Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung. Julius Fischer

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Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung - Julius Fischer

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Voland & Quist Haupttitel

      Verlag Voland & Quist GmbH, Dresden und Leipzig, 2018

      © by Verlag Voland & Quist GmbH

      Korrektorat: Annegret Schenkel

      Covergestaltung: Büro 222

      Satz: Fred Uhde

      E-Book: zweiband.media, Berlin

      ISBN: 978-3-86391-210-9

       www.voland-quist.de

      Julius Fischer, geboren 1984, ist Autor, Liedermacher und Moderator. Er ist Mitglied diverser Lesebühnen, u. a. der Lesedüne mit Marc-Uwe Kling. Zusammen mit Christian Meyer präsentiert er die TV-Show »Comedy mit Karsten« im MDR und spielt in der Band The Fuck Hornisschen Orchestra. Ab Frühjahr 2018 ist er neben Olaf Schubert in der ARD-Sendung »Olaf macht Mut« zu sehen. Zuletzt erschienen: »Die schönsten Wanderwege der Wanderhure«. Julius Fischer lebt in Leipzig.

      Der Mann mir gegenüber isst eine Möhre. Unfassbar laut. Unfassbar langsam.

      Ich kann mich kaum auf etwas anderes konzentrieren. Nicht aufs Schreiben, auf die Landschaft nicht, auf nichts. Und dafür fährt man doch Zug, denke ich, in den Sitz gedrückt, dafür macht man das doch, dass man mal wieder rauskommt, zu sich kommt, auch wohin kommt, mit diesem Zug.

      Ich war so glücklich vorhin, als ich im Zuge ‒ haha, im Zuge, ich hasse mich ‒ eines Umstieges vieler Mitreisender vom Großraumwagen in ein leeres Sechserabteil umziehen konnte. Das hat den Morgen erträglicher gemacht. Im Großraum ist die Idiotendichte höher. Es gibt immer jemanden, der seinen Koffer im Gang stehen lässt, sehr laut mit einem Geschäftspartner telefoniert (»Jäckel hier, noch mal wegen der Rohre …«) oder gerade heute Lust auf Mett, Fisch und Zwiebeln hat. Oder ein Kind ist.

      Überhaupt ist jede Ansammlung von Leuten für mich kaum zu ertragen. Vor allem, wenn die Gemeinschaft ungewollt entsteht, auf dem Amt oder in einem Flugzeug.

      In der Zwangsgemeinschaft treten die unangenehmsten Seiten der Leute erst richtig hervor.

      Klar. Wenn der Nervige alleine ist, dann kann er ja niemanden nerven.

      Der Laute ist ja nur laut für die anderen, nicht für sich.

      Ein Nazi in einem Keller ohne Internet ist nur ein Nazi in einem Keller.

      Und obwohl ich das weiß, denke ich oft: Warum eigentlich immer ich?

      Immer komme ich in beschissene Situationen.

      Wenn ich zu Hause am Schreibtisch sitze, um mich meiner Arbeit zu widmen, geht draußen auf dem Nachbargrundstück der Hausmeister mit dem Laubsauger auf die Jagd. Oder der Nachbar hämmert.

      Hämmern.

      Das passt doch gar nicht zum Spirit unserer Generation, dieser Fünfzehn-Sekunden-Aufmerksamkeits-Snapchat-Event-Einstellung. Warum tapezieren die Leute ihre Wohnungen nicht mit doppelseitigem Klebeband und werfen dann einfach alles an die Wand? Tesa Powerstrips können doch heutzutage einen ganzen Elefanten halten, das verspricht zumindest die Werbung, und Werbung stimmt, immer. Warum sollte denn jemand behaupten, sein Produkt wäre besser als alle anderen Produkte, wenn das gar nicht stimmen würde?

      Nee, das wäre Quatsch. Ich glaube an Werbung, Weltfrieden und den Weihnachtsmann.

      Immer ich.

      Ich bin der, der immer dann im Zug sitzt, wenn er Verspätung hat. Das wird heute sicherlich auch noch passieren. Andersherum fahren die Bahnen interessanterweise gerade dann pünktlich, wenn ich zu spät komme. Natürlich nur dreißig Sekunden. Und natürlich nur deshalb, weil eine Oma im Kiosk ihren Wochenvorrat an Losen, Zeitungen, Zigaretten und Thrombosestrumpf-Sammelkarten mit Zehn-Cent-Münzen bezahlt hat.

      Wenn ich beim Bürgeramt eine Nummer ziehe, gehen vier von fünf Mitarbeitern in die Mittagspause, egal zu welcher Uhrzeit. Ich bin das, was nach Bronze kommt, ein ewiger vierter Platz.

      Warum ausgerechnet ich?

      Natürlich bin ich immer der, bei dem gerade die Cheeseburger alle geworden sind ‒ auch wenn man das nicht sieht ‒, der beim Tischtennis-Rundlauf immer nur noch die eine Kelle ohne Griff bekommt, mit der ich mich dann nicht wehren kann gegen den obligatorischen Typen am Tisch, der die ganze Zeit schmettert, als gäbe es kein Morgen, und das Rauswerfen eines Gegners immer kommentiert mit: »That’s the game.«

      Und natürlich verliebte ich mich am Anfang des Studiums (also die ersten vier Jahre) nur in Mädchen, die entweder vergeben waren oder Borderline hatten oder meine Anmachversuche einfach nicht mitbekamen. Zugegeben, die waren subtil.

      Hier meine Top 3:

      3. Zuhören.

      2. Zu Hause auf ein Mädchen warten, das nicht weiß, wer ich bin.

      1. Das Mädchen beim Tischtennis-Rundlauf raushauen und dabei rufen: »That’s the game. Siehst du, was passiert? Die Welt des Schmerzes. Siehst du, was passiert?«

      Dass es sich dabei um eine witzig-ironische Filmreferenz handelte, konnte die jeweilige Frau in diesem Moment nicht begreifen, da sie damit beschäftigt war, den Tischtennisball wieder hochzuwürgen.

      Womöglich werde ich seit meiner Geburt einem Test unterzogen, von dem ich nichts weiß.

      Der mich vorbereitet auf eine große Aufgabe.

      Irgendwann wird ein Götterbote vorbeikommen, mit Rauch und goldenen Schuhen, der wird ein Kindermikrofon haben, wo die Stimme immer so lustig blechern klingt, und er wird rufen: »Julius, wisse! Du bist der Auserwählte. Also einer der Auserwählten. Also wir hatten schon richtig krasse Typen: Prometheus, der hat den Menschen das Feuer gebracht, dann war da noch Dings, hier, Jesus, das war eher so ne Überzeugungskiste!«

      Und ich werde ungeduldig antworten: »Und was zur Hölle soll ich machen? Oh, Tschuldigung, ich habe Hölle gesagt.«

      »Kein Problem. Selbes Haus, andere Abteilung«, wird der Götterbote sagen. Aber ich werde nicht lockerlassen.

      »Was zum Henker soll meine Heldenaufgabe sein? Ich kann doch nichts. Ich kann mich noch nicht mal darauf konzentrieren, einen Text zu schreiben, weil mein Nachbar die Wand mit seinem Hammer zerfickt, als wäre er der gottverdammte Thor.«

      »Nee, dein Nachbar ist nicht Thor, Thor hat nen Bio-Bauernhof in der Uckermark. Er macht in Möhren. Er hat sogar eine eigene Züchtung entwickelt ‒ den orangen Hammer. Thor heißt übrigens auch anders. Er heißt eigentlich Thorben, aber das klang ihm nicht krass genug. Aber zu deiner Aufgabe: Du sollst überbringen den Menschen etwas Wichtiges. Ich werde es dir nun geben. Warte mal, was habe ich gerade dabei, ähm, Kippen, Feuerzeug, Portemonnaie, nee, da muss doch noch irgendwas … ah hier, ein abgelaufenes Fisherman’s Friend, Marke Exotic! Nun gehe und überbringe der Menschheit die freshe Botschaft.«

      »Aber ich hasse Menschen!«, werde ich dem Götterboten mein Leid klagen. »Und welche Botschaft denn überhaupt?«

      »Ja,

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