Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes

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Der Fluch des Bierzauberers - Günther Thömmes

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und, da er im braufreien Sommer stets Küferarbeit verrichtet hatte, war er von nun an auch dafür verantwortlich, die Fässer, die einige mitgebracht hatten, zu reparieren.

      Magdalena sammelte mit den anderen Frauen Holz und grub auf den Feldern nach Gemüse und Wurzeln. Die meisten Männer gingen jagen und stellten Fallen auf. Die Kinder mussten zu ihrer eigenen Sicherheit immer in der Nähe der Höhle bleiben. Dort sammelten sie Beeren, Schwämme und Reisig, manchmal fand ein Glückspilz einen Igel. Beinahe so etwas wie Zufriedenheit war es, was sie empfanden, wenn die kleinen Stacheltiere am Spieß steckten, himmlischen Duft verbreiteten und den Hunger der Kinder stillten. Allen gemeinsam war der Wunsch nach Frieden im Land und in ihrer Gemeinschaft, der nur selten durch kleinere Streitereien unterbrochen wurde. Diese wurden denn auch gemeinsam geschlichtet, denn es gab keine Hierarchie, keinen Anführer unter ihnen. Alle arbeiteten Hand in Hand. Das von allen hergestellte Werkzeug wurde von jedermann genutzt, die Früchte der Jagd und des Sammelns vernünftig geteilt. Es gab eine kleine Nebenhöhle, in der wurden Holzvorräte angelegt. Damit das Holz immer schön trocken war und nicht so viel Rauch entwickelte wie nasses Holz. Sie lebten wie eine Herde Tiere, alle zusammen und in der Gruppe; eine Privatsphäre existierte so gut wie nicht. Die meisten Familien hatten sich behelfsmäßige Gestelle aus Ästen gebaut, an denen Sackleinen aufgespannt waren. Diese dienten als Zwischenwände, um ihren Wohnraum von anderen abzugrenzen.

      In jeder Nacht verwandelte die kalte, nackte Dunkelheit die Höhle in eine Welt voller wispernder, flüsternder Schatten. Grunzendes Schnarchen, Kinderweinen und leises Gestöhne erfüllten die Höhle. Knoll und Magdalena waren sich bewusst, dass sie ihre Intimität mit seinen Kindern, aber auch mit anderen Familien teilen mussten. Magdalena war dies nicht fremd, denn beim jahrelangen Umherziehen mit den Truppen war ihre Privatsphäre ebenfalls sehr eingeschränkt gewesen. Sie hatte damit keine Probleme. Knoll, der mit seiner Frau in Magdeburg ein eigenes, gutbürgerliches Schlafgemach geteilt hatte, brauchte eine Weile, bis er sich damit arrangiert hatte. Wenn Magdalena sich jedoch in der Nacht an ihn klammerte und ihre nackten, abgemagerten Körper sich vereinten, dann vergaß er für eine kurze Weile das Elend um ihn herum. Die gegenseitige Hingabe in der Nacht ließ beide die schweren Tage besser überstehen. Die Höhlenmenschen gewöhnten sich an ihr sonnenarmes Dasein. Es gab Todesfälle, es gab Geburten, es gab Kindstaufen und andere Gelegenheiten, bei denen dann bescheidene Feste ausgerichtet wurden. Ab und zu fand ein Geistlicher den Weg in die Höhle. Mitsamt Kruzifix, Messgewand und Abendmahlskelch. Sogar diese, Männer beider Konfessionen, waren auf der Flucht.

      Sie verbrachten eine lange, lange Zeit in der Kakushöhle. Immer wieder kamen neue Mitbewohner, andere verließen sie. Es gab Menschen, die wanderten regelrecht von Höhle zu Höhle. Quer durch das Reich. Immer auf der Flucht. Die erzählten bisweilen die erstaunlichsten Geschichten. So wie die Familie aus dem Hunsrück, die vor Tillys Truppen Zuflucht auf ihrer heimatlichen Burg Koppenstein gesucht hatten. Tilly belagerte die Burg, die Lage wurde immer verzweifelter, das Wasser wurde knapp. In der großen Not grub man die Brunnen tiefer und tiefer, bis ein Brunnen plötzlich nachgab und eine Wand durchbrach. Dahinter fand man eine riesige Höhle, in welche die Bevölkerung der gesamten Burg mit Sack und Pack einzog und die Wand hinter sich verschloss. Die Eroberer erstürmten eine leere Burg, konnten sich das rätselhafte Verschwinden der Burgleute nicht erklären und zogen unverrichteter Dinge ab, da es in der Burg nichts zu erbeuten gab.

      Die Zuhörer lachten trotz ihres eigenen Elends lauthals über diese Geschichte und Knoll wünschte sich, ganz Magdeburg hätte sich vor Tilly in einer Höhle verstecken können.

      Des Öfteren fragte er sich, wie er in eine solche Situation geraten konnte. Er, der einstmals geachtete, gut beleumundete Bürger, der wohlhabende Brauherr aus Magdeburg, klug, erfahren und stark. Nie hatte er aufbegehrt gegen die Obrigkeit, hatte brav seinen Platz eingenommen, auf den ihn die Vorsehung gestellt hatte. Anständig war er gewesen, hatte immer seine Steuern bezahlt und seine Pflichten erfüllt. Trotzdem war er nicht beschützt worden. Und trotzdem hatte das Schicksal ihm so übel mitgespielt, dass er nun in einer Höhle leben musste. Er lebte, immerhin, aber sein Vertrauen in die gottgegebene Gesellschaftsordnung war merklich erschüttert. Hilflosigkeit war das, was er am heftigsten empfand. Keine Möglichkeit blieb ihm, wirklich aktiv gegen sein Schicksal aufzubegehren. Nichts, außer schimpfen und fluchen.

      Einmal versuchte er sich am Bierbrauen, ließ sich eine kleine Menge der kargen Getreideernte zuteilen, vermälzte diese unter primitiven Bedingungen und präsentierte am Ende ein dünnes, hopfenloses Gersten- und Haferbier, das dennoch von allen mit Genuss getrunken wurde.

      Als sie endlich beschlossen, dass es genug sei, dass der Krieg nun wohl vorbei sein müsse, hatten sowohl Cord Heinrich Knoll als auch Magdalena die dreißig Jahre gerade überschritten, Gisbert war zwölf und der kleine Ulrich sechs Jahre alt. Und die kleine Lisbeth Magdalena, in der Kakushöhle geboren, zählte zwei Jahre. Sie war insofern eine Kuriosität, als dass sie zweimal getauft worden war. Einmal reformiert und einmal katholisch, jeweils von einem Elternteil, ohne Wissen des anderen. Mehr als drei Jahre lang hatten die Knolls als Höhlenmenschen gelebt. Man schrieb das Frühjahr 1635. Nur eine einzelne, zerrissene weiße Wolke hing einsam an einem ansonsten unwiderstehlich blauen Frühlingshimmel, als die Familie die Kakushöhle für immer verließ …

      Und während sie in der Höhle dahinvegetierten, war in einem anderen Teil Deutschlands, im hessischen Homburg, am 30. März 1633 die Geburt des kleinen Prinzen Friedrich von Homburg gefeiert worden. Die Geburt eines Menschen, der viele, viele Jahre später so dramatisch ins Leben der Familie Knoll eingreifen sollte.

      6.

      Leider war der Krieg keineswegs vorbei, sondern es hatten sich lediglich erneut Schauplatz und Protagonisten geändert. Das katholische Frankreich beteiligte sich nun an der Seite des protestantischen Schweden am internationalen Schlachtfest. Dadurch geriet die Katholische Liga unter Druck, und der Krieg verlagerte sich nach Süddeutschland.

      Zur gleichen Zeit begann jedoch überall, in ganz Deutschland, für die Bevölkerung der grausamste Teil des Krieges: Die, vom nun bereits beinahe zwanzig Jahre andauernden Krieg, völlig verrohten Söldner kannten inzwischen keine Grenzen mehr, was das Drangsalieren der Landbevölkerung anging. Das Magdeburgisieren wurde der traurige, der entsetzliche Standard. Überall zogen kleinere, verwahrloste Heere durchs Land, zu Wallenstein, Pappenheim, den Bayern, Franzosen, Spaniern, Holländern oder Schweden gehörig, schlugen hier und da eine bedeutungslose Schlacht, die sie jeweils zum Anlass nahmen, die Bürger und Bauern zu schröpfen. Bisweilen kam es auch zu grausamen Missverständnissen, wie in Donauwörth, wo die Schweden zuerst die reformierten Bürger vom katholischen Joch erlösten und anschließend versehentlich massakrierten.

      Besonders diese schwedischen Söldner erlangten traurige Berühmtheit durch ihren Erfindungsreichtum, da sie sich immer neue Foltermethoden ausdachten. Zum Teil hing es auch damit zusammen, dass sie hier im deutschen Krieg zum ersten Mal mit Wein in Berührung gekommen waren, den sie in den gleichen Mengen und mit demselben Durst konsumierten wie ansonsten das Bier. Nur mit dem gravierenden Nachteil, dass der Wein viel stärker war als ihr üblicher Durstlöscher, und somit zogen die Schweden die meiste Zeit völlig betrunken und enthemmt durchs Land. Wie auf das Wild, so wurde auch Jagd auf Bauern gemacht, von denen man sich noch ein Stück Vieh oder ein Geldstück erhoffte. Unbarmherzig wurden die Opfer misshandelt, nackt an heiße Öfen gebunden, gehängt oder an den Fußsohlen verbrannt. Am meisten gefürchtet wurde der Schwedische Trunk: Eimerweise schüttete man den armen Leuten Wasser oder gar viehische Jauche in den mit einem Stück Holz aufgesperrten Rachen, worauf man ihnen mit den Füßen in die dick angefüllten Bäuche trat oder mit Holzlatten darauf schlug. Wer das überlebte, der verriet alle Verstecke. Auch die Söldner hatten mittlerweile den Braten gerochen, dass sich viele Menschen in Höhlen vor ihnen versteckten. Deshalb hatten sie sich folgerichtig auf Menschen abgerichtete Spürhunde angeschafft, mit denen sie durch die Wälder zogen, um so die Menschen in ihren Höhlen ausfindig zu machen. Deutsche, spanische, kroatische, niederländische sowie Soldaten anderer Nationen standen den Schweden hinsichtlich der ausgeübten Grausamkeit jedoch

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