Reise Know-How ReiseSplitter: Von Kasachstan in die Südsee – Wie ich mal eben vom Weg abkam. Katharina Bahn
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Die Tage plätschern entspannt dahin. Noch nie zuvor habe ich eine derartige Entschleunigung verspürt. Langsam bekomme ich einen Eindruck davon, wie das Leben auf La Digue und den Seychellen läuft. Zum Beispiel ist der Verkauf von Alkohol in Geschäften unter der Woche nicht vor 11:30 Uhr gestattet – in erster Linie, um die Einheimischen vor sich selbst zu schützen, doch auch die Besucher kommen nicht drum herum.
Tatort: der einzige größere Supermarkt auf La Digue. Tatzeit: 11:27 Uhr. Tatbestand: Eine Touristin steht vor mir in der Schlange an der Kasse und versucht, zwei Flaschen Bier auszulösen. Der Kassierer stellt die Arbeit ein. Für drei Minuten steht die Kasse still, nichts geht mehr. Bis der große Zeiger auf 11:30 Uhr springt.
Was die Nahrungsaufnahme angeht: Eine warme Mahlzeit ist niemals weit. An jeder zweiten Ecke gibt es Imbisse, sogenannte Take-Aways, die preiswertes und überraschend schmackhaftes Essen anbieten. Reis oder Nudeln mit Fisch, Fleisch und/oder Gemüse, davon meist reichliche Portionen. Auch gute, bezahlbare Restaurants gibt es. Am Abend freue ich mich jedoch, bei Jürgen und seiner Familie mitzuessen. Ich lausche gerne den Geschichten meines Onkels. Sein ereignisreiches Leben vor und seit dem Entschluss auszuwandern in die „andere Welt“, wie er es nennt, bietet Stoff für mehr als ein paar Tage. Auch in die Vergangenheit tauchen wir ab. Er erinnert sich an meine Eltern und Großeltern zurück und ich freue mich, ein paar Anekdoten zu hören.
Jürgen empfiehlt mir, auf La Digue mal ein Fußballspiel zu besuchen. Nicht das Spiel sei das interessante, sondern das sich prügelnde Publikum, vorzugsweise die Frauen. Leider ist aktuell gerade Spielpause und ich verpasse dieses Spektakel. Stattdessen gebe ich mich mit einem sonntäglichen Kirchenbesuch zufrieden. Nicht alle der 2200 Inselbewohner sind hier, aber mehrere Hundert – und ausnahmslos alle in feinstem Zwirn und eleganten Kleidern. Der Gottesdienst ist katholisch und wird in kreolischer Sprache abgehalten. Da ich weder das eine noch das andere verstehe, bleibe ich nicht bis zum Ende der Messe und schleiche mich unauffällig raus.
Das Sahnehäubchen meiner entspannten Tage auf La Digue sind die SMS-Nachrichten, die ich mit Manuel, meinem Couchsurfing-Gastgeber auf Mahé hin und her schicke. Dank einer Prepaid-Handy-Karte des lokalen Netzanbieters geht dieser Spaß ohne immense Kosten vonstatten. Das lockere Flirten nimmt Substanz an, als wir uns für einen Tag auf der Nachbarinsel Praslin verabreden. Praslin, Mahé und das kleine Paradies La Digue sind die drei am dichtesten bevölkerten von über 115 Inseln der Seychellen und gehören zu den „Inner Islands“. Auf den bis über 1000 Kilometer von Mahé entfernten „Outer Islands“ leben nur etwa 2% der Bevölkerung.
Kelma (links) – purer Zucker. Und Telma – die ihre Skepsis mir gegenüber inzwischen abgelegt hat
Die Fähre legt von La Digue nach Praslin rund 15 Kilometer zurück. In aller Frühe gehe ich an Bord. Am Hafen von Praslin warte ich ungeduldig auf die Fähre aus Mahé. Als das Schiff anlegt und die Passagiere aussteigen, halte ich Ausschau nach Manuel. Ich habe ein bisschen Herzklopfen. Auch wenn ich mir der Kurzlebigkeit der Gesamtsituation bewusst bin, erscheint mir dieser Moment unglaublich romantisch.
Wir mieten für den Tag ein kleines Auto und ich bekomme meine persönliche Führung über die Insel. Auf keinen Fall verpassen darf man hier den Nationalpark „Vallée de Mai“. Hier und nur noch auf einer weiteren Insel der Seychellen wachsen die berühmten „Coco de Mer“, die Seychellenpalmen. Ihre Samen sind die größten der Pflanzenwelt und bringen es auf bis zu 20 Kilogramm. Deren Form, die an ein weibliches Becken erinnert, begleitet mich schon seit dem ersten Tag hier. Der Stempel, den man bei der Einreise in den Pass erhält, ist eine gezeichnete „Coco de Mer“ und das Wahrzeichen des Inselstaats. Der Blütenstand der männlichen Palme gleicht übrigens einem Penis – der Legende nach feiern die Palmen in stürmischen Nächten Hochzeit und paaren sich. Wer sich trotz Sturm in den Wald wagt und den Palmen beim Liebesspiel zusieht, muss sterben. Ich bin am Tage hier und es ist nicht stürmisch, also kann ich entspannt mit Manuel die Ruhe im Nationalpark genießen. Auf manchen Wegen und Lichtungen trifft man hier wirklich keinen einzigen Menschen.
Zurück auf La Digue bei Jürgen und Telma bemerke ich erfreut, dass die Dame des Hauses inzwischen ihre Skepsis mir gegenüber abgelegt hat. Als sie ein Bündel grüner Kochbananen auf meiner Terrasse liegen sieht, bietet sie an, mir diese zu frittieren. Bestens – hatte ich doch vorgestern am Strand versucht, eine der Bananen auf die herkömmliche Weise zu essen. Wie ich feststellen musste, sind die Früchte im rohen Stadium ungenießbar. Daher wusste ich gar nicht so recht, was mit ihnen anzufangen ist. Aber nicht jedes Problem erfordert sofort eine Lösung – manchmal muss man nur Geduld haben. Dann kommt vielleicht jemand vorbei und bietet dir an, deine Kochbananen zu frittieren.
Später zeigt Telma mir das winzige Spielcasino von La Digue. Es besteht aus einem einzigen Raum mit klimpernden und rasselnden Automaten. Nach ein paar Runden zieht es mich jedoch wieder raus in die Sonne. Telma ist nicht loszueisen. Sie leiht sich noch 500 Rupien von mir, rund 32 Euro, und bleibt. Später gibt sie mir zu Hause mein Geld sofort zurück, fragt aber, ob ich Jürgen davon erzählt habe. Nein, habe ich nicht. Nach dem Abendessen zeigt sie mir ein paar Kleider, die sie mir gerne verkaufen will. Für 500 Rupien. Ein Zufall? Ich vermute, dass sie das Geld verzockt hat, aber keinen Ärger mit Jürgen haben will. Ich will ihr keine Probleme bereiten und kaufe die Kleider, obwohl ich sie nicht besonders schön finde.
Ich reise außerplanmäßig früher zurück nach Mahé. Nach zweieinhalb Wochen wird mir La Digue doch zu klein. Zudem wartet auf der Hauptinsel noch jemand auf mich. Als ich Telma von der kleinen Romanze mit Manuel erzähle, fragt sie mich, ob er ein Haus hat. Ja hat er. Sie gratuliert mir und sagt, dass ich Glück habe. Ich sage nichts. Ja, ich habe Glück. Aber meine Definition davon ist anders. Ich behalte das für mich.
Die Fähre läuft aus dem Hafen von La Digue aus. Ich lasse die letzten Tage Revue passieren. Die Welt aus der Sicht eines deutschen Auswanderers gibt mir neue Denkanstöße. Ob Jürgen und ich uns jemals wieder hören oder sehen, weiß ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Zwar würde ich mich darüber freuen, rechne aber nicht damit. Ich glaube, Jürgen hat mit seinem Leben in Deutschland abgeschlossen und ich respektiere das. Aber man weiß ja nie.
Manuel holt mich am Fährhafen von Mahé ab. Etwas zwischen uns ist anders, aber ich kann es nicht so recht benennen. Er wirkt gestresst und in sich gekehrt. Dann kollidiert sein Bedürfnis, Probleme zu wälzen, mit meiner tiefenentspannten Urlaubsstimmung. So richtig kann ich das nicht einordnen, aber ich mache mir trotzdem eine schöne Zeit. Beispielsweise besuche ich das Atelier des Malers Michael Adams im Südwesten der Insel. Den Hausherren selbst bekomme ich nur im Vorbeihuschen zu sehen, aber seine Frau zeigt mir die Gemälde