Kurz und schmerzlos. Peter Gerdes

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Kurz und schmerzlos - Peter Gerdes

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Stelle suchen, in die sie dann reinpieken können? Nein? Merkwürdig. Berlin ist doch voll davon.

      Hermann Müller war einer von denen, die sich niemals wehren. Alles runterschlucken, in sich hineinfressen. Wer weiß, vielleicht hatte sein Magenkrebs ja auch damit zu tun.

      Nach jenem Gespräch mit seinem Arzt jedenfalls hat sich Müller hingesetzt und eine Liste gemacht. Wer ihn wann, wo und wie beleidigt hatte. Eine lange Liste, das kann ich Ihnen sagen! Unglaublich, wer da alles draufstand. Die meisten davon können froh sein, dass sich Müllers Arzt nicht noch mehr verkalkuliert hat.

      Hoffentlich ist meiner etwas präziser in seinen Prognosen.

      Wie? Nein, Sie haben sich nicht verhört. Mag ja sein, dass ich noch recht rosig und gesund aussehe, aber das täuscht leider. Deshalb bin ich ja hier in Berlin, hier gibt es erstklassige Spezialisten. Wunderheiler sind das aber auch nicht. Auf sechs Monate soll ich mich einstellen, heißt es. Tja, nicht zu ändern.

      Aber ich werde etwas machen aus der Zeit, das habe ich mir fest vorgenommen. So wie Müller. Aber mit etwas mehr Power. Von wegen einer pro Monat! Hier in Berlin sind doch ganz andere Quoten möglich. Und hier gibt es auch keinen Hauptkommissar Stahnke. Der ist ja nun vorgewarnt und würde mir vielleicht draufkommen. Aber er ist ja zum Glück für Berlin nicht zuständig.

      Sie entschuldigen, wenn ich Sie jetzt allein lasse? Es gibt Momente, da sollte man ganz für sich sein. Reden können Sie ja ohnehin nicht mehr, wie ich feststelle. Aber keine Sorge, ein Weilchen dauert es schon noch. Sie sollen ja etwas davon haben.

      Na dann: Auf die Landeier! Und jetzt weiß ich auch, was mir vorhin nicht einfallen wollte: Auf die Landeier in der Legebatterie.

      Verstehen Sie nicht? Dachte ich mir. Ist aber auch egal. Bald.

      Ach, der Zuckerstreuer. Den nehme ich mit. Das ist nämlich meiner.

      Den werde ich noch brauchen.

      Das Nageln der Dachdecker

      Stahnke wartete das Ende der Salve ab, dann duckte er sich und hastete durch den Flur, seinen Unterarm vorm Gesicht, um sich vor umherfliegenden Splittern zu schützen, schlüpfte in die Küche und schlug die Tür hinter sich zu. Tief durchatmend wappnete er sich für die nächste Serie ohrenbetäubender Knalle, die auch nicht lang auf sich warten ließ.

      Bang! Bang! Bang!

      Der Lärm durchdrang die Zimmerdecke problemlos, und die Geschosse würden es auch tun, wenn die Holzbalken sie nicht aufhielten, da war sich der Hauptkommissar sicher. Todsicher.

      Wieder eine Salve. Verdammt, wer sollte das nur aushalten! Was er jetzt brauchte, war eine Pause. Eine Feuerpause. Und er wusste auch, wie er die erreichen konnte.

      Vorsichtig öffnete er die Tür zum Flur wieder. Sofort nahmen die Schießgeräusche an Intensität zu. Stahnke legte den Kopf in den Nacken und hielt beide Hände trichterförmig an die Wangen, holte tief Luft und begann aus Leibeskräften zu schreien.

      »Frühstückspause! Tee ist fertig!«

      Schlagartig war Ruhe.

      Während die Dachdecker frühstückten, flüchtete sich Stahnke in den Garten, um die vorübergehende Ruhe auszukosten. Gelingen wollte es ihm nicht, denn das, was sich da vor seiner Nase ausbreitete, sah nicht wie eine Baustelle aus, sondern wie ein Trümmergrundstück. Dort, wo die Balken des alten Daches im Mauerwerk gesteckt hatten, waren die Klinkerwände unregelmäßig ausgezackt wie jahrhundertealte, verwitterte Burgmauern. Der Schuttcontainer quoll über, und längst nicht jeder Stein und jede Pfanne hatten ihr Ziel auch getroffen. Die ausrangierten Dachbalken bildeten dort, wo einmal Rasen gewesen war, einen wirren Haufen, der einen Panzer hätte aufhalten können, und im Vorgarten türmten sich die Reste von Leichtbauwänden und Deckenvertäfelungen. Alles war mit einer dicken, knirschenden Schicht Mörtelstaub überzuckert. Drinnen wie draußen, denn auf die Idee, den Durchbruch der Flurtreppe zum Dachgeschoss abzudecken, waren die Handwerker erst mit einiger Verspätung gekommen.

      Stahnke seufzte. Warum nur hatte er sich für die Zeit des Umbaus Urlaub genommen, statt in aller Ruhe Verbrecher zu jagen? Um genau dieses Szenario im Auge behalten zu können, klar. Aber was er sich damit angetan hatte, wurde ihm erst nach und nach klar.

      Immerhin ging es nach endlos scheinenden Tagen gefühlter Untätigkeit inzwischen wenigstens voran. Kaum nämlich war das alte Dach abgerissen gewesen, hatten sich die Handwerker immer wieder verflüchtigt wie Morgennebel in der Sommersonne. Regelmäßig hatten sie zwar morgens im halb sieben auf seiner Auffahrt gestanden, lauthals schwadronierend, mit Werkzeugen scheppernd und Hoffnung auf schnelle Baufortschritte weckend – um dann jedoch schleunigst zu anderen Baustellen zu verschwinden, auf denen die Firma Biernoth & Harms andere, offenbar noch ungeduldigere Bauherren bei Laune halten musste. Der Hochsommer war schließlich die Hochsaison im Dachdeckergewerbe, und wenn sich ein deutscher Handwerker auch nicht teilen und auf mehreren Baustellen gleichzeitig präsent sein konnte, so konnte er doch immerhin versuchen, genau diesen Eindruck zu erwecken.

      Das Ausmaß dieser Präsenz hing dabei offenbar davon ab, wie überzeugend der jeweilige Bauherr seiner wachsenden Ungeduld Ausdruck verlieh. Als Stahnke das erst kapiert hatte, hatte er sich Biernoth zur Brust genommen. Seitdem ging es richtig voran.

      Biernoth selber gehörte zwar nicht zu der vierköpfigen Crew, die sich seither jeden Vormittag zwischen neun und halb zehn in Stahnkes Küche versammelte, um den dort bereitstehenden Tee zu trinken, die mitgebrachten Stullen zu verzehren und dabei die Weltlage zu diskutieren. Dafür aber der dicke Harms, Biernoths Kompagnon, außerdem Marco, der stets lächelnde Tausendsassa, der jedes technische Problem lösen konnte, ohne viel Aufhebens davon zu machen, sowie der schöne Kevin, der zu Latzhose und blonder Lockenmähne immer tief ausgeschnittene Trägerhemdchen trug, und die sommersprossige Annika, Auszubildende im dritten Lehrjahr.

      Alles in allem eine schlagkräftige Mannschaft, die in den letzten Tagen dafür gesorgt hatte, dass sich auf Stahnkes Haus, das nach dem Dachabriss wie ein zertretener Schuhkarton ausgesehen hatte, inzwischen schon das helle Balkengerippe des neuen Daches erhob wie ein halb eingelöstes Versprechen. Zwei der vier Handwerker, der dicke Harms und der freundliche Marco, waren schon dabei, Dachlatten anzunageln und alles für das Einpassen der Isoliermatten vorzubereiten, während Kevin und Annika Leichtbauwände für den Innenausbau hochzogen. Alle vier benutzten dabei Nagelgeräte, sogenannte Druckluftnagler, pistolenähnliche Dinger, mit denen sie einfach per Fingerdruck eiserne Stifte in rasender Geschwindigkeit beliebig tief in jede Art von Holz treiben konnten. Und das taten sie ausgiebig. So ausgiebig, dass Stahnke, der sich eingebildet hatte, von Berufs wegen schussfest zu sein, kurz davor war, den Verstand zu verlieren. Denn jeder Nagelvorgang war mit einer heftigen Detonation verbunden.

      Er blickte zur Uhr. Schon kurz vor halb zehn, gleich würde die Ballerei wieder losgehen. Vielleicht sollte er einen Spaziergang einlegen. Oder eine Radtour. Irgendwas, bloß eine Weile weg von dieser Knallerei.

      Auf der Einfahrt quietschte ein Fahrrad. Etwa schon die Post? Ach nein, Gaby. Stahnke konnte ihre schwarze Mähne gerade noch hinter der Hecke verschwinden sehen. Wie jeden Tag hatte sie Kevin das Frühstück gebracht. Gegen halb zwölf würde sie noch einmal auftauschen, das hatte Stahnke schon spitzgekriegt, und ihrem Kevin den Ostfriesischen Kurier bringen, die Lokalzeitung aus Norden, die sie sich extra mit der Post schicken ließ, denn Kevin war gebürtiger Norder und hing an seiner Heimatstadt. Die Ostfriesen-Zeitung, die man in Leer las, war für ihn kein Ersatz.

      Wirklich praktisch, wenn das eigene Haus samt Ehefrau nur zwei Straßen weit weg vom aktuellen Arbeitsplatz lag und man sich dermaßen bedienen lassen

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