Unwetter. Marijke Schermer

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Unwetter - Marijke Schermer

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ist viel zu kalt.«

      »Jacob findet garantiert, dass das hier ’ne Ruine ist.«

      »Jacob ist selbst ’ne Ruine.«

      »Meinst du, dass alle kommen?«

      »So gut wie alle.«

      »Sollen wir es abblasen?« In der Küche fing Leo an zu schreien.

      »Quatsch.«

      »Ich gehe einkaufen.«

      »Leo schreit.«

      Sie nahm Schlüssel und Geldbeutel vom Schrank, ging zur Tür hinaus, stieg ins Auto, ignorierte Bruch, der ihr von der Tür aus nachrief und mit den Armen fuchtelte. Sie fuhr zum Supermarkt. Sie machte Einkäufe. Danach setzte sie sich in ein Café und trank Kaffee. Sie las die Zeitungen, sie las die Prospekte, die auf dem Tisch lagen, sie las die Speisekarte. Als sie sich endlich auf den Heimweg machte, fühlte sie sich krank. Sie fuhr die schmale Landstraße entlang. Die Milch nässte ihre Bluse.

      Bruch war sauer. Er hatte sich drei Stunden lang aufgeschmissen gefühlt.

      »Er schläft, Bruch.«

      »Seit fünf Minuten!«

      »Ich weck ihn jetzt.«

      »Vor Erschöpfung! Nicht!« Sie machte ihren Oberkörper frei und hob Leo aus seiner Wiege. Er musste ihr Erleichterung verschaffen, denn sie platzte schier. Sie sah, wie Bruch auf sie schaute. Auf das Kind, das mit rotem Kopf seine Mutter fraß. Auf die Mutter, die mit ebenso rotem Kopf und bleichen, nassen Brüsten auf dem Sofa saß und heulte. Es war vorbei: das Zeitloch, das Paradies der Gedankenlosigkeit, die Idylle.

      Es kamen rund fünfundzwanzig Leute. Freunde von ihr, Freunde von Bruch. Ihre Kollegen Eddy und Martijn und Josepha. Mascha und Abdul, die einzigen Menschen, die sie gemeinsam kennengelernt hatten, bei einem Spanienurlaub, und die, wie sich dann herausstellte, damals in derselben Straße wohnten. Ihre beiden Brüder waren da. Bruchs Schwester Philippa mit ihren drei Töchtern, die sich schon nach einer Stunde wieder verabschiedete. Seine Eltern, die in ihren feinen Sachen alt und steif aussahen. Sie zeigten in der einsetzenden Dämmerung den Garten und die Aussicht, und wie viel Platz sie hatten. Sie zeigten die Dämmerung selbst.

      »Schaut mal«, sagte Bruch, »schaut mal, wie die Farben schwinden, wie sich alles zu einem Kontrast vereinfacht, und wenn kein Mond da ist, sieht man später gar nichts mehr, nicht die Hand vor Augen, Leute, schaut euch das an!«

      Sie ließen sie die Stille hören. Die Stille im Garten, zwischen den rauschenden Bäumen und dem glucksenden Wasser und dem Rascheln kleiner Tiere. Bruch zählte die Namen von Bäumen und Pflanzen auf, und Arend, der Mann der Frau mit dem Giersch, verbesserte ihn ständig, bis Bruch schließlich bei allem sagte: »Und das, meine Damen und Herren, das ist also die Kastanie.« Er mimte die städtische Version seiner selbst, die zu ihren städtischen Freunden passte, bei denen die Natur eher als Verschrobenheit galt.

      Jemand fragte, was es eigentlich bedeute, wenn man im Deichvorland wohne, wie groß die Wahrscheinlichkeit von Überflutungen sei. Ihr Bruder Jacob nahm die Zigarre aus dem Mund und sagte: »Emilia und Bruch finden Gefallen an diesem Risiko. Hier zu wohnen, dehnt die statische Sicherheit der Familie zu einem zerbrechlicheren und von daher bedeutsameren Glück aus. Es kann jeden Augenblick vorbei sein. Lässt sich auch nicht versichern, also wenn es schiefgeht, und das tut es immer, bleibt nichts als der Kern der Existenz.« Man lachte, doch als sie Jacobs Blick auffing, sah sie die Wut in seinen Augen. Sie hätte in seiner Nähe bleiben sollen. Er betrachtete ihren Wegzug als Verrat. Sie unterdrückte die Anwandlung, sich im hintersten Winkel des Hauses zu verkriechen. Stattdessen machte sie den Champagner auf und schnitt den Birnenkuchen in Stücke. Leo verschlief das alles schön zugedeckt in einem Weidenkorb.

      Als die Magie erst einmal gebrochen war, entschwanden jene ersten Wochen in das Reich der Träume. Emilia fiel schnell in Altvertrautes zurück. Obwohl sie nicht das Gefühl gehabt hatte, dass ihr etwas verloren gegangen war, fand sie ganz offensichtlich etwas wieder, etwas Bekanntes, etwas Zwangsläufiges.

      3

      Hoch über ihr ist die Decke. Im Putz verzweigen sich die Risse wie Flussläufe. Die Sonne strömt ins Zimmer und bildet eine Pfütze auf dem Parkett. Emilia versucht zu erraten, wie spät es ist. Sie vertut sich um eine Stunde. Das Vakuum, in dem man zwar die weiche Wärme des Bettes registriert, aber das Bewusstsein noch nicht wieder zurück ist, hat heute höchstens drei Sekunden angehalten. Dann war ihr alles wieder präsent. Die Jungs. Alicia. Die Aufführung. Frank. Unten hört sie fröhliche Stimmen und das Rennen kleiner Füße. Von weit her weht das Quengeln einer Mähmaschine herein. Emilia kippt sich den kalten Tee, der neben ihrem Bett steht, in die trockene Kehle. Ein Kater ist das körperliche Äquivalent zur Beschämung.

      Sie steht auf, zieht eine Strickjacke über, meidet ihren Anblick im Spiegel, verlässt das Zimmer. Die Küche ist aufgeräumt, der Inhalt ihrer Tasche in einer Schale deponiert. Die Whiskyflasche steht wieder oben auf dem Schrank. Obwohl sie diesen Whisky mehr als zehn Jahre lang aufbewahrt hat und er nun wie sie zweiundvierzig Jahre alt ist, hat er nicht besonders gut geschmeckt. Bruch gießt ihr Kaffee ein und fragt mit einem Anflug von Spott in der Stimme, ob es gehe. Sie nickt. Aber er hat sich schon abgewendet. Ja, sagt sie, ja, es geht. Er fragt, ob es okay ist, dass er jetzt gleich schwimmen geht. Natürlich, sagt sie. Sie wünschte, er würde sie in den Arm nehmen. Er läuft die Treppe hinauf. Aus dem Augenwinkel sieht sie Osip, der mit einer kleinen Gießkanne den Fußboden wässert. Leo liegt auf dem Bauch und schaut sich einen Film an. Emilia nimmt die Zeitung vom Tisch, entwindet Osip die Gießkanne und drückt ihm stattdessen einen Keks in die Hand, wirft ein Handtuch auf den nassen Fußboden und setzt sich neben Leo. Nach einem halben Artikel liegt die Zeitung auf dem Boden, Osip sitzt bei ihr auf dem Schoß, und Leo erzählt simultan zum Film, was sich darin abspielt. Durch den Garten läuft Bruch auf den silbrig glitzernden Fluss zu. Er hängt seinen Bademantel über den Pfosten. Taucht ins Wasser. Mit seiner bleichen Haut. Pflügt mit angespannten Muskeln unter der Oberfläche dahin. Warum hat sie ihm nicht von Frank erzählt? Weil es eigenartig und peinlich war und schwer nachzuerzählen. Weil es ihr zur Gewohnheit geworden ist, Dinge nicht zu erzählen. Im ersten Sommer ihrer Beziehung hat sie den Tenor gesetzt, als sie beschloss, ihm nicht zu erzählen, was passiert war. Was passiert ist, macht mich nicht aus, rechtfertigte sie das sich selbst gegenüber, im Gegenteil: Es würde sich vor mich schieben und ihm die Sicht auf mich nehmen. Es ist ein Akt der Autonomie zu entscheiden, ob ein Vorfall eine Rolle in deinem Leben spielen darf oder nicht. Stimmt das? Kann man das als Standpunkt gelten lassen, oder ist das eine Ausflucht? Kann sie das zurücknehmen? Kann man Jahre, nachdem eine Frage gestellt wurde, noch eine Antwort darauf geben? Ihr fallen Gedanken ein, die sie vergessen hatte. Als der Mann ihr mit der Faust ins Gesicht schlug, dachte sie an das eine Mal, da sie als Kind eine Spritze ins Bein bekam. Der Arzt schlug ihr mit der flachen Hand auf den Po, ihre Aufmerksamkeit war abgelenkt, weshalb sie sich entspannte und weniger bewusst spürte, wie kurz darauf die Nadel in ihre Haut drang. Sie hatte sich, so klein sie war, durch diese fadenscheinige Methode hintergangen gefühlt.

      Leo erzählt, wie die Figuren in dem Film heißen, und Emilia soll raten, ob sie gut oder böse sind. Das ist leicht, denn man kann an ihrem Aussehen deutlich ablesen, wo sie auf dem ethischen Spektrum angesiedelt sind. Leo lehnt sich an sie und wickelt ihr Haar um seine Händchen. Osip probiert, auf ihren angezogenen Knien zu balancieren, fällt aber immer wieder um, worauf sie ihn kitzelt, bis er kreischt und sich ihrem Griff zu entwinden versucht. Bevor sie Kinder bekam, wusste sie nicht, dass der Kontakt so körperlich sein würde, so sinnlich, so grenzenlos.

      Der Faustschlag bleibt ihr im Sinn. Wie oft hatte er sie geschlagen? Sechsmal, zwanzigmal? Mit welchem Schlag brach

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