Wundersame Geschichten II. Detlev Stäcker
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Читать онлайн книгу Wundersame Geschichten II - Detlev Stäcker страница 14
Auf ein Zeichen von ihm kamen zwei junge Männer in kurzen, weißen Wickelröcken mit einer Bahre, hoben den Hund auf die Bahre, legten ein weißes Tuch über ihn und trugen ihn davon. Der alte Ägypter verneigte sich und folgte ihnen.
Amy Burgess weinte und machte Anstalten, ihnen nachzugehen, aber ihr Vater legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie aus dem Tempel. Er setzte sich dort mit ihr auf eine alte Steinbank und bemühte sich, sie zu beruhigen und zu trösten.
»Siehst du denn nicht, dass Blackies Zeit gekommen war, Amy? Der Hund war, wenn ich das richtig behalten habe, zwölf Jahre bei uns und war zwei oder drei Jahre alt, als du ihn ins Haus brachtest. Wir haben darüber schon früher geredet. Nach allem, was die, die es wissen müssen, sagen, entspricht ein Hundelebensjahr physisch dem von sieben Lebensjahren eines Menschen. Er hat also so viel wie um die hundert Menschenjahre gelebt und ein Alter erreicht, das man ihm wirklich nicht ansah.«
Er streichelte ihre Schulter.
»Wahrscheinlich haben wir ihm sein Altern gar nicht so angemerkt, weil er sich von jeher so würdevoll benahm und keine grauen Haare und Falten bekam wie ich.«
In Gedanken verloren blieb er eine Weile neben ihr sitzen. Er versuchte sie zu trösten: »Wenn ich an die Worte der Schöpfungsgeschichte denke, dass wir Menschen das Abbild unseres Gottes sind, dann kann ich nur sagen, dass dieser Blackie, ein Abbild seines Gottes, uns vorgemacht hat, wie man leben und sterben sollte: immer im Einverständnis mit seinem Gott und mit dem Wunsch, zu ihm zurückzukehren. Wenn nicht der Gott selbst in ihm wirkte. Komm, lass uns zum Schiff zurückgehen. Dies ist ein trauriger Ort. Hier ist nichts mehr für uns zu sehen und zu erleben.«
Er stand auf, reichte seiner Tochter die Hand und sie gingen durch das Gräberfeld für Anubis-Hunde zurück zur Alexandria.
* * *
»Und damit endet eigentlich Blackies Geschichte, die ich Ihnen zu erzählen versprach. Nun ja, ein paar Einzelheiten, für die Sie sich interessieren mögen, sind noch nachzutragen.
Über den Rest der Ägyptenreise von Oberst Burgess und seiner Tochter Amy ist nicht viel zu berichten. Amy war zu traurig, um sich ohne ihren Begleiter Blackie auf etwas freuen zu können. Sie mochte allerdings ihrem Vater nicht den Urlaub verderben und machte das, was an Exkursionen in Assuan anstand mit, also die Besichtigung der Staudammanlagen, den Besuch des Isis-Tempels auf der Insel Philae im Stausee und die Fahrt über den See zu den geretteten Riesentempeln für Ramses II. und seine Frau in Abu Simbel am Ende des Stausees. Aber sie war, wie sie mir später sagte, glücklich, als sie endlich im Flugzeug saß, das sie von Assuan zurück nach England brachte.
Nachdem sie sich in Weybridge wieder eingelebt hatte, begann sie mit der ihr eigenen Zielstrebigkeit, die Gedenkstätte für Blackie auf dem Hundefriedhof zu planen. Ihre Trauer um ihren Gefährten dauerte für viele Monate an. Ich weiß das, weil sie mich in ihre Pläne einbezog. Sie nahm mir sogar damals schon das Versprechen ab, für die Gedenkstelle zu sorgen, falls sie versterben sollte und ihr eigenes Grab so zu gestalten, wie sie es für ihren Blackie entwickelt hatte. Und das habe ich nach zehn Jahren getan. Sie lebte zu der Zeit allein in dem großen Haus in der Oak Lane. Ihr Vater war drei oder vier Jahre zuvor gestorben. Einen neuen Hund hat sie sich übrigens nie mehr angeschafft. Sie war weiterhin bei Merskin & Threadwell, der Anwaltskanzlei, beschäftigt, inzwischen als Büroleiterin, und war, wenn Sie mich fragen, die wichtigste Person in der renommierten Kanzlei. Und dann passierte es eines Tages, dass sie auf dem abendlichen Heimweg beim Überqueren der Straße von einem Auto erfasst und lebensgefährlich verletzt wurde. Sie sah das Auto in der letzten Sekunde kommen, erschrak und verhaspelte sich mit ihrem Stock, als sie eilig die andere Straßenseite erreichen wollte. Der Fahrer war betrunken. Sie starb zwei Tage später.«
Nach kurzem Nachdenken ergänzte sie: »Das wäre ihr mit ihrem Blackie nie passiert. Der hätte sie gewarnt, und deshalb habe ich diesen Hinweis auf ihren Grabstein setzen lassen.«
Wir schwiegen uns einen Moment an und tranken den letzten Schluck aus unseren Gläsern.
»Vielen Dank, verehrte Frau Conston, für diese anrührende Geschichte. Wahrscheinlich werde ich einige Zeit brauchen, sie innerlich zu verarbeiten. Vielleicht noch eine Frage: Wissen Sie, ob irgendetwas aus der von Professor Graham geplanten Grabung geworden ist, ich meine die, die er nach Blackies Demonstration am Ende des Tals der Könige bei Grabstelle KV15 unternehmen wollte?«
»Ach ja. Dass ich das vergessen habe! Drei Monate nach ihrer Rückkehr nach Weybridge erhielten die Burgess’ einen Brief von Professor Graham, in dem er ihnen mitteilte, dass die mit modernen Sonden durchgeführte Untersuchung direkt unter den Felstrümmern, zwischen denen Blackie seinen Klagegesang abgegeben habe, den Zugang zu einer bisher unbekannten Grabkammer gefunden habe. Bei früheren Untersuchungen habe man diese Kammer wohl nicht finden können, weil sie direkt unter den Felstrümmern liegt, die offensichtlich erst in späteren Zeiten, nach der Anlegung des Grabes, herabgestürzt sind. Es gebe alle Anzeichen, dass es sich um ein bisher nicht gestörtes Grab handele. Man gehe mit der gebotenen Sorgfalt vor und habe bisher alle Meldungen an die Öffentlichkeit vermieden. Aber was auch immer bei der Grabung herauskommen werde, dem Hund Blackie gebühre der Ruhm für die Entdeckung. Er werde weiter berichten. Außerdem möchten er und seine Frau ihr großes Bedauern zum Ausdruck bringen, dass Blackie, wie sie von Captain Nasseri gehört hätten, in El Kays plötzlich verstorben sei. Einen solchen Hund habe er, Graham, tatsächlich noch nie erlebt. Er wünsche, dass er ihm länger für die weitere Erforschung des Tals der Könige zur Verfügung gestanden hätte. Nun seien sie wieder nur auf ihre armselige Technik und nicht auf die natürlichen Instinkte eines Anubis-Hundes angewiesen.
Drei Monate später erhielten die Burgess‘ einen weiteren dicken Brief von Professor Graham mit der Nachricht, dass die Grabkammer KV66 inzwischen geöffnet worden und tatsächlich unbeschädigt gewesen sei. Es handele sich, wie erste Untersuchungen ergeben hätten, wahrscheinlich um das Grab eines Sohnes von Pharao Thutmosis III., der bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen sei. Die Ausgestaltung der Grabkammern sei zwar ziemlich einfach, die verschiedenen Sarkophage, von denen allerdings erst zwei der äußeren geöffnet worden seien, und die Grabbeigaben seien jedoch sensationell, wenn auch nicht ganz mit denen des Tutanchamun-Grabes zu vergleichen. Einige Einzelheiten seien auf den beigefügten Fotos zu sehen. Im Übrigen werde in Kürze die Öffentlichkeit über diese neue Entdeckung informiert werden. Und das passierte bald danach in der üblichen großartigen Aufmachung mit Bildern, die um die ganze Welt gingen. Professor Graham wurde durch diese Grabung weltbekannt. In keinem der Interviews, die er gab, vergaß er Blackie zu erwähnen, den Anubis-Hund, der der Wissenschaft den Weg zu diesem Grabe gewiesen habe.«
Jennifer Conston schwieg einen Moment.
»Aber das ist nun wirklich alles. Es ist spät geworden. Ich muss mich langsam nach Hause begeben.«
»Nochmals herzlichen Dank, Frau Conston. Ich werde eben die Rechnung begleichen und Sie dann nach Hause begleiten.«
»Machen Sie sich keine Mühe. Der Weg ist nur kurz und gut beleuchtet. Schlafen Sie wohl.«
Die alte Dame erhob sich. Ich begleitete sie zur Tür, kehrte zum Tisch zurück und bestellte mir noch ein Glas Rotwein, um für eine Weile über diese Geschichte nachzusinnen, bevor ich mein Bett aufsuchte.
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