Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes

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Der Fluch des Bierzauberers - Günther Thömmes

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spät hörte sie das Geräusch der näher kommenden Schritte. Ein Mann tauchte auf. Zum Glück war er nicht wie ein Soldat gekleidet. Zur Flucht wäre es sowieso zu spät gewesen. Der Mann zog einen Karren, neben dem ein Junge herlief.

      Hatte sie die beiden nicht schon einmal gesehen?

      Der Mann hielt, blickte sie an. Überdeutlich war das Erstaunen über ihr erneutes Zusammentreffen in beiden Gesichtern zu erkennen. »Danke!« Das war alles, was er herausbrachte. Der Junge sah sie an und forderte sie mit einer kurzen Geste dazu auf mitzukommen.

      Die folgenden Tage und Wochen zogen sie gemeinsam durchs Land. Knoll hatte ebenso nach einigen Tagen des Wartens die traurige Gewissheit erlangt, dass der Rest seiner Familie mit Sicherheit ermordet worden war. Eine Rückkehr in die Stadt war zu riskant. Und selbst wenn nicht, was sollte er in einer Stadt, die zerstört war und die sich in der Hand des katholischen Heeres befand? Er wollte nur noch fort. Obwohl er lange mit sich haderte, seiner toten Frau und seinen Töchtern keine Beerdigung zuteil werden lassen zu können.

      Auch Magdalena erzählte ihre Geschichte.

      Das Erstaunliche geschah: So gegensätzlich sie waren, dort der Bürger, hier die Frau aus dem Lager der Plünderer und Landsknechte, hier der stolze Protestant, dort die gläubige Katholikin; der Verlust, den jeder erlitten hatte, schweißte sie zusammen. Knoll spürte, dass Magdalena kein schlechter Mensch war, dass lediglich ein schweres Schicksal sie ins Soldatenlager geführt hatte. Magdalena hatte bereits bei ihrem ersten Treffen, im Brauhaus während der Plünderung, Gefühle für diese Menschen verspürt, die sie vorher nie gehabt hatte. Eigentlich waren sie nun wie eine Familie. Nur heimatlos, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollten. Doch Magdalena war zuversichtlich, hoffte auf bessere Zeiten. Darauf, dass die Welt wieder menschlicher werden würde. Friedlicher. Ruhiger.

      Cord Heinrich Knoll war erfüllt von grenzenlosem Hass. Auf den Kaiser in Wien, auf Tilly, auf Pappenheim, denen er insgeheim die grässlichsten Flüche nachsandte.

      Hass auf die, die ihm alles genommen hatten, bis auf seine beiden Söhne.

      Niemals sprachen sie über Magdeburg. Beide, Cord wie Magdalena, vergruben die Erinnerungen an die grauenhaften Ereignisse tief in ihrem Herzen.

      So kühl es bis zum Frühjahr gewesen war, so schnell und warm kam der Sommer. Für Reisende ohne Unterkunft war dies ein wahrer Segen. Hörten sie von Weitem Trommeln, Trompeten oder irgendeinen anderen Hinweis auf sich nähernde Soldaten, schlugen sie schnell seitliche Wege ein. Sie wollten jeglicher Soldateska aus dem Wege gehen.

      Der Krieg war durch das Eingreifen der Schweden und den Fall Magdeburgs in eine neue Phase getreten. Nun waren in erster Linie Mittel- und Norddeutschland betroffen. Sie versuchten, so gut es ging, ihren Weg hinweg von den Kriegsschauplätzen zu finden, Richtung Westen.

      Schon bald hatte sich Knoll an die Koständerung gewöhnt. In Magdeburg hatten sie sich, selbst in Kriegszeiten, am liebsten von Bürgerspeise ernährt: Die Früchte der Bäume, wie Kastanien und Pfirsiche, waren neben Fleisch, Käse und Speck stets auf ihren Tischen zu finden gewesen. Nun, unterwegs, aßen sie meist ›niedere‹ Speisen: Knollen, Wurzeln, Zwiebeln, Salat. All das, was unten am Boden wuchs und daher, nach altem Brauch, seit jeher für die ›da unten‹ bestimmt gewesen war. Aber solange Knolls Geld ausreichte, litten sie zumindest keinen Hunger. Wenn die Bauern, auf deren Höfen sie anklopften, sie meist unfreundlich empfingen oder gleich davonjagen wollten, so war beim Anblick einer klingenden Münze meist ein Stück Käse oder Wurst zu haben. Manchmal sogar ein Platz im Heu.

      Wohin sollten sie sich wenden? In eine Stadt, damit Knoll dort Arbeit als Braumeister finden könnte? Alle protestantischen Städte lebten derzeit mit dem Damoklesschwert der katholischen Truppen über sich und konnten jederzeit überfallen werden. Das wollte Knoll nicht noch einmal durchmachen. Am besten wäre sicher, erst einmal dem Krieg aus dem Weg zu gehen. Denn auch der längste Krieg würde irgendwann einmal vorbei sein. Und mit einfachem Handwerk konnte man sich auch auf dem Land über Wasser halten. Vorausgesetzt, man lief den Plünderern nicht in die Arme.

      Aus Wochen wurden Monate. Immer wieder trafen sie auf ihrem Zug durch Niedersachsen auf vereinsamte Gehöfte, wo vorbeiziehende Soldaten verbrannte Erde hinterlassen hatten. Sie wanderten vorbei an Ruinen einst stolzer Häuser und über kahle Hügel, auf denen häufig verwitterte Galgen standen – bisweilen hingen noch Teile der Gehenkten daran, die wie bedrohliche Wegweiser in eine düstere, fürchterliche Welt wirkten. So sehr sie von den Grausamkeiten bereits abgestumpft waren, reagierten sie doch ein ums andere Mal erneut schockiert über den Einfallsreichtum der Folterknechte. Das geflügelte Wort von den ›Soldaten, die der Bauern Teufel sind‹, war hier grausame Wirklichkeit geworden. Sie durchquerten die protestantische Grafschaft Mark, die besonders übel heimgesucht worden war. Sie mussten fort aus dieser Gegend, so schnell wie möglich.

      Einige Wochen später hatten sie den Rhein erreicht und standen vor einer plumpen, steinernen Brücke, die jedoch zerstört war. So setzten sie zwischen Köln und Bonn mit einem Boot über, dessen Fährmann sich letzte Reste von Mitleid und Menschlichkeit bewahrt hatte. Nach allem, was sie unterwegs gehört hatten, war es am Niederrhein, trotz der Nähe zu den spanischen Niederlanden, bislang weitgehend friedlich geblieben. Keine Schlachten, nur gelegentlich vorbeiziehende Truppen auf einem Gewaltmarsch, denen Kost und Logis gewährt werden mussten. Größere Plünderungen waren jedoch ausgeblieben. Lediglich Häuser ohne Dächer erblickten sie ab und zu. Da erinnerte sich Knoll daran, dass in den Zeiten der schlimmsten Inflation einige Jahre zuvor die Falschmünzer sogar Dächer abgedeckt hatten, um genügend Kupfer für ihre Betrügereien zu haben.

      Mittlerweile befanden sie sich in der Eifel. Wie der Rest des Reiches, war auch diese Gegend zumeist Bauernland. Die Bauern waren der Boden der gesellschaftlichen Pyramide. Sie ernährten ihre Herren, sie zahlten, leisteten Frondienst, bei Protest wurden sie massakriert. Aber dennoch waren dies hier andere Bauern als die in der Magdeburger Börde, die sich bei Verhandlungen über das Getreide meist als vorlaut und schlagfertig erwiesen hatten. Die Eifeler Bauern waren schweigsam, gläubig und fleißig, noch erdverbundener als andere und, bei aller Langsamkeit – die Knoll zuerst für Dummheit hielt –, doch klug und lebenserfahren. Sie ehrten ihre Traditionen, sprachen aber wenig darüber, sondern befolgten sie ganz einfach. Die Schweigsamkeit hatte ihre Vorteile: Niemand fragte Knoll nach dem Woher und Wohin. In diesen Zeiten war das halbe Reich unterwegs, Flüchtlinge der Religion, Katholiken wie Protestanten, Flüchtlinge aus eroberten Städten, zerstörten Dörfern und niedergebrannten Bauernhöfen, arme Flüchtlinge und auch wohlhabende, jung wie alt, Männer wie Frauen, Bürger, Bauern und sogar bisweilen der Klerus. Wer keine Fragen stellte und keine Antworten erwartete, der wurde auch in Frieden gelassen. Zumindest von der Landbevölkerung.

      Bei Dreimühlen, etwas südlich von Eiserfey, durchquerten sie eine Landschaft voller bizarrer Felsen und wunderlicher Steinformationen. Hier nahm die Idee in ihren Köpfen zum ersten Mal Gestalt an.

      Magdalena sprach es als Erste aus: »Hier gibt es sicherlich Höhlen. Wenn wir eine solche nur finden könnten. Das wäre doch etwas zum Verstecken und zum Überleben.«

      Also begannen sie mit der Suche. Und wurden bald fündig. Mehr als das. Sie fanden ein ganzes Höhlensystem, das von den Einheimischen nach einem Riesen aus einer alten Sage ›Kakushöhle‹ genannt wurde. Dieser riesige, alte Kalkfelsen würde ein prächtiges Versteck abgeben! Sie waren aber weder die Ersten noch die Einzigen, die diese Idee gehabt hatten. Etwa vier Dutzend Menschen hatten sich bereits in dieses unterirdische Labyrinth zurückgezogen.

      Cord, Magdalena und die beiden Söhne fanden dennoch Platz dort und wurden von den anderen Bewohnern angenommen. Sie gliederten sich in die kleine Gemeinschaft ein, die gerade dabei war, eine soziale Ordnung zu entwickeln.

      Knoll, als einer der ganz Wenigen,

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