Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung. Julius Fischer
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Meine Schwester schlief. Sie kann immer schlafen. Klassisches Scheidungskind.
Meine Mutter guckte Coffee and Cigarettes. Wegen Tom Waits. Original mit Untertiteln. Englischen Untertiteln. Weswegen sie mich ständig fragte: »Was hat er gesagt?«
Eigentlich war sie also daran schuld, dass ich nicht zum Schlafen kam.
In New York angekommen mussten wir zur Passkontrolle. Mein Bruder hatte Angst, nicht durch den Finger-Scan zu kommen, weil sich aufgrund der Pubertät die Haut an seinen Daumen permanent schälte. Ein Schlangenjunges.
Der Beamte fragte: »What brings you to the United States?«
Meine Mutter fragte: »Was hat er gesagt?«
Ich sagte: »Family trip!« Und zu meiner Mutter: »Sie behalten dich erst mal hier.«
Sie lachte. Der Beamte lachte nicht. Sie lachte nicht mehr. Ich lachte.
Jetzt mussten wir nur noch zum Hostel kommen, hoffen, dass wir nicht mit zwanzig besoffenen Engländern einen Schlafsaal teilen müssten und eine Übernachtung für Samstag finden würden. Standard.
Die Leute auf der Mayflower hatten es auch nicht leicht. Damals gab es ja noch nicht mal eine U-Bahn. Oder WLAN.
Die U-Bahn-Fahrt war total spannend. Für meine Mutter. Ich wusste ja, wo wir rausmussten. Deswegen brauchte ich nicht auf die ohnehin unverständlichen Durchsagen zu achten. Sie wiederum saß ganz vorne auf ihrem Sitz und fragte ständig: »Was hat er gesagt?«
Im Hostel angekommen bekamen wir zwei Doppelzimmer, in denen es stark nach Benzin roch. Zumindest waren wir allein. Mal abgesehen von den Ratten.
Mein Bruder ging sofort pennen, da sich immer mehr Haut von seinem Körper ablöste, ein in unserer Familie untrügliches Zeichen für Müdigkeit. Schlangenfamilie.
Ich schaue vom Bildschirm auf. Mein Mitreisender wälzt sich im Schlaf hin und her, als ginge es um sein Leben. Zu viel Rohkost vor dem Schlafen ist nicht gut. Das gärt und bläht. Wie ich feststellen muss. Er furzt, als wäre er hier zu Hause.
Wie ich in unserer ersten Nacht in Amerika. Obwohl: Bei mir war es die Angst.
Am nächsten Tag waren wir super fresh. Mein Bruder war sogar noch fresher. Er hatte sich nachts einmal komplett gehäutet und strahlte rosig. Den Tag über liefen wir herum. Ich fand ein Hotel für Samstag. Es kostete inklusive der Gebühren fürs Telefonieren in etwa fünfhundertfünfzig Euro. Am Abend gingen mein Bruder und ich in die Kellerbar des Hostels, um uns eine Comedy-Show anzugucken. Ich dachte mir, da kommt das her, also jetzt nicht aus diesem Keller, aber aus Amerika, das wird man sich doch mal angucken dürfen. Zu Hause würde ich das unter keinen Umständen machen. Deutschland ist kein Comedy-Land. Zu einfach die Mechanismen. Sag den Leuten etwas, das sie schon wissen, und sie lachen.
Da gehe ich doch wirklich lieber zum Poetry Slam. Da wird zumindest ab und an mal betreten geschwiegen.
Die Moderatorin begrüßte die fünf Zuschauer, einen Australier, zwei Briten und uns, sowie die zehn Comedians mit einer der Situation angemessenen Begeisterung.
Dann forderte sie uns auf, unsere Herkunft zu nennen, ich outete meinen Bruder und mich als Deutsche, womit wir, denn das ist in der amerikanischen Comedy eben so üblich, die Nazis waren. Das alleine fand ich nicht schlimm, nur ein wenig billig, da jeder der folgenden Comedians sich darauf bezog.
Was mich erstaunte, waren zwei Dinge: Erstens wurde mein Bruder beim Versuch, an der Bar eine Cola zu erstehen, mit Edding markiert, damit er ja keinen Alkohol kaufte, zum anderen machte jeder der Auftretenden beim geringsten Sex-Gag in seinem Set eine Pause, um darauf hinzuweisen, dass sich ein Minderjähriger, wenn auch ein minderjähriger Nazi, im Publikum befände und dementsprechend der Gag entfallen müsse. Nicht, dass ich es schlimm finde, jemanden als Nazi zu bezeichnen, weiß Gott nicht, aber ich finde Nazis nun mal schlimmer als Witze über Geschlechtsorgane.
Das alles war natürlich Öl im Feuer meines eh schon vor sich hin pubertierenden Bruders, der dementsprechend in der Pause das Weite suchte. Nicht genug damit, dass er einen Geruch wie ein Elch verströmte, seine Stimme bei jeder Gelegenheit brach wie eine Birke im Sturm und das Leben selbst ihm jede Lust nahm, nun wurde er auch noch von schlechten amerikanischen Comedians fertiggemacht.
Auf die Frage, wo er denn sei, antwortete ich nach der Pause mit: »Er ist nach oben gegangen, um noch ein bisschen Völkermord zu begehen, oder was wir Deutschen eben so machen.«
Daraufhin wurde ich nicht mehr angesprochen.
Immer wenn es in Amerika lustig zugeht, zum Beispiel bei einem Comedy Roast, geht es unter die Gürtellinie. Ich habe selbst mal bei einem Roast mitgemacht. Das Ziel einer solchen Show ist es, sich gegenseitig möglichst eloquent fertigzumachen. Ich war vor allem der Dicke mit dem kleinen Penis, die anderen haben meine Beleidigungen meistens nicht verstanden, weil ihre Eltern Geschwister sind.
Ich glaube ja, der Möhrenmann hat gar keine Eltern. Er ist einfach irgendwann gewachsen. Eine immer größer werdende Wurzel, die irgendwann ein Gehirn entwickelte. Und nun seine Artgenossen verspeist, um sich mit Energie zu versorgen.
Carrot Cannibal, der neue Bösewicht im Marvel-Universum.
Einen Roast gab es ja auch bei der letzten US-Wahl.
Das habe ich nicht verstanden.
Was hatte das in einem Wahlkampf zu suchen? Sollte das die menschliche Seite der Kandidaten zeigen? Dass sie Witze übereinander machen?
Hat Trump überhaupt Humor?
Ich habe kein Problem mit Witzen, ich liebe gute Witze, aber was bringen die im Wettkampf um eines der wichtigsten Ämter der Welt?
»Hey, er hat den atomaren Erstschlag befohlen, aber hast du den Witz gehört, den er dabei gemacht hat?«
Ich habe Angst vor dieser Entwicklung. Dass Politiker jetzt auch noch witzig sein dürfen.
Da wird einem schon mal verziehen, dass man ein sexistisches, rassistisches Arschloch ist, das grundsätzlich nichts gegen den Schießbefehl hat.
Ich frage mich, wo das hinführt?
Diese Verrohung der Sprache, das Verschwimmen der Grenzen.
Klar kann der Witz ein Mittel sein, um Inhalte zu transportieren. Aber nicht, wenn er aus Image-Gründen eingesetzt wird. Dann doch lieber ein kleines Selfie aus dem Tierheim oder der Dritten Welt. Überlasst die Witze den Witzemachern. Das würde ich manchen Comedians auch gerne sagen.
Als ich zwei Tage später mit meiner gesamten Family auf Wunsch meiner Mutter in einen richtigen Comedy Club ging und wir gefragt wurden, ob wir uns in die erste Reihe setzen wollten oder davor Angst hätten, antwortete ich: »We’re not scared, we’re Germans.«
Woraufhin der Platzanweiser hart lachen musste. Und uns in die erste Reihe setzte.
Ach, ich hasse Menschen.
Die Tür wird aufgeschoben und der Schaffner betritt das Abteil.
Er deutet auf den immer noch schlafenden Möhrenmann und fragt: »Gehört der zu Ihnen?«
Allein