Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung. Julius Fischer
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»Ach, das ist ja witzig, meine Verlobte auch.« Ich konnte nicht mehr aufhören.
»Nee, im Ennst? Aufem Gaggern?«, der Mann war aufgeregt.
»Ja.«
»Wie heißt die dann?«
Und wieder sagte ich das Erste, was mir einfiel: »Gogol. Leonie Gogol. Also bis morgen.«
Frau Petrowitsch rief: »Wie der russische Schriftsteller.«
»Ja genau, sie ist auch irgendwie mit ihm verwandt.« Ich musste raus aus dieser Situation. Es wurde immer schlimmer. Der Chef ging offensichtlich in seinem Kopf eine Liste durch. Ein guter Chef merkt sich alle Gesichter.
Der Korken knallte, Frau Petrowitsch quiekte und der Chef sagte: »Also e Leonie Gogol kenn ich net. Na ja, wollese en Schluck Sekt, so zur Feier des Tages?«
»Nein, danke, ich bin Alkoholiker«, sagte ich und wollte gehen.
»Ach werklisch?«, sagte der Chef. »In Therapie? Habbese e Grupp? Wenn ja, wo? Isch suche!«
»Ich hab ne Gruppe«, sagte ich, »lassen Sie uns doch Nummern tauschen. Ach was, noch besser, kommen Sie doch einfach morgen vorbei.«
Verdammt.
»Uhhh, da müsste ich halt noch nach Frankfodd«, sagte der Chef. »Aber danke für die Einladung.«
»Wir können Sie mitnehmen. Wir haben noch Platz in der Limousine.«
»Ei subber, isch bin übrigens de Maddin.«
»Und ich bin Christian Meyer«, sagte ich und gab dem Martin die Nummer von Christian Meyer, »aber mein Zweitname ist Martin.«
»Nein!«
»Doch!«
»Mein Zweitname ist Christian.«
»Nein!«
Frau Petrowitsch juchzte ob dieses unfassbaren »Zufalls«.
Sie wirkte so glücklich.
»Passen Sie auf, Martin, Frau Petrowitsch, meine Freundin ist schwanger, Sie beide sind die Ersten, die es erfahren. Wollen Sie, wollt ihr die Paten sein?«
In diesem Moment kam meine Freundin an den Verkaufstresen, wurde sofort von Frau Petrowitsch umarmt, der Tränen der Rührung in den Augen standen.
»Frau Gogol, oder darf ich schon sagen Meyer? Das wird der schönste Tag in Ihrem Leben! Selbst wenn es regnet. Bei meiner Chochzeit hat es geregnet. Es war schönste Tag in meinem Leben. Genießense es.«
Der Chef gab meiner Freundin die Hand. »Wir Frankfodder lasse nischts anbrenne, gell?«
Sie guckte mich an. Diesen Ausdruck kannte ich schon. Er verhieß nichts Gutes.
»Was denn für eine Hochzeit?«, fragte sie verwirrt.
Hä? Hatte sie nicht vorhin behauptet, wir würden heiraten, damit Frau Petrowitsch sich beeilte? Ich musste handeln, ehe alles aufflog.
Ich sagte: »Ja, es sollte eigentlich eine Überraschung werden!«
Dann kniete ich mich hin.
Mittlerweile ist der Möhrenmann aufgewacht. Er und der Schaffner diskutieren, ob ein Ticket für die Regionalbahn auch im ICE gelten würde. Sie haben unvereinbare Meinungen zu diesem Thema. Einer von beiden muss falschliegen. Und ich glaube, ich weiß wer.
Ist das nervig.
Ich hätte das Auto nehmen sollen.
Da ist man zumindest allein.
Obwohl das eigentlich auch nicht geht, wegen ökologischem Fußabdruck und so. Musste ja wen mitnehmen. Willst aber gleichzeitig deine Ruhe. Oder Hörbuch hören. Und dann fragen die die ganze Zeit, wer wer ist. Weil sie den Anfang der Geschichte nicht mitbekommen haben. Und dann musst du denen das erklären. Beim letzten Harry-Potter-Band. Und dann niesen die wahrscheinlich auch noch. Oder essen Möhre. Aaaah!
Ein weiteres Problem: Seit geraumer Zeit schreie ich im Auto. Ich hatte das immer für ein total übertriebenes Klischee gehalten, aber auf mich trifft es zu. Ich schreie alle an. Um mich abzureagieren. Natürlich nur, wenn ich alleine bin. Und natürlich nie ohne Grund. Es sind einfach alle außer mir Idioten.
Nur mein Weg ist der richtige. Vor allem der einzige. Wo müssen denn die anderen Leute überhaupt hin? Am Montag zwischen 16 und 18 Uhr? Alles Arschlöcher. Die entweder drängeln oder mich nicht durchlassen. Ich geb doch schon Lichthupe. Aaaah.
In New York bin ich auch Auto gefahren. Mit meiner Family. Ich habe kein einziges Mal geschrien. Ich habe mich noch nicht mal aufgeregt. Es ist ein anderer Stil. Wenn man dort an eine Kreuzung ohne Ampel kommt und da steht noch ein anderes Auto, dann guckt man sich an und stimmt sich ab, wer als Erstes fährt. In Deutschland undenkbar. Da würde jeder zuerst fahren. Vor allem ich.
Nur ja dem anderen nichts gönnen. Immer stur geradeaus.
Schon Rousseau sagte einst: Reise in ein anderes Land mit dem Zug, und du lernst es kennen, reise mit dem Auto und du lernst es hassen. Also nicht Jean-Jacques Rosseau, sondern Enrico Rousseau, ein sächsischer Philosoph.
Er ist eigentlich kein Philosoph. Er ist ein Typ, den ich noch aus Schulzeiten kenne. Eigentlich heißt er auch nicht Rousseau, sondern Rößner.
Weil er in der zehnten Klasse sitzen geblieben war, hatten wir uns aus den Augen verloren. Eines Tages traf ich ihn am Dresdner Hauptbahnhof wieder. Ich treffe sehr viele Leute an Bahnhöfen. Auf der einen Seite ist das sehr praktisch, weil ich mich so selten verabreden muss. Auf der anderen Seite ist das sehr traurig, weil es zeigt, dass ich neben dem Auftreten offenbar kein Leben habe.
Es muss so gegen 2004 gewesen sein, kurz nachdem ich angefangen hatte, meine Texte auf Bühnen vorzulesen.
Um mich herum am Dresdner Hauptbahnhof standen ganz viele nervige Fußballfans. Von Dynamo. Ist aber eigentlich auch egal welcher Verein, Fußballfans sind wie Wurzelbehandlungen. Immer unangenehm.
»Ey, Dschalljes, Dschalljes Fischer?«
Ich spürte eine schwere Hand auf meiner Schulter und drehte mich um. Vor mir hatte sich ein etwa zwei Meter großer Typ mit gelber Schminke im Gesicht und einem abgebrochenen Schneidezahn aufgebaut.
»Enni?«, fragte ich.
»Für dich immer noch Enriggo, Aldr!«
»Krass, was machst du denn hier?«
»Das könntsch dich ooch fragen.«
Ich umarmte ihn. Er schubste mich weg.
»Ey, ich bin keen Homo!«
»Schuldige, wie begrüßt du denn Leute, die du lange nicht gesehen hast?«
Er boxte mir an die Schulter.