Cannabis und Cannabinoide. Franjo Grotenhermen
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Erste ausführliche Beschreibungen des übermäßigen Gebrauchs (oder Missbrauchs) beschreibt Herodot im 4. Jahrhundert v. Chr. Er spricht über die Dampfbäder der Skythen, einem indogermanischen Reitervolk des 7. Jahrhunderts v. Chr.:
„Von diesem Hanf nun nehmen die Skythen die Körner, kriechen unter ihre Filzzelte und werfen die Körner auf glühende Steine. Wenn die Körner auf diese Steine fallen, so rauchen sie und verbreiten einen solchen Dampf, wie er sich in keinem hellenischen Dampfbad findet. Die Skythen aber heulen vor Freunde über den Dampf. Er gilt ihnen als Bad, denn im Wasser baden sie niemals.“ (Reininger 1941)
Auch aus dieser Zeit stammen Kräuterbuchfragmente aus Assyrien (zwischen Tigris und Euphrat liegend, daher auch Zweistromland (Mesopotamien) genannt), heutiger Grenzbereich zwischen Iran und Irak. Cannabis erscheint unter verschiedenen Namen (meist als „azallu“) und wird ausgesprochen vielseitig verwendet: Äußerlich gegen Schwellungen, Quetschungen, Augenleiden, zudem wird die Anwendung als Medizinalbad zur Linderung depressiver Zustände empfohlen. Auch innerlich soll es gegen Stimmungsschwankungen helfen, zudem wurde es empfohlen gegen Impotenz, Nierensteine und Hexerei. Die Hanfsamen werden verwendet (zusammen mit Safran und Minze in Bier) gegen verschiedene Frauenleiden.
2.2 Cannabis in der antiken Medizin
Welche Bedeutung Cannabis bei den Griechen und Römern gehabt hat, ist unsicher. Man glaubt zwar, dass die psychoaktive Wirkung des Hanfs bekannt, die Verwendung als Rauschmittel aber kaum gebräuchlich war; bezeichnenderweise fehlt Hanf im Corpus hippocraticum (Stefanis et al. 1975). Diese, im 4. Jahrhundert vor Christus entstandenen, dem Vater der Medizin, Hippokrates, zugeschriebenen Schriften, gelten als Fundament der abendländischen Medizin. Andere, Nichtärzte, erwähnen Hanf zwar vor Christi Geburt, gehen jedoch nicht auf die medizinische Verwendung ein (Brunner 1973).
Vielfach zitiert wird die bei Homer (evtl. 7./8. Jahrhundert v. Chr.) im vierten Gesang der Odyssee beschriebene Telemachszene. Helena wirft in den Wein des Telemach und seiner Genossen das Arzneimittel „Nepenthes“, welches das Vergessen aller Leiden bewirken soll. Homer schreibt:
„Und sie tat in den Wein, von dem sie tranken, ein Mittel, Sorgen und Zorn zu stillen und alles Leid zu vergessen. Wer das Mittel genoss mitsamt dem Weine des Mischkrugs, dem rann keine Träne den Tag die Wange herunter, lägen ihm auch tot darnieder Vater und Mutter, selbst, wenn man vor ihm den lieben Sohn oder Bruder mit dem Schwert erschlüge vor seinen Augen.“ (Homerus 1938)
Dass es sich beim Nepenthes um ein Haschischpräparat handelte oder wenigstens Teile davon zu finden sind wird für möglich gehalten. Andere glauben allerdings, dass es sich beim Nepenthes um eine dichterische Erfindung handelt. Interessant ist, dass bereits in der Antike über die Zusammensetzung dieses sagenumworbenen Pharmakons diskutiert wurde.
In der Arzneimittellehre des Dioskurides (um 50 n. Chr.) wird Cannabis erstmals in einer abendländischen Schrift erwähnt (s. Abb. 2):
„Gebauter Hanf. Der Hanf – einige nennen ihn Kannabion, andere Schoinostrophon, Asterion – ist eine Pflanze, welche im Leben sehr viel Verwendung findet zum Flechten der kräftigsten Stricke. Er hat denen der Esche ähnliche übelriechende Blätter, lange einfache Stengel und eine runde Frucht, welche, reichlich genossen die Zeugung vernichtet. Grün zu Saft verarbeitet und eingeträufelt, ist sie ein gutes Mittel gegen Ohrenleiden.“ (Dioskurides 1902)
Abb. 2 Die erste bekannte Abbildung von Cannabis (aus: Codex vindobonensis des Dioskurides [512 n. Chr.])
Nebst Dioskurides erwähnt auch einer der berühmtesten Ärzte der Antike überhaupt, Galen, Hanf in zwei seiner zahlreichen Schriften. Neben blähungswidrigen und aphrodisischen Wirkungen schreibt er, dass ein zu häufiger Gebrauch der Körner zu Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und schließlich zu Impotenz führe. Den grünen Saft der Samen empfiehlt er gegen Ohrenschmerzen. Trotz einiger konkreter Hinweise auf die betäubende Wirkung der Pflanze, unter anderem auch von Galen, ist dessen Bedeutung als Rauschmittel im Gegensatz zum Opium als klein einzustufen. Nicht zuletzt deshalb, weil in dieser Zeit vom Hanf fast ausschließlich die nicht betäubend wirkenden Samen und nicht das Kraut als Arznei verwendet wurden.
Mit dem Zerfall des alten Römischen Weltreichs begann gleichzeitig das Aufblühen von Byzanz und, damit verbunden, die Überlieferung der klassisch-antiken Medizinkonzepte in die arabische Welt.
2.3 Haschisch in der arabischen Welt
Die Rezeption der antiken Medizin in der arabisch-islamischen Welt fand im 10. Jahrhundert ihren eigentlichen Höhepunkt. Die großen Autoren der Antike waren ins Arabische übersetzt worden, das medizinische Wissen in den arabisch-islamischen Sprach- und Kulturraum übernommen und durch eigene wie auch Einflüsse anderer Kulturen (z.B. aus Indien) ergänzt. Bezüglich Hanf waren die Verhältnisse ganz anders als in der Antike. Nicht wie dort das Opium, sondern Haschisch (bedeutet in arabischer ursprünglich „dürres Kraut“; das „Haschischat al-foqarâ“ wird als das Kraut der Armen bezeichnet) (Gelpke 1975) hatte die größere Bedeutung als Medizinal- und Rauschpflanze. Zahlreiche angesehene Ärzte gehen auf die medizinische Verwendung von Cannabis ein, so auch Avicenna, der Übervater der arabischen Medizin. Er erwähnt die Pflanze in seiner etwa um 1.000 v. Chr. entstandenen Schrift „Canon medicinae“. Diese Arzneimittellehre galt auch in Europa als wegweisendes und vollständigstes Werk der Medizin noch bis ins 15. Jahrhundert. Im Unterschied zu den Werken von Dioskurides oder Galen werden neu nicht nur die Samen, sondern auch das Kraut medizinisch verwendet, dadurch bedingt wird bereits damals darauf hingewiesen, dass mit dieser Pflanze auch Missbrauch betrieben werden könne (Moller 1951; De Courtive 1848).
Im 13. Jahrhundert beginnt mit dem politischen Ende des arabisch-islamischen Reiches auch der Niedergang der arabisch-orientalischen Medizin, die später das wesentliche Fundament der scholastischen Medizin des westlichen Mittelalters werden sollte.
2.4 Hanf im mittelalterlichen Europa
Cannabissamen genossen im frühen Europa des Mittelalters als Heilmittel großes Ansehen. Detailliert geht um 1150 die deutsche Äbtissin Hildegard von Bingen in ihrer Heilmittel- und Naturlehre „Physica“ auf Hanf ein. Sie schreibt:
„De Hanff-Cannabus – Vom Hanf
Der Hanf ist warm. Er wächst, während die Luft weder sehr warm noch sehr kalt ist, und so ist auch seine Natur. Sein Same bringt Gesundheit und ist den gesunden Menschen eine heilsame Kost, im Magen leicht und nützlich, weil der den Schleim ein wenig aus dem Magen entfernt und leicht verdaut werden kann, die schlechten Säfte mindert und die guten stärkt. Wer Kopfweh und ein leeres Hirn hat, dem erleichtert der Hanf, wenn er ihn isst, den Kopfschmerz. Den, der aber gesund ist und ein volles Gehirn im Kopfe hat, schädigt er nicht. Dem schwer Kranken verursacht er im Magen einigen Schmerz. Den, der nur mässig krank ist, schädigt sein Genuss nicht. – Wer ein leeres Gehirn hat, dem verursacht der Genuss des Hanfes im Kopf einen Schmerz. Einen gesunden Kopf- und ein volles Gehirn schädigt er nicht. Ein aus Hanfverfertigtes Tuch, auf Geschwüre und Wunen gelegt, tut gut, weil die Wärme in ihm temperiert ist.“ (Reier 1982)
In den folgenden Jahrhunderten wird Hanf in den meisten Kräuter- und Arzneibüchern erwähnt, obschon im Jahr 1484 der Papst Innozenz VII Kräuterheilern die Verwendung von Cannabis verbietet. Dieser verkündete, dass Hanf ein unheiliges Sakrament der Satansmesse sei.
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