Unwetter. Marijke Schermer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Unwetter - Marijke Schermer страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Unwetter - Marijke Schermer

Скачать книгу

der Straße, in der ihr früher Räuber und Gendarm gespielt habt?«

      »Genau.«

      »Und eure Kinder?«

      »Vierzehn, fünfzehn und siebzehn.«

      »Und die haben auch in dieser Straße Räuber und Gendarm gespielt.«

      »Oder vielleicht auch was anderes als Räuber und Gendarm.«

      Bruch gießt Wein in die Gläser und pflückt nun auch Grashalme von seiner Kleidung. Die Entwicklung eines Kindes zu einem Mann oder zu einer Frau von vierzig kann nicht ohne Um- und Irrwege verlaufen. Oder doch? Ist die Voraussetzung für lebenslange Liebe ein offener Blick? Oder ein stabiler Charakter? Oder eine Art effektiven Desinteresses?

      »Und ihr?« Nun führen Bruch und sie ihr kleines Theaterstück auf. Erzählen die Geschichte, die sie, wie jedes Paar, nicht zum ersten Mal und mit eingeschliffenen Formulierungen auftischen. Die gemeinsame Version ihrer Geschichte. Die Geschichte, die eigentlich nichts erzählt. Die Geschichte, welche die Sicht auf den Abgrund verstellt. Emilia trinkt einen Schluck von ihrem Wein. Sophie, Douwe und Bruch haben den ganzen Nachmittag gearbeitet. Sie selbst ist im Haus geblieben und hat versucht, ganz für die Kinder da zu sein. Sie ist mit ihnen in die Badewanne gegangen, sie hat auf dem Dachboden gelesen, während die beiden dort spielten, sie hat gekocht, während hysterische Zeichentrickstimmen durchs Haus schallten. Sie hat gegen die Schläfrigkeit, gegen die lähmende Langeweile dieses Tages angekämpft. Die drei da sehen gesund und aufgeräumt aus. Sie haben Arbeitsklamotten an und Staub in den Haaren. Sie haben Appetit. Sie haben heute etwas zustande gebracht, und wenn es nur ein Haufen Schutt auf einem Anhänger ist.

      »Auf einer Party meines Bruders.«

      »Aber daran erinnert sie sich nicht.« Gelächter. Immer.

      »Beim zweiten Mal, für mich also beim ersten Mal, im Krankenhaus. Ich habe einen Nachbarn hingebracht, der angefahren worden war. Bruch arbeitete dort. Wir begegneten uns zufällig in der Eingangshalle. Kamen ins Gespräch. Gingen in seiner Mittagspause im Park spazieren.«

      »Und du warst?«

      »Dreißig.«

      »Vierunddreißig.«

      »Wir trafen uns jeden Tag, aber noch nicht bei uns zu Hause. Wir liefen durch die Stadt, hockten in Kneipen und Straßencafés.«

      »Es war ein warmer Sommer.«

      »Wir lagen in Parks auf dem Rasen. Wir fuhren mit irgendeiner Straßenbahn bis zur Endhaltestelle und liefen zu Fuß zurück.«

      »Wir knutschten an Straßenecken und in Kneipen, und wir liefen und liefen und redeten über alles Mögliche, nichts Großartiges.« Das stimmte. Damals erzählten sie einander noch fast nichts aus ihrem Leben. Sie waren über dreißig, da hatte sich Stoff von einem halben Leben angesammelt. Aber sie lebten nur im Jetzt, so etwa muss es gewesen sein, sie erinnerten sich an keinen Grund mehr, sondern an ein Gefühl von Freiheit und eine Idee von Aktualität. Was sie jetzt von etwas hielten, wie sie es jetzt sahen. Sie waren draußen und ganz für sich. Sie waren die ersten Menschen. Die sommerliche Stadt war ihr Paradies. Sie beschrieben sich gegenseitig, wie sie wohnten. Er hatte eine Wohnung im sechsten Stock. Ein quadratisches Ding, sagte er, drei Zimmer, Küche, Bad um einen breiten Flur. Sie fragte sich, ob diese ganzen Ausweichmanöver bei der Balz womöglich bedeuteten, dass er eine feste Beziehung hatte. Wenn dem so war, dann machte das nichts. Es gab nur ein Ziel, wohin sie ihre Gefühle trieben. Wenn er noch anderweitig gebunden war, brauchte es nur ein kleines bisschen Zeit, um das zu klären, dann war es nur dieses kleine bisschen Zeit, das zwischen ihnen und diesem Ziel stand.

      Er erzählte, dass er dort früher mit einer Freundin zusammengewohnt hatte. Vergangenheitsform, aber er sagte nicht, wie lange dieses Früher schon her war. Sie hieß Mariette und lief Marathon, mehr erfuhr sie nicht. Sie weiß noch, wie sie auf seine Hände schaute, auf die langen, schlanken Finger, und dass sie an die Patienten dachte, die er damit anfasste. Sie weiß noch, wie sich seine Hände unter und in ihre Kleidung stahlen und er sie anfasste, gierig, fest und präzise. An jenem letzten Tag der Anfangszeit forderte sie ihn auf, die Augen zu schließen und sie so genau wie möglich zu beschreiben. Gruselig war das, und erregend. Es war, als zeichnete er sie, als fügte sich ihr Körper seiner Beschreibung und als würde sie allmählich zu der, die sie ihm nach war, als füllte sie die Konturen aus, die er ihr gab. Wie neu gemacht ging sie nach Hause. Als sie, beschwipst vom Wein und ganz erfüllt von ihrer Verliebtheit, vor ihrer Haustür stand, tauchte er plötzlich neben ihr auf, ihr Belästiger. Sie hatte eine Einzimmerwohnung im zweiten Stock und teilte den Hauseingang mit sechs anderen Bewohnern, die ständig wechselten, sie nahm an, dass er in einem der anderen Apartments wohnte. Nicht einen Moment war ihr in den Sinn gekommen, dass dieser fremde Mann ihretwegen da war. Sie grüßte ihn. Sie ließ ihn herein, sie selbst ließ ihn herein, er brauchte keine Tür aufzubrechen. Er brauchte nur ihre Barrieren niederzureißen.

      »Urplötzlich, von einem Tag auf den anderen, wollte sie mich nicht mehr sehen. Wir hatten auf einer Restaurantterrasse gegessen. Lasagne. Ich hatte Nachtdienst. Der fing um zehn Uhr an. Ich musste in die entgegengesetzte Richtung, und sie begleitete mich ein Stück, bevor wir uns verabschiedeten. Als ich sie am nächsten Morgen anrief, nahm sie nicht ab. Ich hinterließ eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter. Nachdem ich mich ausgeschlafen hatte, rief ich erneut bei ihr an. Wieder ohne Erfolg. Ich rief immer wieder an, vermutete, dass ich etwas vergessen hatte, dass sie etwas vorgehabt hatte, mit einem Freund oder einer Freundin, raus aus der Stadt, keine Ahnung. Ich wusste nicht mal, wo sie wohnte. Schon in welcher Straße, aber nicht die Hausnummer, wir hatten uns noch nie zu Hause besucht, wir hatten uns immer nur im Freien, an öffentlichen Orten getroffen. In der Nacht hatte ich wieder Dienst, und von dort aus versuchte ich erneut, sie zu erreichen. Inzwischen würde sie wohl wieder zu Hause sein, nahm ich an, doch sie nahm nicht ab. Ich hinterließ wieder eine Nachricht auf Band. Beunruhigt mittlerweile. Am nächsten Tag konnte ich nicht schlafen. Ich rief den Freund an, der mich zu der Party bei ihrem Bruder mitgenommen hatte. Über den bekam ich die Nummer von Jacob. Er wollte mir aber ihre Adresse nicht geben. Ich rief wieder und wieder bei ihr an, konnte aber keine Nachrichten mehr auf Band sprechen. Eine Woche später rief Jacob mich an. Er sagte, dass Emilia mich vorläufig nicht sehen wolle und ich nicht mehr anrufen solle. Sie müsse nachdenken«, sagte er.

      »Wow. Und wie lange hat das gedauert?«

      »Fast drei Monate. Und ich hatte nichts von ihr. Nicht mal ein Foto. Ich vergaß, wie sie aussah. Ich dachte schon, ich hätte sie geträumt.«

      4

      Emilia schließt die Hände um ihr Glas Tee und legt den Kopf auf den Tisch. Aus diesem schrägen Winkel schaut sie ihm zu. Er räumt die Küchenschränke aus und verstaut alles in Kartons und Kisten. Auf Knien zieht er die Töpfe hervor, Staubflocken wirbeln hinterher. Zwischen seinem Shirt und seinem Hosenbund ein Streifen weißer Rücken. Er hält ab und zu etwas hoch, woraufhin sie ja sagt oder manchmal auch nein. Bei einem Nein verschwindet es in der Mülltüte. Der Erfolg einer Ehe besteht darin, dass man die Haushaltsführung des anderen erträgt.

      Bruch ist ein schöner Mann. Sein relativ großer Kopf mit dem störrischen braunen Haar, die Augenbrauen, der weiche Mund, die sprühende Unabhängigkeit in seinem Blick, seine Haut, sein leicht gekerbtes Kinn und dessen Symmetrie, die Verbindung aus Stärke und Sanftheit, all das hat eine magnetische Wirkung. Erst wenn man ihn von hinten oder von der Seite sieht und der Blick nicht auf sein Gesicht gelenkt wird, fällt ins Auge, wie hager und schlaksig sein Körper ist. Hat er nichts an, sieht man, dass seine Hüftknochen und Knie spitz herausstehen und sein bleicher Rücken mit Leberflecken übersät ist.

      Sie

Скачать книгу