Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung. Julius Fischer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung - Julius Fischer страница 3
Dann war das genauso Slam wie Peggy, die sich ans Mikrofon stellte und mit kaum hörbarer Stimme sprach:
»Hallo, ich bin’s, de Päggy aus Zräsdn, ich mache das erste Mal mit bei so einem Po-ättry Slänn und ich habe ein paar Blumengedichte mitgebracht.«
Und das Publikum machte das mit.
In der Regel flogen die Freaks in der Vorrunde raus, es sei denn, es waren viele Philosophiestudenten unter den Zuschauern. Die fanden das irgendwie interessant.
In diesem Falle war es anders.
Das Finale bestand aus den einzig Normalen, aus Peggy und mir. Klar, wer da gewinnen würde.
Ich machte reflektierten Studentenshizzle, Kiffen mit Jesus und so Filmzitate, Peggy machte »Lyrik«.
»Rote Rosen, die mag ich ja so gerne,
da leuchten meine Augen wie Sterne.
Crysanthemen sind das Beste,
auf meinem Feste sind sie gern gesehene Gäste.«
Dann kam die Abstimmung, und was soll ich sagen? Sie gewann. Mit Gedichten wie aus dem Küchenkalender. Es war unglaublich. Man muss dazu sagen, dass sechsundzwanzig von den etwa fünfzig Zuschauern Peggys Freunde waren. Die natürlich beim Abstimmungsapplaus johlten, als hätte Peggy soeben ein Mittel gegen Krebs gefunden. Meine Freunde applaudierten und johlten nicht. Sie waren bei der Abstimmung auf der Toilette. Koksen.
Peggy aus Dresden, die Endgegnerin.
Was war das für eine Welt?
Wie sollte das weitergehen?
»Ich bin kurz davor, ein Mittel gegen Krebs zu finden, und die Arbeit an Ihrem Institut würde mir die fehlenden Ressourcen dafür bereitstellen. Deswegen möchte ich mich auf die Stelle bewerben, die ist doch noch frei, oder?«
»Ach, tut uns leid, wir haben schon jemand anderen. Peggy. Peggy aus Dresden.«
»Hey Mama, ich wollte mal fragen, was du dir zum Geburtstag wünschst.«
»Ach nichts, ich hab doch Peggy.«
»So, liebe Gemeinschaft des Ringes, irgendjemand muss das Teil ins Feuer des Schicksalsberges werfen. Da wäre Frodo aus dem Auenland. Es ist sein vorbestimmtes Schicksal. Oder wir nehmen Peggy. Ach komm, wir nehmen Peggy.«
Und alle: »Peggy, Peggy, Peggy!«
Ach, ich hasse Peg… Menschen.
Denke ich, während draußen die Landschaft vorüberzieht. Über den Rand meines Laptops beobachte ich den Möhrenmann, der den letzten Strunk seines Brunches zermalmt hat und nun schläft. Natürlich laut schnarchend. Hass. Dass man dem immer so ausgesetzt ist.
Eigentlich mag ich Reisen ja wirklich gerne. Selbst wenn ich, wie heute, nach Köln muss. Ich hasse Köln. Ich habe ein Gespräch bei einer Literaturagentur. Weil ich nett bin, habe ich zugesagt. Ich hasse mich. Aber sie bezahlen die Fahrt. Und anhören kann man sich den Scheiß ja mal.
Wenn ich recht überlege, mag ich am Reisen vor allem das Ankommen. Das Unterwegssein reizt mich kein bisschen. Selbst wenn meine Geschwister mit dabei sind. Mit meinen beiden Geschwistern verbindet mich einiges. Unsere Mutter zum Beispiel. Sie versucht, seit sie uns kennt, alle gleich zu behandeln. So hat zum Beispiel jedes ihrer Kinder einen eigenen Vater.
Eine weitere Idee meiner Mutter rankt sich um unser Erwachsenwerden. Sobald eines ihrer Kinder, mit mir angefangen, das vierzehnte Lebensjahr vollendet hatte, wurde eine Reise gemacht. 2015 war mein Bruder dran. Meine Mum wollte unbedingt nach New York, traute sich aber nicht alleine. Wegen der Verständigung.
Meine Mutter kann nicht so gut Englisch. Als Kind der Arbeiterklasse hatte sie in der Schule nur Russisch gelernt, Englisch kennt sie ausschließlich aus Tom-Waits-Songs und OmU-Arthouse-Filmen.
Meine Schwester und ich wiederum verfügen als Kinder des Serienzeitalters über etwas mehr Übung. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob mein Wortschatz mir in Situationen helfen würde, die nichts mit der Zombie-Apokalypse oder Drachen zu tun haben.
Das Schönste an einer Reise ist in meinen Augen der Umstand, dass man vorher sehr viel Stress mit dem Buchen und Organisieren hat, um währenddessen unfassbar entspannt zu sein.
Wer solch ein hehres Ziel verfolgt, sollte seine Übernachtung nicht über Airbnb buchen.
Am Tag vor unserer Abreise nach New York erreichte mich folgende Nachricht:
»Hi, hier ist Dana, können wir die Reservierung canceln? ich bin im Nahen Osten auf Abenteuerurlaub und habe es einfach vergessen! Tschuldi!«
Ich dachte sofort: Wie, Abenteuerurlaub im Nahen Osten? Mit nem Trump-Shirt durch das palästinensische Autonomiegebiet? Ruinen gucken in Rakka?
Hätte sie da nicht früher draufkommen können?
Ich wünschte ihr viel Spaß und begann damit, Dienstagnacht null Uhr gemeinsam mit meiner zukünftigen Frau eine Unterkunft für vier Leute in New York zu finden, da mein Anruf im Airbnb-Hauptquartier in den Staaten kein Ergebnis brachte, außer der Bitte, mich ein paar Tage zu gedulden.
Ich sagte: »Na klar, ist ja nicht so, als bräuchte ich was für fucking morgen!«
Aber offensichtlich war mein Englisch zu schlecht, um Ironie zu transportieren.
An diesem Punkt entschied ich, einfach scheißreich zu werden, um mir eines Tages überall eine Wohnung kaufen zu können. Und Airbnb. Um es abzuwickeln. Hat bis jetzt nicht geklappt. Sonst würde ich sicher auch nicht in diesem Zug sitzen, sondern in meinem Privat-ICE. Beziehungsweise würde ich gar nicht mehr verreisen, sondern alle würden zu mir kommen. Sogar der Urlaub.
Wir fanden ein Hostel. Es war nicht am Central Park wie die Privatwohnung, sondern in East Williamsburg. Hipster und sozialer Wohnungsbau. Und sicherlich würde ein Hubschrauber mit Suchscheinwerfer die Straße permanent nach Verbrechern absuchen.
Das Hostel war auch nicht die ganze Zeit frei. Für den Samstag würden wir uns noch etwas suchen müssen.
Für jemanden mit Angst vor Kontrollverlust wäre diese Situation sehr unangenehm.
Für mich war es die Hölle.
Apropos Angst vor Kontrollverlust: Der Flug war schrecklich.
Komischerweise kann ich bei kurzen Inlandsflügen immer sofort einschlafen. Aber sobald das Flugzeug die sichere Landmasse verlässt, bekomme ich Panik. Als ob das bei einem Absturz aus zehntausend Metern Höhe etwas ändern würde. Vielleicht ist es sogar die Angst davor, nicht zu sterben, sondern mit abgestorbenen Gliedmaßen im eiskalten Ozean zu treiben, wie Leo damals in Titanic. Ich hasse mein Gehirn. Ich redete mir ein, dass wir schon nicht abstürzen würden. Dinge werden wahr, wenn man sie oft genug sagt. Das hat schon Julia Engelmann gesungen. Half aber nix. Ich bestellte mir einen Grapefruitsaft und starrte ruhelos aus dem Fenster.
Mein kleiner Bruder konnte auch nicht schlafen. Er spielte fast durchgängig gegen andere Passagiere Poker auf seinem Bildschirm und zockte