Die Weissen Männer. Arthur Gordon Wolf
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Читать онлайн книгу Die Weissen Männer - Arthur Gordon Wolf страница 3
Es sollte mehr als eine Woche vergehen, bevor Brandon überhaupt wieder die Gegenwart seiner Nachbarin bemerkte. Die merkwürdigen Rufe in jener Nacht und das noch seltsamere Lachen waren längst von alltäglichen und nur zu realen Erlebnissen überlagert worden. Danah, seine mehrjährige Freundin, hatte ihm von heute auf morgen den Laufpass gegeben. Und das höchst stilvoll per Holomail.
»Ich hab lange überlegt, Brandon, aber unsere Beziehung bringt mich irgendwie nicht weiter. Ich hoffe, du verstehst mich.«
Sie hatte dabei einen rosa farbigen Kaugummi zwischen ihren Lippen hervorgezogen und langsam um den Zeigefinger gewickelt.
»Nun ja, du weißt ja, wie das ist. Heutzutage muss jeder sehen, wo er bleibt. Tja, und du fährst einfach auf einem zu langsamen Gleis, Baby. Du ENTWICKELST dich einfach nicht.«
Danah blickte dabei in einen für Brandon unsichtbaren Spiegel oberhalb ihrer Holokamera und zupfte sich ungeniert einige Haare ihrer Augenbrauen zurecht, mit der anderen Hand immer noch den widerlichen Kaugummi in die Länge ziehend.
»Coraleen meint auch, dass du mich nur bremst.« Sie stöhnte gedehnt. »Und, wenn du mal ganz ehrlich bist, im Bett bist du auch nicht gerade ein Hengst.«
Bei diesen Worten stand er kurz davor, ein Glas in ihre widerlich grinsende Fratze zu werfen, doch glücklicherweise siegte die Vernunft. Danah hätte ohnehin nichts davon gespürt und ohne Holoscreen würde sich sein Fenster zu der Welt dort draußen für immer schließen. Allerdings begann er sich mehr und mehr zu fragen, ob dieses Fenster nicht besser zubetoniert werden sollte. Selbst die Nachrichten waren doch nichts anderes als aufbereitete virtuelle Fantasien. Glaubte man den strahlend bunten Bildern, befand er sich inmitten eines endlosen Paradieses. Seltsam nur, dass er außerhalb seines Wohnblocks nirgendwo auch nur ansatzweise vergleichbare Szenarien entdecken konnte. Hinter den strahlenden Leuchtreklamen bröckelte der Putz; ohne die künstlichen Lichter bestanden die Hauptfarben aus Grau, Braun und Schwarz. Die Stadt war in Wirklichkeit eine dreckige kalte Wüste, doch niemand schien den Mut zu besitzen, genau hinzusehen. Die heile Virtual Reality Holowelt war doch so viel angenehmer.
Unseren täglichen virtuellen Traum gib uns heute!
Das lebensgroße Holobild seiner Verflossenen war jedenfalls alles andere als traumhaft gewesen. Und ähnlich unerfreulich war es auch in der Firma zugegangen. Aus den anfänglich vereinzelten Bugs hatte sich binnen weniger Tage eine regelrechte Plage entwickelt. Die Matrix vieler Tabellen schien sich plötzlich komplett gewandelt zu haben. Und noch immer konnte kein Muster, kein agierender Virus, identifiziert werden. Brandon und seine Kollegen schufteten fast rund um die Uhr, doch sie arbeiteten gegen einen übermächtigen Gegner. War ein String an einer Stelle wieder hergestellt worden, brachen an anderer Stelle wenig später ganze Cluster zusammen. Niemand wagte es laut auszusprechen, doch wenn nicht bald die Ursache für die Fehler gefunden würde, war das gesamte elektronische Netzwerk dem Untergang geweiht. Und dies hätte Auswirkungen auf jeden Aspekt des alltäglichen Lebens – angefangen von sprachgesteuerten Kaffeemaschinen, über Heizungen und Schlösser bis hin zu Verkehrsleitsystemen und jeder Form von Kommunikationsmedien. Y2K-Bug war vielleicht doch kein Mythos. Er hatte zwar eine gehörige Verspätung, dafür kam er nun aber mit Volldampf.
»Ich bin sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Die Stimme klang androgyn und doch jugendlich hoch.
Brandon musste sich dazu überwinden, die spinnenhaften Finger der ausgestreckten Hand zu ergreifen.
»Äh, freut mich ebenfalls, äh … Alexander!«, stotterte er unsicher.
Als sich ihre Hände wieder lösten, verspürte er das dringende Bedürfnis, sich von Kopf bis Fuß zu waschen. Obwohl Alexanders Hand kühl und trocken gewesen war, meinte er doch, eine schleimige Insektenhaut berührt zu haben.
Brandon war froh, als Miss Brookdahl endlich die Wohnungstür aufschloss und Alexander nach drinnen schickte.
»Sei ein Schatz und stell die gefrorenen Sachen schon mal in den Kühlschrank!«
Nachdem ihr neuer Begleiter wortlos mit den Tüten verschwunden war, wandte sie sich wieder ihrem Nachbarn zu. Ein ungewohnt ironisches Lächeln erschien auf ihren Lippen.
»Natürlich haben Sie es schon bemerkt, nicht wahr, Brandon?«
Er stellte sich dumm.
»Bemerkt? Äh … was denn?«
»Na, dass Alexander ein Replikant ist, natürlich. Er ist ein PXS-14. Goldig, nicht wahr?«
Brandon nickte nur stumm.
»Ich hatte anfangs ja eher an eine Katze gedacht«, fuhr sie fort, »aber Katzen schnurren und miauen nur. Und sprechende Exemplare sind unverschämt teuer, wie Sie ja sicher wissen. Und bei den täglichen Besorgungen kann so ein Tier ja auch wenig helfen. Tja, und so schlug mir der freundliche Mann von UMC vor, doch einen Miniaturhelfer zu kaufen. Die Modellreihe von Alexander kann eigentlich alles, was seine großen Brüder auch können, doch dafür kosten sie nicht einmal die Hälfte. Ist das nicht einfach faaabelhaft?!«
Sie dehnte das letzte Wort so stark, als befände sie sich mitten in einem Werbespot für Haushaltsreplikanten. Brandon spürte, wie er sich nun doch die Hand an seinem Hosenbein abwischte. Da er nicht auf ihre ohnehin rhetorische Frage reagierte, fuhr Miss Brookdahl neckisch fort: »Ja, ja ich sehe schon, Brandon. Sie denken jetzt sicher, was will diese alte Schachtel noch mit einem Replikanten.«
»Nein!«, entfuhr es Brandon. »Ich meine … «
»Papperlapapp!«, unterbrach sie ihn mit einer unwirschen Handbewegung. »Sie haben ja vollkommen recht, doch warum sollte sich eine alte Frau wie ich nicht mindestens einmal im Leben eine Verrücktheit leisten? Ich habe keine lebenden Verwandten; für wen also sollte ich mein Geld aufsparen? Etwa für den Staat?« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein, nein, nein! Für meine alten Tage ist Alexander genau die richtige Investition.« Ihr Gesicht nahm einen verträumt glücklichen Ausdruck an. »Obwohl ich es lieber weniger kommerziell betrachten möchte. Der kleine Kerl ist mir schon jetzt richtig ans Herz gewachsen. Alexander ist für mich einfach ein Geschenk des Himmels.«
Brandon versicherte nachdrücklich, dass er ihre Entscheidung keineswegs als ›verrückt‹ betrachtete, machte noch ein wenig Small Talk über die gestiegenen Lebensmittelpreise, sowie die zunehmenden Verkehrsstaus und wünschte seiner Nachbarin schließlich noch einen schönen Abend.
Als er in seiner Wohnung war, betrachtete er seine Hände wie etwas Fremdes, Widerwärtiges. Die Nachbarwohnung hatte ihn kontaminiert. Vielleicht waren unbemerkt Bakterien, Viren oder fiese Nanobots in seine Haut gedrungen und warteten nur darauf, eine große Party zu feiern. Auch wenn es wahrscheinlich wenig nützte, schrubbte er seine Hände so heftig, dass sie am Ende wie frisch gekochte Hummer glänzten. Er bekam