Das Licht der Frauen. Żanna Słoniowska

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Das Licht der Frauen - Żanna Słoniowska

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entdeckte, dass jedes der Themen, die sie mit gleichbleibender Begeisterung vorbrachte, auf ihn wirkte wie ihr Gesang – es war wie Christi Ruf an Lazarus. Ihm lief ein Schauer über den Rücken, wie er ihn noch nie gefühlt hatte, verschiedene Teile seines Körpers erwachten zum Leben: Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er Knöchel und Zehen an den Füßen hatte, eine Lunge und Rippen, einen Adamsapfel und Wangenknochen, Handgelenke und einen Solarplexus. Die Wärme wanderte seinen Körper rauf und runter, als würde ihn jemand in ein Netz von Sonnenstrahlen einspinnen. Er sorgte sich nur, ob unter seinen Achseln nasse Flecken sichtbar würden, und goss unter dem Tisch den Wein in die Gläser mit den Resten des »Cocktails«. Das letzte Thema, die Verbindung von Oper und Peltew, bewegte Marianna besonders.

      »Es besteht kein Zweifel: Die Orchestermitglieder können sie hören«, sagte sie. »Und ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken.«

      Mikolaj ging unsicheren Schrittes zur Bar, bat um ein Glas und goss der Frau mit der Haube etwas Tokajer ein. Sie räusperte sich dankbar, trank das Glas mit einem Schluck aus, als wäre es Wodka, schaltete die Pugatschowa aus und verschwand in den hinteren Räumen.

      »Ich habe mir vorgestellt, wie Andrej Andrejewitsch und seine leblose Brille von einem Charon mit Nilownas Gesicht die Peltew hinuntergetragen wird«, sagte er, als er zu Marianna zurückkam.

      Ihre Stirn ist faltig, kein Wunder bei dieser lebhaften Mimik, dachte er, und ihr helles, leicht gewelltes Haar prangt triumphaler auf dem Kopf als ein Diadem es je könnte. Eine Amphore, dachte er weiter, sie ist eine Amphore voll unbekannter Flüssigkeit, und ich drohe zu verdursten.

      Es gab keinen rationalen Grund, warum sie die Flasche nicht im Café ausgetrunken hatten, sondern versuchten, sie senkrecht in seiner Tasche zu transportieren. Genauer gesagt war das seine Aufgabe, Marianna tastete nur von Zeit zu Zeit mit bloßer Hand danach. Gemeinsam erörterten sie das Schicksal des darin gefangenen Korkens – keine Kraft der Welt hätte ihn dort herausbekommen, ohne das Glas zu zerschlagen. Sie liefen ohne Ziel, streiften sich mit der Ungezwungenheit langjähriger Liebenden an den Mantelärmeln, machten Witze über plötzliche Todesfälle im Theater.

      »Kommst du mit mir in den Untergrund der Oper?«, fragte Marianna, nachdem sie sich auf eine feuchte Bank im Kościuszko-Park gesetzt hatten.

      »Pionierehrenwort«, erwiderte Mikolaj, holte den Tokajer heraus und nahm einen Schluck. Da regte sich etwas in dem nahegelegenen Gebüsch. Zwei Männer sprangen heraus, und Mariannas Schrei hallte durch den halben Park.

      »Bürgerwehr«, sagten die Herren und zeigten ihre Ausweise. »Kein Grund zu schreien, liebe Bürgerin. Ihre Papiere, bitte.«

      Sie begriff sofort, was ihr blühte: Alkoholkonsum im Park bedeutete Geldbuße, Meldung beim Arbeitgeber, dort einberufene Partei- und Gewerkschaftsversammlungen. Gegen die Antialkohollinie des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zu verstoßen, hatte einen Eintrag in die Personalakte und die Streichung des dreizehnten Gehalts zur Folge.

      Das ganze Theater wird über meinen Abend mit dem jungen Bühnenbildner tratschen, dachte sie gleich darauf.

      Mikolaj hielt verblüfft den Ausweis des Mannes von der Bürgerwehr in der Hand. Daraus ging hervor, dass er ebenfalls Andrej Andrejewitsch hieß.

      »Genosse!«, rief Marianna. »Waren Sie je verliebt? So, dass Sie im Kalten schwitzten, dass Ihr ganzer Leib lebendig war und schmerzte vor Leben und die Kehle Arien sang?«

      »Nein«, erwiderte der Bürgerwehrmann, und sein Ton verriet, dass er unsicher wurde.

      »Ich liebe diesen Mann. Auf Gedeih und Verderb. Heute habe ich das verstanden. Und wir wollten das feiern. Um das zu beweisen, werde ich etwas für Sie singen, Genosse.«

      Marianna stand auf und intonierte leise die Moskauer Nächte.

      Der Mann, der seinen Ausweis gezeigt hatte, stand neben ihr und hörte zu, der zweite redete derweil mit Mikolaj. Marianna sollte nie erfahren, worüber sie sprachen, und auch nicht, ob dem Hüter der öffentlichen Ordnung diskret ein 25-Rubel-Schein in die Hand gedrückt wurde.

      Letzte Station dieses Abends war der Eingang des Hauses, in dem Marianna wohnte. Erschöpft standen sie im Dunkel des Parterres, die Glühbirne im Aufgang war durchgebrannt.

      »Mit der Liebe hast du wohl übertrieben«, sagte Mikolaj leise. Er war enttäuscht und angewidert von dem Zwischenfall im Park. Erhofft hatte er sich etwas ganz anderes: dass er ihr erzählen würde, wie er die Schachtel auf dem Dachboden in der Lew-Tolstoi-Straße gefunden hatte, dass er sie küssen würde. Ihm wurde kalt, er spürte die Müdigkeit im ganzen Körper.

      Marianna antwortete mit einem so lauten Lachen, dass hinter der Wohnungstür, vor der sie standen, der Boden knarrte und offensichtlich jemand an den Spion trat.

      »Was mich wirklich bewegt, ist Musik. Das wundert mich, denn ich bin eher kaltblütig und habe Nerven aus Stahl.« Gleich darauf fügte sie hinzu: »Das war ein Zitat aus den Briefen von Salome Kruschelnytska. Hast du sie gelesen?«

      Mikolaj schwieg.

      »Aber zurück zu der Glasmalerei. Man weiß weder, wer sie erschaffen hat, noch wann. Ein völliges Rätsel, wie so vieles in dieser Stadt. Ich habe keine Ahnung, wo man Informationen finden kann. Ich habe sie noch nie jemandem im Dunkeln gezeigt. Findest du nicht, das ist eine Auszeichnung für dich und dein Talent?«, stellte sie mehr fest als zu fragen und legte dann ihre Lippen auf die seinen. Bei diesem Kuss blieben beide Münder geschlossen. Dann nahm sie seine Hand und legte sie auf das Glas.

      »Hier sind vier Elemente abgebildet. Von oben: Luft, Erde, Wasser und Feuer. Du hast die Hand gerade auf dem Feuer. Der einzige Teil, der nicht erhalten geblieben ist.«

      Das Mosaik war eiskalt, und Mikolaj zog rasch seine Hand zurück. Er glaubte plötzlich, am Glas festzufrieren und für immer in diesem Hauseingang bleiben zu müssen. Er ging, ohne ein Wort zu sagen, und bog rasch in die Akademicka ein.

      Die Akademicka

      Die Straße, die um die Ecke von unserer Wohnung begann, nannten wir Akademicka, obwohl auf den Schildern ein anderer Name stand: Taras-Schwetschenko-Prospekt. Es gab dort drei Kinos, viele Geschäfte und eine Allee von hohen Pappeln auf dem Mittelstreifen, wo früher die Peltew geflossen war. Alle paar Tage ließen Aba und ich uns dort treiben, leider sehr langsam. Ständig musste man in irgendeinem Hafen, also einem Laden, vor Anker gehen. Darin bestand das von mir gehasste Einkaufen.

      Die Akademicka begann an einem Platz, auf dem früher der steinerne Sessel des polnischen Dramatikers Aleksander Fredro gestanden hatte, mit ihm selbst darin. Heute allerdings waren Sessel und der, der in ihm gesessen hatte, verschwunden. Nur die Tauben schaukelten auf den schweren Ketten, die den Platz umgrenzten. Jedes Glied endete in einer Steinkugel mit spitzen Dornen. Ein Wettrüsten, dachte ich jedes Mal, wenn ich sie betrachtete.

      Die Akademicka, das war auch das Eckhaus mit dem Kino, das nach dem Revolutionär Mikolaj Schtschors benannt war. Und daneben stand ein Automat mit Sprudelwasser, in den man eine Münze werfen musste. Dann schoss die Flüssigkeit aus dem oberen Teil des Fensterchens in ein dickwandiges Glas, das man nach dem Trinken umdrehen und mit dem von unten hochspritzenden Wasser auswaschen musste. Anfang der neunziger Jahre wurden die Gläser mit Ketten befestigt und Ende des Jahrzehnts die Automaten entfernt. Aber ich spreche jetzt von den achtziger Jahren.

      Auf den handgemalten Plakaten las ich:

      »Andrei Tarkowski. Nostalghia.« Vor dem Kino war eine Schlange, so lang wie die halbe

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