Reaktanz - Blindwiderstand erkennen und umnutzen. Carmen Thomas

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Reaktanz - Blindwiderstand erkennen und umnutzen - Carmen Thomas

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sich gerade diesen Menschen zum Anscheißen herauspicken. Sie durchschauen nicht genau, was die Wurzeln ihrer Wut auf einen komplett fremden Menschen in Wirklichkeit sind.

      Ich nenne diesen körperlich spürbaren Impuls gern spaßeshalber „Grüße aus dem Neanderthal“. Denn die instinkthafte Reaktanz gab es ja schon in der Steinzeit. Da war sie für die frühen Menschen unter Umständen überlebenswichtig. Unbekanntes verursacht zuverlässig bis heute diese blockierende Fremdel-Angst oder einen merkwürdigen, sachlich eigentlich unbegründeten Ekel. Und das war ja immer schon gut so. Schließlich mussten die Urvorfahren erst mal schmerzlich lernen: „Alles ist essbar. Aber manches nur einmal.“ Deshalb konnte sich instinktive, scheinbar grundlose Spontan-Abwehr als lebensrettend erweisen.

      Und im nächsten Schritt provozierte das „neanderthalerische Keulen-Gen“ den Impuls, auf das Undurchschaubare, Fremde, Verunsichernde, ja Einschüchternde sicherheitshalber erst mal draufzuhauen. Auch diese Reaktion ist eigentlich bis heute ganz ursprünglich, von der Reaktanz getriggert, in den meisten Menschen erhalten geblieben – nur die Form der Keulen hat sich geändert

.

      Das ist täglich erlebbar. Hier ein paar bekannte Situationen als Beispiel:

      Bei Unbekanntem: Jemand bietet Ihnen gebratene Seidenraupenlarven zum Probieren an, mit der Versicherung, dass die leckerer und gesünder als Krabben seien. Jetzt greift die Neanderthal-Reaktanz. Motto: „Wat der Buur net kennt, freet he nich“.

      Bei emotional Bevormundendem: Jemand stellt voller Begeisterung ein neues Projekt in der Firma oder einen tollen Urlaubsplan in der Familie vor. Zwei typische Basis-Reaktionen – je nach Beziehung und Hierarchie – laufen so ab: Entweder erklingt spontanes Maulen: „Och nööö!“, „Kenn ich schon“ (einer der beliebtesten Totschläger) oder „Find’ ich langweilig“...

      Oder die ersten paar Kollegen beziehungsweise Familienmitglieder reagieren noch wunschgemäß offen auf die Ideen. Und dann greift das bislang ungeschriebene Reaktanz-Gesetz: „Ab dem/der Fünften kippt’s“: Es ist fest damit zu rechnen, dass spätestens ab der fünften Meinungsäußerung das gesetzmäßig reaktante Dagegenhalten eintritt. Je nach Charakter von Nr. 5 oder sogar 6 kann es auch mal bis zum siebten oder achten Rundenmitglied dauern, bis es passiert. Aber dann widerspricht unvermeidlich jemand dem allgemeinen Tenor – oft ohne selbst zu wissen, weshalb, und manchmal sogar gegen die eigentliche persönliche Überzeugung. Das geschieht bei zu glamourösen Schilderungen, bei allzu großer Einigkeit oder bei dem Gefühl, nicht auf der „Schleimspur von Nettigkeit“ der Vorherredenden ausglitschen zu wollen. Ist das emotionale Gleichgewicht gestört, dann will die Balance einfach wiederhergestellt werden.

      Es funktioniert tatsächlich so gesetzmäßig wie bei (Hufeisen-)Magneten in der Physik: Wenn ein Pol des Magneten abgetrennt wird, organisiert sich wie durch Zauberhand sofort der entgegengesetzte am abgeschnittene Ende neu. In meinen Coachings und Trainings demonstriere ich das gern an einem Beispiel.

      Ich unterbreche ganz nebenbei den Ablauf und hole ein neutrales Gläschen mit handelsüblichen Pfefferminzbonbons hervor. Mit großer Geste gehe ich jetzt von links nach rechts an den ersten fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorbei und sage mit übertrieben begeistertem Tonfall: „Ich habe hier suuuperleckere Pfefferminze. Wirklich ganz außergewöhnlich lecker. Bestimmt haben Sie noch nie so wohlschmeckendes Pfefferminz gegessen.“ Manchmal unterschreite ich dann auch noch die körperliche Individualdistanz und drängele: „Hier, probieren Sie mal!“

      Und dann fange ich die Runde noch mal von vorn an und frage provokant: „Und? Wie schmeckt es?“

      Erfahrungsgemäß antwortet die erste Person meist mit schal-höflichem Unterton: „Gut.“

      „Na ja, halt wie Pfefferminz“, sagt die zweite Person schon einen Hauch gereizter.

      „Normal“, echot die Dritte noch einen Hauch abweisender.

      „Schmeckt wie TicTac“, sagt die Vierte dann schon leicht patzig.

      Und voll aufgestauter Reaktanz flötet die Fünfte jetzt entweder übertreibend: „Hmmmmm, himmmmlisch!“ Oder sie bricht – durch die unehrliche Höflichkeitswelle getriggert – in offene Aggression aus: „Total langweilig!“ Oder sagt angewidert: „Die schmecken irgendwie komisch!“

      Die Reaktanz sorgt dafür, dass jede Art der Bevormundung, jede Aufdringlichkeit, jede Unterdrückung zur entgegengesetzten Instabilität führt. Also: Zu viel Schwärmen lässt mechanisch in Abwehr kippen. Zu viel Maulen ins Zustimmende. Besonders faszinierend ist, dass es tatsächlich in beide Richtungen funktioniert: Wenn ich die Bonbons mit den Worten präsentiere: „Bitte probieren Sie mal, die schmecken doch irgendwie komisch?“, führt das gesetzmäßig dazu, dass das Gegenteil der emotionalen Bevormundung eintritt und die Nächsten die Bonbons plötzlich besonders lecker finden.

      Die Reaktanz sorgt dafür, dass jede Art der Bevormundung, jede Aufdringlichkeit, jede Unterdrückung zur Instabilität führt. Also: Zu viel Schwärmen lässt mechanisch in Abwehr kippen. Zu viel Maulen ins Zustimmende.

      Dieser Ablauf passiert so sicher wie das Amen in der Kirche.

      Einmal hatte ich die Bonbons nicht dabei. Über 100 Leute im Saal. Da ich schon mit der kleinen Vorbereitungsshow begonnen hatte, verlegte ich mich in meiner Not kurzerhand darauf, so zu tun, als hätte ich Pfefferminzbonbons. Und siehe da: Alle, die die virtuellen Pfefferminzbonbons angeboten bekamen, spielten spontan mit und fanden die Bonbons überraschend lecker. Und Bingo, selbst bei den rein imaginären Bonbons sagte Teilnehmerin Nr. 5 wie auf Bestellung: „Die sind bestimmt vergiftet.“ Herrlich – das ist Reaktanz in Reinkultur.

      Das Phänomen, dass immer die fünfte Person kippt, hat übrigens zwei Richtungen.

      > Ich kann das Kippen selbst erzeugen (monaktionell): „Ist das nicht unfassbar lecker?“

      > Das Kippen wird von Gruppen ohne mein Zutun und ohne emotionale Bevormundung („Wie finden Sie die Uhr?“) selbst erzeugt, als heimlich „beratender“ Impuls aus dem Yin-Yang (koaktionell).

      Das Pfefferminz-Beispiel ist die Form der selbst verursachten Reaktanz: Ich bevormunde Menschen mehr oder weniger bewusst und verursache damit Reaktanz und Mauern. Diese Form ist besser zu steuern, weil es leichter fällt, auf eigenes Verhalten Einfluss zu nehmen. Sprich: Emotionale Bevormundungen lassen sich mit Hilfe der Reaktanz-Körperempfindungen wahrnehmen, modifizieren und sogar unterlassen.

      Und dann ist da das noch tiefer greifende Phänomen der „koaktionell verursachten Reaktanz“, die ohne eigenes Zutun im Umgang mit anderen entsteht. Als Beispiel zum „koaktionellen Selbsterleben“ halte ich in Gruppen gern meine Armbanduhr hoch und frage ganz sachlich: „Wie finden Sie meine Uhr?“ Und dann läuft ein gesetzmäßiger Prozess ab:

      1. Person: „Die Uhr ist groß und gut lesbar.“

      2. Person: „Schwarz und weiß finde ich gut.“

      3. Person: „Da sind auch noch Zusatzfunktionen unten drauf.“

      4. Person: ärgert sich, weil diese intelligente Beobachtung nun vorweggenommen ist. Und um nicht nachzuquasseln, oder die Gruppe mit „Ich wollte das Gleiche sagen wie mein-e Vorredner-in“ zu langweilen, rettet sich die Person nun auf die äußeren Knöpfe zum Funktionenändern. Und dann kommt’s. Mit schöner Regelmäßigkeit kippt die

      5. Person jetzt zuverlässig reaktant und sagt, um die Schleimspur von Nettigkeit zu beenden,

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