sechs Jahre alt und konnte nicht verstehen, weshalb ich meine Eltern mit ihr teilen sollte. Und nun heiratet sie in einer Woche …«
»Wie ich Louise kenne, wird sie ihre Familie oft besuchen«, meinte Antonia.
Er schaute ihr in die Augen. »Haben Sie je daran gedacht, meiner Schwester nach England zu folgen?«
Antonia kam es vor, als könnte er bis in ihr Herz sehen. »Daran gedacht habe ich«, gab sie zu, »besonders in letzter Zeit.«
»Tun Sie es nicht, Frau von Vallone.« Leon nahm ihre Hand. »Sie gehören nach Bernstett.« Abrupt ließ er ihre Hand los. »Ich glaube, wir sollten aufbrechen. Es ist ziemlich spät.«
Die junge Frau nickte. Es war ein schöner Abend gewesen.