Reaktanz - Blindwiderstand erkennen und umnutzen. Carmen Thomas

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Reaktanz - Blindwiderstand erkennen und umnutzen - Carmen Thomas

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ganzes Rechtfertigen und Erläutern, wie es dazu gekommen war und was für Umstände dies und das verhindert hätten, gingen so lange und waren so nervig, dass nach einiger Zeit kein Mensch mehr Lust hatte, mir überhaupt irgendein Feedback zu geben. Wie unendlich schade, wo Kritik und Feedback doch so wertvolle Entwicklungshelfer sein können – allerdings erst dann, wenn alle Beteiligten sich für wirkungsbewusste und Reaktanz senkende Methoden entschieden haben.

      Kritik und Feedback können wertvolle Entwicklungshelfer sein – allerdings erst dann, wenn alle Beteiligten sich für wirkungsbewusste und Reaktanz senkende Methoden entschieden haben.

      Als erste Frau, die eine Sport-Sendung im deutschen TV moderieren durfte, war ich 1973 bei der Samstagabend-Live-Sendung „ZDF-Sportstudio“ verständlicherweise eine wandelnde Reaktanz erzeugende Herausforderung – nicht nur für die Fans und das Publikum, sondern auch für die Kollegen. Bei den Nachgesprächen am Montag nach der jeweiligen Samstagabend-Sendung konnten bis zu 60 Redakteure „zu Gericht sitzen“. So wirkte diese distanzierte Runde in einem Riesen-Konferenzsaal auf mich. Die Rückmeldung verlief als schlicht formloses Ritual, undurchdacht-assoziativ, ohne weiterführende Lern-Punkte. Da es keine klare und respektvolle Feedback-Kultur gab, lag es an mir mit meinem riesigen, eingeschüchterten Reaktanz-Hals, die Rosinen aus den Ansagen herauszupicken.

      Einziger Vorzug: Da meist auch die obere Hierarchie anwesend war, ging es dabei deutlich kultivierter zu als dann 1975 bei der Talkshow „3 nach 9“ in Bremen:

      Ein Jahr war ich als Talkmasterin mit Wolfgang Menge und Karl-Heinz Wocker dabei, anstelle von Marianne Koch. Die Nachgespräche aus dieser Zeit sind mir als „emotionale Hinrichtungen“ in Erinnerung. Komplett etikettefrei wurde aufeinander rumgehackt und nach allen Seiten gnadenlos mit wetteiferndem Sarkasmus ausgeteilt. Alle waren erleichtert, wenn jemand einen frühen Zug oder Flug erreichen musste und das Gemetzel deshalb ausfiel.

      Ich war nie blöde genug, um nicht selbst zu merken, dass vieles nicht gut genug war. Im Gegenteil: Alles und jedes, was suboptimal gelaufen war, stand mir stets überlebensgroß vor Augen und Seele, auch wenn ich das mit kesser Lippe zu überspielen versuchte.

      Das Äußerste, was ich an Zulassen zustande bekam, bestand darin, mit „dickem Hals“ den Mund zu halten und niemanden anzuschauen, um keinen weiteren Streit vom Zaun zu brechen. Ein wahres Eldorado der Reaktanz – insgesamt vor allem blockierend und lähmend und ohne jede Chance zur Kreativität oder zum Dazulernen.

      Bestimmt wäre es ein Anfang gewesen, wenn ich es geschafft hätte, erst mal alles ganz gelassen stehen zu lassen – auch das, was mich traf. Aber das ist ohne Training richtig schwer, vor allem in dem jungen Alter. Da waren doch noch so viel innere Unsicherheit und Selbstzweifel. Das Ganze erinnerte ein bisschen ans Apnoe-Tauchen: Wer einfach die Luft anhält und loslegt, kann ohne richtiges Maß böse enden. Aber mit Methode üben und dann langsam steigern – das bringt Erfolg. Der Weltrekord im Luftanhalten liegt übrigens bei sensationellen 21 Minuten und 33 Sekunden (überraschend: der Weltrekordhalter kommt aus den Schweizer Bergen

) .

      Mein Job zwang mich dazu, mehr über den sinnvollen Umgang mit Feedback zu lernen als andere Menschen. Denn mit gerade mal 21 in so einer hoch begehrten und geachteten Position öffentlich zu werden, das hatte einen Preis, von dem ich anfangs noch nichts ahnte: Es führte zu tausendfachen nicht angeforderten Feedbacks. Per Post kamen Oberlehrer-Korrekturen, Taktlosigkeiten aller Art, Heiratsanträge, Neid-Attacken, ja sogar Morddrohungen bis hin zum damals noch analogen „Shitstorm“ in Form von echt benutztem Klopapier (bezeichnenderweise zu der Sendung zum Thema „Kinder aufklären“).

      Eins war klar: Wenn ich dabei keinen Schaden nehmen wollte, brauchte ich neue Wege, um mit Kritik unbedingt konstruktiv, im wahrsten Sinne kompostierend umzugehen.

      Den ersten kleinen Schritt, das Stehenlassen, lernte ich in einer augenöffnenden Fortbildung bei Ruth Cohn, der Erfinderin der themenzentrierten Interaktion. Daraus wuchsen neue Feedback-Strategien. Die halfen mir schrittweise, beim Zulassen und Auswerten immer besser zu werden. Und als ich später über Jahre Gruppen-Coachings leitete, wurden Reaktanz-Situationen immer klarer erkennbar. Und das machte es immer leichter, sie umnutzen zu lernen, als ich die Sache mit dem Zulassen zu durchschauen begann. Denn das ist schlicht die Voraussetzung zum

      Zuhören: Was meint das Gegenüber genau?

      Hinhören: Nuancen, die Diktion, die Stimme, Mimik, Gestik, das Äußere bewusster mitbeachten.

      Dahinterhören: Was ist die „hidden agenda“, die eigentliche versteckte Botschaft des Gegenübers?

      Verwertend hören: Nur auf die Substanz achten und die herausfiltern, statt abzublocken oder wegzuhören.

      Ganz ehrlich? Das fiel mir erst mal richtig schwer. Ein wichtiger Lernschritt war, sich niemals mehr zu rechtfertigen und nix mehr zu erklären – egal, was geäußert wurde. Uff – erst mal reaktanzig-herausfordernd. Aber so befreiend. Denn das bedeutete ja auch, anderen weniger Macht über sich zu geben. Jedes Rechtfertigen macht im Grunde vor allem eines deutlich: Touché – aha, hier sind offenkundig dünnhäutige und verletzliche Stellen getroffen.

      Die Auswahl der Gäste für Radio und Talkshows verlief in den meisten Redaktionen ebenso quälend mit dauernden Herabsetzungen wie das Feedback. Kreative oder mutige Ideen entwickeln? Kein Gedanke dran. Sofort wurde jeder Einfall zu Tode argumentiert und die Ideengeber gern lächerlich gemacht. Meine Anregung, doch einfach mal das Publikum nach seinen Wünschen bezüglich der Talkgäste zu befragen, wurde bei „3 nach 9“ mit höhnischem Gelächter quittiert: „Denen fallen doch sowieso nur Peter Alexander oder Inge Meisel ein.“

      Dabei war ich mir von Anfang an sicher, dass das Publikum ganz eigene und interessante Themen auf der Pfanne hätte. Und wie wunderbar: Ab 1974 hatte ich als Redaktionsleiterin den Beweis dafür und die freie Hand zum Umsetzen. Jetzt konnte ich alles anders machen als zuvor. Und dazu gehörte tatsächlich die Umstellung, die Themenwünsche des Publikums zuzulassen. Damit war die Mitmach-Idee zu „Hallo Ü-Wagen“ geboren: In dieser „Kult-Institution“ – wie sie später so schmeichelhaft betitelt wurde – holte ich von 1974 bis 1994 wöchentlich drei Stunden lang Tausende von Menschen ans Mikrofon des Ü-Wagens, der ambulant an jeweils zum Thema passenden Orten in NRW zu Gast war. Fast 1.000 vom Publikum selbst angeregte politische, kulturelle, Alltags- und Tabu-Themen wurden dabei von geladenen Expert-inn-en und spontan Dazukommenden diskutiert. Zum ersten Mal konnten Millionen von Hörerinnen und Hörern im bevölkerungsreichsten Bundesland sowohl live am Ü-Wagen als auch in zahllosen wöchentlich vorgelesenen Pro-und-Kontra-Briefen ebenso spannend wie informativ ungefiltert von sich aus interaktiv mitmachen.

      Was ich damals nicht mal ahnte, war, dass mir die Mitmach-Idee nicht nur die schönsten Lorbeeren und Preise als echte Rundfunk-Innovation einbrachte. Zusätzlich entpuppte sich die Idee als Vehikel zur absoluten journalistischen Freiheit. Von Stund’ an musste ich in keiner Redaktions-Konferenz mehr begründen, warum ich ein Thema interessant fand. Es war ein Publikums-Wunsch, also wurde es zugelassen. Das führte dazu, dass zum ersten Mal über fast drei Stunden Themen im Radio vorkamen, die vorher dort noch gar nicht oder nicht so ausführlich Platz gefunden hatten.

      Anfangs dachte ich bei „Hallo Ü-Wagen“ noch selbst: Ich bin mal nett zu diesen einfachen Menschen, indem ich sie auch mal was sagen lasse. Bis ich begriff, dass umgekehrt das Publikum extrem nett zu mir war, dass es mich nicht ein einziges Mal in Hitze, Schnee und Regen hat allein stehen lassen, sondern der Sendung vielmehr zu ihrem unverwechselbaren Image verhalf, hat es eine Weile gedauert.

      Das Publikum war es dann auch, das mir ein komplett neues Themenverständnis beigebracht

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