Das Licht der Frauen. Żanna Słoniowska

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Das Licht der Frauen - Żanna Słoniowska

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wollte dort Klavier spielen, aber zuerst musste ich mir etwas über den Gott auf dem Bild anhören: grünes Gesicht, lange Haare, ein Kranz aus Ästen auf dem Kopf.

      »Es hat dem Jesuslein sehr, sehr wehgetan, als die bösen Menschen ihm die Hände durchbohrten. Das Blut spritzte in alle Richtungen. Und sie schlugen ihm weiter mit dem Hammer Nägel in die Hände.«

      Urgroßmutter drängte mich sanft an die Wand, und ich starrte ihre zwei dunklen Zähne an, die einzigen, die ihr im Oberkiefer geblieben waren. Über Gott sprach sie immer auf Polnisch.

      »Sie setzten ihm eine Krone aus spitzen Dornen auf, die ihn fürchterlich verletzten. Das Blut rann ihm in die Augen.«

      »Es gibt keinen Gott. Gagarin war im All und hat das überprüft.«

      »Er hat diejenigen bestraft, die es überprüfen wollten! Hat schreckliches Unheil über sie gebracht, Krankheiten, Behinderungen.«

      Während sie das sagte, nahm sie den emaillierten Deckel vom Nachttopf, hob die Schöße ihres Baumwollschlafrocks und pinkelte im Stehen. Sie hatte kein Höschen an, ich sah den warmen, stinkenden Flaum, der sich zwischen ihren faltigen Beinen verbarg.

      »Du möchtest gern spielen, mein Liebes?«

      Ich legte die schwarz-weißen Zähne des Klaviers frei. Das Instrument war verstimmt, und ich konnte keine Noten lesen. Urgroßmutter nahm auf dem Bett Platz und setzte ein liebliches Gesicht auf, das jederzeit in Tränen der Rührung zerfließen konnte. Es kam vor, dass sie ein gewöhnliches Küchenmesser vom Tisch nahm und sich damit mit einem Ausdruck sinnlicher Lust den Rücken kratzte.

      Mir war es verboten, Urgroßmutter zu besuchen, aber wenn Mama nicht zu Hause war, tat Aba so, als wüsste sie nicht, wo ich war.

      Es war Aba, die das Porträt von Jesu mit der Dornenkrone gemalt hatte. Sie hatte sich das Blut und das grüne Haar ausgedacht, ebenso wie den halb geöffneten Mund, durch den man die Lücke zwischen seinen Vorderzähnen sehen konnte. Sie hatte auch viele andere Bilder gemalt, die in unserer Wohnung an den Wänden hingen.

      »Wenn ich sterbe, tragt ihr sie alle in den Keller«, sagte sie, wenn sie schlecht gelaunt war. Und ich stellte mir den Tod als einen Keller voller Gemälde vor.

      Aba sammelte auch Bildbände. In einem davon sah ich das Bildnis einer Frau in einem indigoblauen Kleid, eine ihrer Hände war fünfmal so groß wie die andere:

      »Warum ist ihre Hand so groß?«

      »So hat der Künstler sie gesehen. Künstler sehen die Welt anders als gewöhnliche Menschen.«

      »Ich will auch Künstlerin werden!«

      »Du wirst, wer du sein willst!«, rief Aba, und Zorn verdunkelte ihren Blick.

      Sie wäre sehr gern Malerin geworden, aber Urgroßmutter hatte es nicht erlaubt. Das muss etwa so ausgesehen haben:

      »Mama, ich habe mich bei der Akademie der Schönen Künste beworben, im Fachbereich Grafik.«

      »Kommt nicht infrage.«

      »Mama, ich habe mich schon beworben.«

      »Dann gehst du hin und ziehst die Bewerbung zurück.«

      »Mama, ich bin Malerin. Das ist meine Berufung.«

      »Du hast kein Talent, du wirst in Armut leben.«

      »Mama …«

      »Schluss jetzt, meine Liebe. Vergiss nie, dass ich dir im Krieg den letzten Bissen Brot gegeben habe.«

      Wie von Urgroßmutter vorgesehen, wurde Aba Ärztin. Bald darauf ereilte sie eine unheilbare Gelenkerkrankung. Jede Bewegung bereitete ihr solche Schmerzen, als würde sie von Tausenden spitzen Messern gestochen werden. Abas Hände waren überproportional groß und geschwollen wie die Hand der Frau aus dem Album, und dennoch machte sie alles mit ihnen: Gemüse und Fleisch schneiden, Wäsche waschen, den Fußboden schrubben. Ihr Gesicht war aus warmem und durchsichtigem Stoff gewebt, die Gesichtszüge entzogen sich jeglicher Beschreibung, und über ihrem Kopf leuchtete Tag und Nacht ein leicht in Mitleidenschaft gezogener Heiligenschein. An ihren Körper dagegen erinnere ich mich gut – schwer und klobig, grob gezimmert, wie alle sowjetischen Geräte, die immerzu kaputtgehen. Sie sprach immer Russisch, betonte aber häufig:

      »Ich bin Polin mit Haut und Haar.«

      Dabei traten ihr immer Tränen in die Augen, und so dachte ich lange, Polnisch zu sein sei so etwas wie eine unheilbare Krankheit, gegen die es keine Medikamente gab.

      Ein anderer Pole war Tadeusz Kościuszko von dem Bild über ihrem Bett. Er und seine Gefährten trugen Sensen auf dem Rücken. Auch die eleganten Herren mit Hüten waren Polen, die sogar einer Halbwüchsigen wie Aba die Hand küssten, als sie 1944 nach Lemberg kam und sich endlich wie zu Hause, das heißt in Polen, fühlte. Doch in den folgenden Jahren verschwand Polen mit seinen schicken Männern aus Lemberg. Wohin? Irgendwohin weit weg, ins Ausland. Warum? Weiß man nicht. Aba blieb zurück, weil sie nicht mitgenommen wurde.

      »Wenn ich weggegangen wäre, würde es weder deine Mutter noch dich geben«, tröstete sie sich. »Oder ihr wärt jemand völlig anderes.«

      Als Mama erwachsen war, beschloss sie, Sängerin zu werden, doch das war auch nicht einfach. Es muss mehr oder weniger so ausgesehen haben:

      »Großmutter, ich will mich am Konservatorium bewerben.«

      »Kommt nicht infrage.«

      »Großmutter, ich habe meine Bewerbung schon eingereicht.«

      »Dann gehst du hin und ziehst sie zurück.«

      »Großmutter, ich bin Sängerin. Das ist meine Berufung.«

      »Du hast kein Talent, du wirst in Armut leben.«

      »Großmutter …«

      »Schluss jetzt, meine Liebe. Ich habe dir mein ganzes Leben geopfert, so dankst du es mir?«

      »Ich werde Sängerin, auch wenn du dafür sterben musst.«

      Als Antwort riss Urgroßmutter das Fenster auf und schrie mit schriller, lauter Stimme:

      »Hilfe! Rettet mich! Ruft die Miliz! Mord und Totschlag!«

      Aber niemand nahm ihre Schreie zur Kenntnis. Mama blieb stur, kam ans Konservatorium und redete nicht mehr mit Urgroßmutter.

      Wenn ich mit Aba zur Premiere ins Theater ging, dachte ich bisweilen an Selbstmord. Jemand hatte mir erzählt, dass sich der Architekt Zygmunt Gorgolewski das Leben genommen habe, nachdem das nach seinen Entwürfen gebaute Große Theater wegzusacken und zusammenzubrechen drohte. War das womöglich die Strafe dafür, dass Gorgolewski die Peltew unter die Erde verlegt hatte, fragte ich mich, während wir die mit leuchtenden Nelken, den Symbolen der Oktoberrevolution, verzierte Allee entlanggingen? Genau hier war sie einst geflossen, aber er hatte sie in ein Korsett aus Steinplatten gezwängt. In den unterirdischen Fluss wurden die Abwässer geleitet, deshalb stank die Leiche der Peltew ständig. Wer schön sein will, muss leiden, sagte Aba, während sie mir Zöpfe flocht. War die Oper vielleicht so eine Schönheit, die Zygmunt Gorgolewski verschlungen hatte, nachdem er zuvor die Peltew vertilgt

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