Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes

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Der Fluch des Bierzauberers - Günther Thömmes

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zu zwängen, es war aber bereits zu spät. Ohne zu jammern, ohne Wehklagen hatte Gisbert mit ihnen gelitten. Cord Heinrich Knoll machte sich schreckliche Vorwürfe. Sie waren sogar zu schwach, um ihn zu begraben, sie ließen ihn einfach am Wegesrand liegen, als einen der zahlreichen Körper, die dort vor sich hin verwesten.

      Die Wolken hoben sich düster vom schweflig gelben Sonnenuntergangshimmel ab. Kein Luftzug, kein Zweig rührte sich. Alles war still, als habe ein plötzliches Grauen das Leben ringsherum gelähmt, als sie Anfang Oktober 1635 an die südliche Pforte der Stadtmauer einer kleinen Stadt anklopften. Sie wussten alle, dass sie nicht mehr lange zu leben hatten.

      »Wer begehrt Einlass? Kommt Ihr aus der Richtung von Wolsfeld?«, fragte eine laute Stimme durch das Gitter der dicken, eisenbeschlagenen Tür. In Wolsfeld, einem kleinen Ort etwa acht Kilometer entfernt, grassierte nämlich gerade die Pest.

      »Lasst uns ein, wir sind am Verhungern. Unsere Kinder liegen im Sterben.« Knolls Stimme war bereits merklich schwächer geworden.

      »Wir lassen kein Landvolk mehr in die Stadt, wir haben selbst kaum genug zu beißen«, kam als höhnische Erwiderung genau die Antwort zurück, die Knoll befürchtet hatte.

      »Wir sind kein Landvolk«, erwiderte er, bevor er mit der letzten, ihm verbliebenen, würdigen Demut betonte: »Ich bin der bürgerliche Brauherr Cord Heinrich Knoll.«

      Dann fiel er vor Hunger und Entkräftung einfach um.

      7.

      Zwei Tage und Nächte lang schlief Knoll durch.

      Er merkte nicht, dass ihm zwischendurch heiße Suppe eingeflößt wurde.

      Er merkte nicht, wie er ausgezogen, gewaschen und gepflegt wurde.

      Er merkte nicht, wie er in seinen Alpträumen sein Leid hinausschrie.

      Er schrie von Blutgerichten, geschändeten Frauen und toten Kindern, vom Fegefeuer und Zerstörung, vom Weltende und der ewigen Verdammnis. Als er endlich erwachte, hatte sich seine Familie bereits in Sorge um ihn versammelt. Der Geruch der herzhaften Suppe und des frisch gebackenen Brotes war unbeschreiblich köstlich und erweckte ihn wieder zum Leben. Die Kinder hatten sich erstaunlicherweise am schnellsten erholt, Suppe und Brot wirkten bisweilen wahre Wunder. Auch Magdalena war körperlich ziemlich rasch genesen, obwohl sie die kleine Lisbeth die meiste Zeit mittragen musste. Sie hatte, da sie durch jahrelange Teilnahme am Kriegswesen mit einem robusten Gemüt ausgestattet war, die erlittenen und mit angesehenen Scheußlichkeiten am besten verarbeitet. Außer den ausgefallenen Zähnen war allen Dreien auf den ersten Blick kaum mehr etwas anzusehen.

      »Wo bin ich? Wo sind wir?«, waren Knolls erste Fragen.

      »Im Hospiz in Bitburg«, antwortete Magdalena. »Weil wir eine Bürgerfamilie sind, haben sie uns Einlass in die Stadt gewährt. Und uns sogleich ins Hospital überwiesen.« Wie zum Zeichen, dass nun alles besser würde, hielt sie ihm einen großen Krug Bier hin, das erste richtige Bier seit langer, langer Zeit. Knoll trank mit Genuss. »Hier ist auch alles knapp. Aber es sind gute Menschen. Und Bier gibt es nur noch für die Schöffen und das Hospiz.«

      Beinahe musste er grinsen, obwohl er gerade erst dem Tod von der Schippe gesprungen war. »Das wäre wahrhaftig ein Grund, noch länger hier zu bleiben.«

      Nach zehn Tagen bereits verließ die Familie das Hospital. Gestärkt und sogar gebadet, sah man ihnen die erlittenen Strapazen bei genauerem Hinsehen aber doch noch deutlich an. Der Stadtschreiber, ein umständlicher Bürokrat namens Dietrich, wies ihnen vorläufig eines der fünf kleinen Häuser zu, die neu angesiedelten Familien vorbehalten waren. Zuerst gab er beiden Kindern einen Apfel, für Lisbeth Magdalena war es der erste ihres Lebens, aber auch Ulrich hatte keine Erinnerung mehr an frisches Obst. Nach überschwänglichen Dankesbezeugungen gingen sie zum Haus.

      Magdalena konnte es genauso wenig fassen wie Knoll und die Kinder: »Ein Steinhaus! Ich habe noch niemals in einem Haus aus Stein gewohnt.« Sprachlos vor Erstaunen öffnete sie die Eingangstür und die mit Ölpapier ›verglasten‹ Fenster immer wieder. Sie hatte große Freude daran, wie ein Kind an einem neuen Spielzeug, an dem es sich nicht satt sehen kann. Auch die Kinder waren beeindruckt, obwohl der kleine Ulrich sich noch dunkel an Türen und die bleigerahmten Butzenscheibenfenster in ihrem Haus in Magdeburg erinnern konnte. Lisbeth Magdalena, auf dem Arm ihrer Mutter, schaute hingerissen durch das Fenster und klopfte mit ihren kleinen Fingerchen dagegen. Noch nie hatte sie so etwas gesehen.

      »Wir haben in den letzten Jahren einige Neubürger bei uns angesiedelt«, erklärte der Stadtschreiber. »Und da war die Schatulle der spanischen Habsburger auf einmal weit offen, um hier frisches Blut hineinzubringen.«

      Dankbar bezogen sie die bescheidene Behausung, die keinem Vergleich mit Knolls Magdeburger Bürgerhaus standhielt, aber weit besser war als alles, worin sie in den vergangenen vier Jahren gehaust hatten.

      Magdalena sagte prophetisch: »Mein halbes Leben lang schon sitzt der Hunger mit am Tisch und der Tod am Bett. Ist das jetzt endlich vorbei?«

      War dies der Ort des Neubeginns? Würden sie in Bitburg in Frieden leben können?

      Die Stadt Bitburg mit ihren knapp eintausend Einwohnern lag im Luxemburger Land, im äußersten südöstlichen Ausläufer der spanischen Niederlande, und gehörte somit ins Lager der Habsburg-Loyalen und Katholiken. Landesherr war also de facto der Spanier Philipp IV. Das Umland aber, sogar das direkt um die Stadt gelegene, gehörte bereits größtenteils zu dem mächtigen und bedeutenden Kurtrier. Bis vor Kurzem war auch Trier der Allianz der Katholiken zugehörig gewesen. Der derzeitige Kurfürst aber war der bereits achtundsechzig Jahre alte Philipp Christoph von Sötern. Er regierte seit zwölf Jahren, dies jedoch mittlerweile nicht mehr unbedingt im Einverständnis mit den Trierer Bürgern. Von Sötern hatte zu Beginn seiner Regentschaft den gleichen Kurs der Rekatholisierung eingeschlagen wie der Kaiser. Diese Politik, zusammen mit einer offen betriebenen Günstlingswirtschaft und rigiden Steuerauflagen zur Finanzierung seiner Bautätigkeit, hatten nicht nur Widerstand in der Bevölkerung, sondern auch im Domkapitel hervorgerufen. Endloser Zank hatte ihn so schließlich ins Lager der reformierten Kräfte getrieben. Von Söterns gutes Verhältnis zu Frankreich war dann so lange als Neutralität ausgelegt worden, bis mit Kardinal Richelieus Hilfe Frankreich ebenfalls, zuerst passiv, ab 1635 dann aktiv, in den Krieg eingegriffen hatte. Die Bürger Triers hatten den Kaiser in Wien um Hilfe gebeten, der hatte spanische Truppen geschickt, die 1630 Trier erobert hatten. Daraufhin hatte von Sötern 1631 mit Schweden und Frankreich einen Neutralitätspakt abgeschlossen, was ihn aber nicht daran gehindert hatte, sich ein Jahr darauf Trier von den Franzosen zurückerobern zu lassen. Zum Dank dafür hatte von Sötern dem achtzehn Jahre jüngeren Richelieu seine Nachfolge auf dem Trierer Bischofsstuhl versprochen. Und damit hatte er das Fass zum Überlaufen gebracht! Denn in diesem Fall hätte Armand-Jean du Plessis, Duc de Richelieu, ein französischer Kardinal, tatsächlich Mitsprache- und Mitwahlrecht bei der deutschen Kaiserwahl gehabt; und die verschiedenen Teile des Habsburgerreiches wären mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auseinandergefallen. Nur die Tatsache, dass von Sötern Richelieu um zehn Jahre überlebte, verhinderte Jahre später Schlimmeres.

      Und so verliefen bei Trier und Bitburg bei Knolls Ankunft dort gleich mehrere Grenzen: Grenzen der Konfession, der Politik und der militärischen Allianzen, aber alle diese quer durcheinander, hin- und herwechselnd. Zu Verwüstungen und Plünderungen durch die wild gewordene Militärmaschinerie, wie es anderswo geschehen war, war es bislang nicht gekommen, zu sehr hatte die Politik hier noch die Fäden des Geschehens in der Hand. Zum Teil lag das auch an der Geiselnahme von Söterns, der bei der erneuten Eroberung Triers, 1635, durch habsburgische Truppen verhaftet worden war und seither in Linz in Haft saß – diese sollte zehn lange Jahre andauern; in den Augen vieler hatte erst

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