Reaktanz - Blindwiderstand erkennen und umnutzen. Carmen Thomas
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Читать онлайн книгу Reaktanz - Blindwiderstand erkennen und umnutzen - Carmen Thomas страница 7
Es war eindeutig: Erst reagierte der Körper mit diesem Frühwarnsystem, wenn die Balance in einer Gruppe gestört war, und dann erst der Verstand. Deshalb war den meisten Menschen unklar, warum sie auf einmal „dagegen“ waren.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich aus Wissen Verstehen und daraus folgten nach und nach immer bessere Ansätze, um die Reaktanz als Gerechtigkeitssensor und nützliches Hilfsmittel zu entdecken und umzunutzen.
Sie finden in diesem Buch eine Auswahl praktischer Tools aus meiner „Werkzeugkiste“, die die negativen Folgen der Reaktanz verringern können. Vor allem aber, und das ist noch viel entscheidender, geht es beim Umnutzen von Reaktanz um eine Veränderung der inneren Haltung – bei sich selbst und bei den anderen Beteiligten.
Die sieben inneren Optimier-Haltungen, die ich Ihnen in den folgenden Kapiteln vorstellen möchte, heißen Schlüssel, weil sie darin unterstützen möchten, selbst aufgeschlossener zu reagieren und zugleich neue Kommunikations-Räume zu erschließen. Sie sind sozusagen das Kondensat aus den vielen Jahren meiner Forschungsarbeit am Wie und an den Erkenntnissen über die Reaktanz und ihren Nutzen. Egal, ob beruflich oder privat – es geht darum, abgeklärter zu agieren und lösungsorientierter zu reagieren. Und allen Beteiligten aus Reaktanz-Fallen zu helfen und ungeahnt positive Erfahrungen mit sich selbst und anderen zu machen.
Die 7 Schlüssel sind ein inneres Geländer, um mehr Halt, Zusammenhalt und Sicherheit in Klein- und Großgruppen herzustellen. Eins der Ziele ist, alle ins Boot zu holen und dann miteinander rudern zu können statt durcheinander oder gegeneinander:
1. Zulassen statt zumachen
2. Addieren statt konkurrieren
3. Verwerten statt bewerten
4. Umnutzen statt runterputzen
5. „Interessiert mich“ statt „Kenn’ ich“
6. Ahhh statt Oooh
7. Kopieren zum Kapieren
„Zumachen“, also Blockieren, Mauern und Nicht-(mehr)-mitspielen-Wollen, ist die erste und typischste Reaktanz-Reaktion, die jede-r kennen dürfte, wenn irgendetwas passiert oder jemand auftaucht, der/die/das nicht passt, überfordernd, verletzend ist oder sonst wie gegen den Strich geht. Die Reaktanz äußert sich zuerst und sofort, noch bevor sie bewusst wahrgenommen wird, „nach innen“, zum Beispiel im Dicker-Hals- oder Harter-Bauch-Gefühl. Die nächste Stufe sind Signale nach außen: beispielsweise Augen zusammenkneifen, Lippen aufwerfen, vorgeschobenes Kinn, eventuell spontanes Armekreuzen oder sogar abwehrende Handbewegungen.
Es war ein längerer Lernprozess, der mich zu der Erkenntnis führte: Ich kann die Reaktanz-Empfindungen als pointierte Beratung begreifen, sie ernst nehmen und dann in Ruhe ganz gelassen hinsehen und hinhören, was eigentlich genau los ist. Erst mal zulassen statt zumachen führt immer weiter. Abweisen geht ja immer noch und jederzeit.
Im Zulassen, im Erstmal-neugierig-Sein liegt der erste Schritt zu den anderen Sätzen. Nur wer überhaupt erst mal zulässt, kann danach addieren, verwerten, umnutzen, sich interessieren und fehlerfreundlich sein. Das Zulassen ist der Generalschlüssel zu einer neuen Verhaltens-, Umgangs- und Lösungs-Kultur. Zulassen verhindert zeitfressende Bedenkenträgereien und stoppt fruchtlose Überlegungen, wie’s nicht geht. Außerdem ist Zulassen der Türöffner, um bei Reaktanz-Gefühlen angesichts von Kritik erst mal Ruhe einkehren zu lassen. Und es ist der Grundstein zu der Grundannahme: „Geht nicht gibt’s nicht – es gibt immer mindestens einen Weg.“
Der Lohn des Zulassen-Lernens ist das schöne Gefühl, mit schwierigen Situationen gelassen, fair und offen umgehen und sogar aus fiesen Situationen noch Nutzen ziehen zu können.
Der Lohn des Zulassen-Lernens ist das schöne Gefühl, mit schwierigen Situationen gelassen, fair und offen umgehen und sogar aus fiesen Situationen noch Nutzen ziehen zu können. Wie das geht? Beginnt wie immer mit einem ersten Schritt …
Vom Zumachen vor dem Zulassen
Uff – zulassen? Diesen ersten Schritt musste ich als Anfängerin im Radio erst finden. Nach Abschluss meines Studiums fragte ich den Chefredakteur, welche Chancen es denn wohl für mich zum Weiterentwickeln gäbe. Das brachte ihn auf den glorreichen Einfall, mich ausgerechnet ein Volontariat in der Redaktion machen zu lassen, in der ich bereits seit zwei Jahren als Moderatorin arbeitete.
Dazu ist wichtig zu wissen, wie tief der Graben zwischen Redaktion und Moderation schon immer war: Das „Schwarze-Peter-Karussell“ lautet(e): „Die Moderation versaubeutelt die tollen Redaktions-Themen auf dem Sender.“ Gekontert mit: „Die Redaktion liefert die doofen Themen, weshalb die Moderation schlecht sein muss.“
Ich saß also in der Redaktion, als der Oberredakteur des Morgenmagazins zu einem Jüngeren sagte: „Ruf doch mal für morgen früh den XY in New York an.“
„Wer ist das denn?“, fragte der Kollege.
„Das ist der stellvertretende UNO-Generalsekretär“, sagte der andere.
In diesem Moment kam eine Kollegin herein. Moderatorin wie ich, aber etwas älter und schon länger dabei. Der frisch Beauftragte sagte ironiefrei zu ihr: „Rufen Sie doch mal für die Sendung morgen den XY an.“
„Wer ist das denn?“, fragte die Kollegin ganz normal.
Und da antwortete der Typ, der vor einer Minute selbst die gleiche Frage gestellt hatte, ungespielt empört: „Waaaas?!?!?! Das wissen Sie nicht? Und dann wollen Sie hier als Moderatorin arbeiten?“ Und das todernst.
Ich saß wie vom Donner gerührt da. Bis heute schäme ich mich dafür, dass ich feige die Klappe hielt. Und der Schock war so groß, dass ich von Stund’ an vor allem eins tat: zumachen. Also: Reaktanz durch Einschüchterung in Reinkultur. Der Mut, irgendeine Sachfrage zu stellen, war futsch. Denn es kam immer wieder vor, dass der Satz „Waas, das wissen Sie nicht?!?!“ auch in unterschiedlichsten anderen Zusammenhängen zum „Dissen“ benutzt wurde. Aber wie soll wachsen, wer kleingemacht wird?
Und das war kein Einzelereignis, sondern ein Grundproblem in der Unternehmens-Kultur. Als eine der ersten Moderatorinnen des WDR-Morgenmagazins fand ich mich morgens um 5:00 Uhr im Sender ein. Und wenn ich dann um 9:00 Uhr nach drei Stunden Moderation erschöpft und voller Selbstzweifel aus dem Studio wankte, saß dort der Redakteur, die Füße auf dem Schreibtisch. Und dann legte er los mit der Manöverkritik: „Da hast du wieder nicht ...“ – „Und da hättest du doch ...“ Gelegentlich erledigte er das, was ihm akzeptabel erschien, mit einem Mini-Satz: „Das ging ja, aber …“, und dann kam der Rattenschwanz von Kritik.
Natürlich ließ ich mir nicht anmerken, dass ich jedes Mal zutiefst getroffen war. Die Kritik konnte ich aber auch nicht auf mir sitzen lassen und erklärte mich daher halb zu Tode. „Das ist nur geschehen, weil