Reaktanz - Blindwiderstand erkennen und umnutzen. Carmen Thomas

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Reaktanz - Blindwiderstand erkennen und umnutzen - Carmen Thomas

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Der Blindwiderstand verhindert im Auto, dass Energie fließt. Damit wird die Energie blockiert und der Strom am Fließen gehindert, bis der Fensterheber aktiv benutzt wird, oder jemand den Finger dazwischensteckt. Der Reaktanz ist eine schnelle Reaktion zu verdanken, und dass der Finger dranbleibt.“

      Das finde ich jetzt gar nicht so übel. Genauso verbraucht die Reaktanz in der Kommunikation Energie und blockiert den Energiefluss, der nötig ist, um Lösungen zu finden. Denn die innere Energie wird im Blockieren gebunden.

      Und die psychologische Seite der Reaktanz? Laut dem „Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache DWDS“ taucht das Wort „Reaktanz“ in der Presse nur selten auf. 2011 gab es einen großen Artikel in der ZEIT zum Thema Reaktanz mit dem Titel „Sog der Masse“1. Darin geht es um das sozialpsychologische Phänomen der Reaktanz. Und das hat sich Jack Brehm, Harvard-Absolvent und Professor an der Universität von Kansas, ausgedacht und mit seiner Frau Sharon beschrieben. Das ist er:

      

Über ihn gibt es nicht mal einen Wikipedia-Eintrag. Bekannt ist, dass er von 1928 bis 2009 lebte und 1966 das erste Buch über die Theorie der Reaktanz schrieb2. Schade, dass er schon tot ist; ich hätte ihm gern dieses Buch geschickt und ihm geschrieben, wie dankbar ich ihm für seine Erkenntnisse bin.

      Unter „psychologischer Reaktanz“ heißt es also im Lexikon: Darunter „versteht man eine komplexe Abwehrreaktion, die als Widerstand gegen äußere oder innere Einschränkungen aufgefasst werden kann. Reaktanz wird in der Regel durch psychischen Druck (emotionale Argumentation, Nötigung, Drohungen) oder die Einschränkung von Freiheits-Spielräumen (Verbote, Zensur) ausgelöst. Als Reaktanz im eigentlichen Sinne bezeichnet man dabei nicht das ausgelöste Verhalten, sondern die zugrunde liegende Motivation oder Einstellung.“

      Das heißt, dass die Reaktanz, also der „innere Blindwiderstand“, psychologisch dann entsteht, wenn ein Mensch die eigene Entscheidungsfreiheit gefährdet sieht. Inklusive der Tendenz, gegen diese Bedrohung zu rebellieren, ergibt sich daraus eine innere Abwehrhaltung, ein unklarer, also blinder Widerstand gegen Beeinflussungsversuche bis hin zu blockierenden Trotzreaktionen. Ist jetzt wohl schon eine erste Idee entstanden, was reaktantes Verhalten ist?

      Die Reaktanz, also der „innere Blindwiderstand“, entsteht dann, wenn ein Mensch die eigene Entscheidungsfreiheit gefährdet sieht.

      Und das legen Menschen buchstäblich ja bereits seit Adam und Eva an den Tag: „Dann legte Gott, der Herr, einen Garten im Osten an, in der Landschaft Eden, und brachte den Menschen, den er geformt hatte, dorthin. Viele prachtvolle Bäume ließ er im Garten wachsen. Ihre Früchte sahen köstlich aus und schmeckten gut. (…) Er gab ihm die Aufgabe, den Garten zu bearbeiten und ihn zu bewahren. Dann schärfte er ihm ein: ‚Von allen Bäumen im Garten darfst du essen, nur nicht von dem Baum, der dich Gut und Böse erkennen lässt‘“, so heißt es in der Schöpfungsgeschichte (1. Mose 2,8-9; 16-17). Und vermutlich ist den meisten noch in Erinnerung, was diese winzige Einschränkung in der Entscheidungsfreiheit und die darauf folgende Reaktanz alles ausgelöst hat.

      Irre, dass das bis heute unverändert genau so weiterläuft. Und das von klein auf. Kürzlich traf ich den TV-Moderator und Arzt Eckart von Hirschhausen. Er fragte, was ich denn aktuell mache. Ich sagte: „Ein Buch über Reaktanz schreiben.“ Und da haute er mich vom Hocker, indem er in all den Jahren, in denen mich die Reaktanz bereits fasziniert, der erste Mensch war, der auf Anhieb etwas Konkretes zum psychologischen Teil des Themas beizutragen hatte: „Den Begriff kenne ich von meiner Frau. Die ist Psychologin. Sie hat mir auch ein illustrierendes Beispiel erzählt: Wenn ein Kind zwanzig Buntstifte bekommt und ihm jemand sagt: ‚Du darfst mit allen 19 Stiften malen, nur nicht mit dem gelben‘, dann will das Kind natürlich unbedingt mit dem gelben malen.“ Von Hirschhausen grinste: „Das darf ruhig mit Quellenangabe mit ins Buch kommen.“ Voilà: ist verdient.

      Ein anderes, vermutlich gut bekanntes Beispiel ist der Gedanke: „Vor dem Urlaub muss ich unbedingt drei Kilo abnehmen! Ab sofort gibt’s FdH-Diät!“ Und schwupps – schon folgt eine Fressattacke nach der anderen, die die Bikini- beziehungsweise Tarzan-Figur aufs Tragischste boykottiert.

      Diesen „Jetzt erst recht“-Effekt, der zu den Reaktanz-Reaktionen gehört, nutzt auch die Werbung für sich, indem sie mit Schlagwörtern wie „Nur so lange der Vorrat reicht“ oder „Nur noch fünf Stück auf Lager!“ eine Knappheit suggeriert, die das Angebotene besonders begehrenswert macht. Wenn Kundinnen und Kunden so ihre Wahlfreiheit bedroht sehen, sind sie versucht, den reaktanten Spannungszustand abzubauen. Dabei kann dann allerhand passieren: fieberhaftes Bemühen, um den schwer zugänglichen Artikel zu bekommen. Aber auch Trotz mit Abwertung des Gegenstands oder Aggression mit Ächtung des Geschäftes.

      Oder: Wenn im Lokalteil der Zeitung steht, dass das alte Kino im Ort dichtgemacht werden soll, sind Menschen plötzlich aufgebracht, traurig, ja zornig, weil diese Möglichkeit der Freizeitgestaltung wegfällt. Und das auch, wenn sie im Grunde schon seit Jahren nicht mehr in dem Kino waren und auch kein Bedürfnis danach verspürt haben, weil die Sitze dort unbequem waren, das Popcorn muffig schmeckte und die Filmauswahl bei Netflix sowieso besser ist. Angesichts der bedrohten Entscheidungsfreiheit ist das alles plötzlich nebensächlich: Aus der Reaktanz gespeist sollen bisher gewohnte Möglichkeiten dann unbedingt erhalten werden.

      Der Psychiater und Begründer der Logotherapie, Viktor E. Frankl, nutzte bei seinen Patienten etwas, das er „paradoxe Intervention“ nannte. Und das ist im Grunde umgenutzte Reaktanz: Wer Schlafstörungen hat, so Frankl, solle sich mit aller Kraft vornehmen, unbedingt wach zu bleiben – und schläft dann unweigerlich ein. Wer bei Auftritten in der Öffentlichkeit errötet, versuche beim nächsten Mal mit aller Kraft, rot anzulaufen – und dann geht es nicht.

      Und hier noch eine schmutzige Erfolgs-Geschichte unter dem Motto „Reaktanz künstlich erzeugen, um damit auszubeuten“: Der Finanzbetrüger Bernie Madoff nutzte ab den 1960er-Jahren in den USA über lange Zeit den Reaktanz-Trick: Er verbreitete überall, er könne leider keine anlagewilligen Kunden mehr annehmen – egal, wie viel Geld sie anböten. Mit dieser angeblichen Verknappung löste er einen regelrechten Run auf seine Firma aus. Und dann veruntreute er die ihm anvertrauten Gelder in Milliardenhöhe. Er schreckte auch nicht davor zurück, gemeinnützige Organisation und Stiftungen zu schröpfen.

      Mich hat die Einsicht fasziniert, dass die Reaktanz als Blindwiderstand ganz unbewusst aufkommt. Denn klar: Wem etwas gegen den Strich geht, das er oder sie begründetermaßen als scheußlich oder schlecht empfindet, der oder die stellt sich meist offen dagegen und rebelliert. So erleben die meisten Menschen den normalen erkennbaren inneren Widerstand.

      Bei der Reaktanz dagegen spricht interessanterweise als Erstes der Körper unwillkürlich mit. Es ist eine deutlich spürbare, aber verdeckte Sprache, die offenbar aus einer chemischen Reaktion des Körpers stammt: Der berühmte „dicke Hals“ schwillt an, der Bauch wird hart, oder es entsteht Druck irgendwo anders im Körper. Die Stellen sind individuell verschieden. Aber – und das ist der Unterschied – der Grund dafür ist nicht sofort transparent. Er ist „blind“. Ein Mensch versteht sich dann plötzlich selbst nicht mehr: „Ich bin dagegen, ich weiß aber gar nicht, warum.“ Dieser innere Blindwiderstand kann komplizierenderweise sogar dafür sorgen, dass ein Mensch nicht mehr seiner eigenen Meinung ist und anders empfindet als sonst, ohne das recht einordnen zu können.

      Bei der Reaktanz spricht als erstes der Körper unwillkürlich mit: Der berühmte „dicke Hals“ schwillt an, der Bauch wird hart, oder es entsteht Druck irgendwo anders im Körper.

      Es passiert ständig und unterschwellig überall. Sowohl im Umgang mit sich selbst als auch im Verhalten mit anderen:

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