Reise Know-How ReiseSplitter: Von Kasachstan in die Südsee – Wie ich mal eben vom Weg abkam. Katharina Bahn
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Die nächste seltsame Begegnung lässt nicht lange auf sich warten. An einer Art Rasthof suche ich die Toilette. Die einzige Kabine hinter einer Holztür wird von einer übertrieben geschminkten, jungen Russin bewacht. Sie zeigt auf ein Schild: 15 Rubel. Ich verstehe und krame in all meinen Jacken- und Hosentaschen nach Münzen. Was ich darin neben Taschentüchern, Krümeln und zerknitterten Quittungen finde, sind insgesamt 14 Rubel. Die pflichtbewusste Dame schüttelt den Kopf und zeigt wieder auf das Schild. Keine Gnade. 15 Rubel. Ich suche noch mal weiter und finde einen Euro. Sie schüttelt wieder den Kopf. Ich versuche meine drückende Blase und damit wachsende Ungeduld zu ignorieren. So ruhig wie möglich erkläre ich, dass ein Euro etwa 75 Rubeln entspricht und sie damit jetzt (für – Herrgott noch mal – einmal Pinkeln, denke ich genervt, sage ich aber nicht) fast 100 Rubel einnehmen wird. Sie lässt mich durch. Für 14 Rubel und einen Euro. Danke.
In Penza beziehen wir das Hotel Avia und haben einen Bärenhunger. Im Restaurant sind wir die einzigen Gäste und die Speisekarte ist nur auf Russisch. Ich zeige planlos auf eines der vergilbten Bilder und sende ein kurzes Stoßgebet in die Küche und an meinen Magen.
Unsere ersten acht Tage sind um. Eine erste Zwischenbilanz – diese Art des Reisens macht wahnsinnig viel Spaß. Paul und ich müssen uns hier und da als Reiseteam noch etwas finden, aber kommen gut miteinander aus. Und Russland, dieses unfassbar riesige Land, ist einfach faszinierend. Ich glaube, man muss sehr viel mehr Zeit hier verbringen, um dieses Land und seine Leute zu begreifen. Ich bedaure, dass wir Russland schon bald wieder verlassen werden.
April
Camping mit Welpenschutz
Aus dem Radio trällert Édith Piaf: „Non, je ne regrette rien.“ Wie passend. Wir rollen über schlechte Straßen vorbei an Holzhäusern und Wellblechhütten und ich bereue nichts. So arbeiten wir uns etappenweise durch das weite Russland vorwärts. Zwischen Penza und Toljatti liegen 350 Kilometer, ein Katzensprung für russische Verhältnisse. Wir überqueren die mächtige Wolga – bis dato für mich nur ein Begriff aus Kreuzworträtseln. Oder war es Stadt Land Fluss? Kurz vor der Stadtgrenze stoppt uns die Polizei – offensichtlich aus purer Neugier. Der Wagen wird mehrfach umrundet und ist eindeutig interessanter als unsere Dokumente. Die Polizisten halten unsere Solar-Queen auf dem Armaturenbrett für Angela Merkel und werfen sich nahezu vor Lachen auf die Straße. Wir dürfen weiterfahren.
Bisher haben wir unsere Unterkünfte spontan gebucht. In Toljatti hingegen haben wir ausnahmsweise schon eine konkrete Anlaufstelle zum Übernachten: das Lada-Resort. Durch einen Zufall habe ich im Vorfeld einen Kontakt zu dem Hotel erhalten und wir wurden kurzerhand für zwei Nächte eingeladen.
Wie der Name des Hotels verrät, ist Toljatti vor allem durch das dort ansässige Hauptwerk des russischen Autoherstellers Lada bekannt. Wir versuchen, mit Hilfe des deutschen Hoteldirektors eine Werksführung zu organisieren, haben aber leider kein Glück. Die Sicherheitsmaßnahmen erlauben keine Spontanbesuche von Touristen. Also begnügen wir uns mit dem Erkunden der Stadt. Mit einem Taxi fahren wir ins Zentrum. Toljatti liegt noch halb im Winterschlaf. Es ist grau und verregnet. Wir flüchten vor dem Nieselregen in ein großes Einkaufszentrum. Dort gibt es zu meiner Verwunderung Kontaktlinsen aus dem Automaten. Was ich aber wiederum nirgends finden kann, weder mit Google noch mit Hilfe Einheimischer, ist die Post. Ich habe ein paar unfrankierte Postkarten im Gepäck, die ich leider noch nicht auf den Weg bringen kann.
Ein einäugiger Taxifahrer bringt uns schließlich über Umwege zurück zu unserem Hotel. Den letzten Rest meines Energiepensums für diesen Tag trage ich in den Fitnessraum. Außer mir trainieren noch zwei grimmig dreinschauende Russen im Format von Hulk, die mich aber glücklicherweise ignorieren. Da Paul und ich oft viele Stunden am Tag nur im Auto sitzen, brauche ich einen Bewegungsausgleich. Zumindest am Anfang der Reise funktioniert das noch. An dieser Stelle nehme ich kurz und bündig vorweg: Es funktioniert nicht lange. Plus sechs Kilo bis Mitte Juni. Doch das Blatt wendet sich auch wieder.
Wir befinden uns derzeit in der Oblast Samara, also einem russischen Verwaltungsbezirk namens Samara. Ich versuche, mir etwas über die föderale Gliederung Russlands anzulesen, aber hierfür scheint man einen Doktortitel zu brauchen. Ohnehin lassen wir Russland nun vorerst hinter uns. Die erste kasachische Stadt, die uns erwartet, ist Uralsk. Zwischen Toljatti und Uralsk liegen rund 360 Kilometer und ein Grenzübergang.
Die Einreise nach Kasachstan verläuft unkompliziert, zieht sich jedoch über zwei Stunden. Immerhin können wir uns an der zwei Kilometer langen Lkw-Schlange vorbeischieben und in der bedeutend kürzeren Pkw-Schlange einreihen. Wie immer meldet sich nach kurzer Wartezeit meine Blase und ich stiefle los, um die Toiletten zu finden. Der Tiefpunkt meiner WC-Häuschen-Erfahrung (bis zu diesem Zeitpunkt) tut sich mitten auf der großen Wiese vor dem Grenzzaun auf – zwei baufällige Holzverschläge. Mit jeweils einem Loch im Boden. Ohne Türen! Ich habe Aussicht auf die russisch-kasachischen Weiten. Nur durch ein paar Holzlatten getrennt, habe ich mindestens 50 Fernfahrer in meinem Rücken. Ich bin dankbar, dass in diesem Moment alle in ihren Führerhäuschen sitzen bleiben.
Etwa zwei Stunden nach dieser Grenzerfahrung im doppelten Sinn sind wir in Kasachstan eingereist: das flächenmäßig neuntgrößte Land der Erde, zentral auf dem eurasischen Kontinent gelegen. Die türkisfarbene Flagge mit den gelben Symbolen ist mir sofort sympathisch. Zum ersten Mal wechseln wir unsere Reisepässe: Wir bekommen den kasachischen Stempel in den einen Pass und senden jeweils den anderen Pass nach Berlin zu unserer Visa-Agentur, um die nächsten Visa zu erhalten. Dies ist notwendig, weil manche Visa erst drei Monate im Voraus beantragt werden können. Daher unser System mit zwei Pässen, um immer einen davon bei uns tragen zu können.
In Kasachstan nehmen wir nun das erste Mal auf unserer Reise das Tempo raus. Drei bis vier Wochen haben wir eingeplant, um dieses Land zu besuchen. Und es ist spannend von Anfang an. Schon als wir an der ersten Ampel stehen. Einheimische im Nachbarauto lassen das Fenster runter und fragen neugierig, woher wir kommen. Die Kasachen begegnen uns auffallend offen und freundlich. Ebenfalls auffällig: Kaum haben wir die Grenze überquert, haben die Menschen allesamt leicht asiatische Gesichtszüge.
Schnell haben wir den besiedelten Großraum der Stadt Uralsk hinter uns gelassen. Vor uns liegt jetzt kasachisches Ödland. Am Wegesrand finden wir prunkvolle muslimische Gräber direkt neben einem christlichen Friedhof vor. Harmonisch nebeneinander. Tot ist eben tot. Zudem verblüfft mich, dass es selbst weit und breit um diesen friedlichen Ort nichts gibt. Keine Stadt, kein Dorf, keine Siedlung.
Auf unserer Landkarte entdecken wir einen großen See und entscheiden uns, dort unsere erste Camping-Nacht zu verbringen. Jetzt wird es ernst und