Die Pest der Korruption. Kent Heckenlively
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Ein Retrovirus ist ein „Tarnkappen-Virus“, das wie HIV in den Wirtsorganismus eindringt, ohne das Immunsystem in Alarm zu versetzen. Es kann dann jahrelang inaktiv sein, ohne Schaden anzurichten. Bevor ein Retrovirus einen Menschen umbringt, zerstört es normalerweise sein Immunsystem. Im Ergebnis führen viele Retroviren dann zu Krebs. Durch ihren Beitrag zum Verständnis des Verhaltens von Retroviren veränderten die Zusammenarbeit von Ruscetti und Mikovits und Mikovits’ preisgekrönte Doktorarbeit an der George Washington University von 1991 das Paradigma der Behandlung von HIV-AIDS. Das verwandelte die Krankheit von einem Todesurteil in eine behandelbare Erkrankung.
Von Beginn an war das schwierigste Hindernis in Mikovits’ beruflicher Laufbahn ihre wissenschaftliche Integrität. Sie hat diese immer über ihren persönlichen Ehrgeiz gestellt. Judy Mikovits hat niemals beabsichtigt, in einen heftigen Streit im Gesundheitswesen zu geraten. Sie hat sich niemals als Rebellin oder Revolutionärin betrachtet. Judys Verwandte haben vorwiegend in Regierungsbehörden oder im Polizeivollzugsdienst gearbeitet. Sie glaubten an die amerikanischen Grundprinzipien von harter Arbeit, Respekt vor Autoritäten und vor allem an die Verpflichtung zur Wahrheit. Dieser Hintergrund machte es für sie unmöglich, die hohen Maßstäbe ihrer Herkunftsfamilie in Bezug auf Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit aufzugeben, selbst dann, als diese für sie zu einem Hindernis wurden.
Nachdem sie die National Institutes of Health (NIH) verlassen hatte, arbeitete sie eine Zeit lang bei Upjohn und leitete dort ein Projekt, in dem die Sicherheit des Verkaufsschlagers der Firma, eines Rinderwachstumshormons, getestet wurde. Als Mikovits entdeckte, dass die Rezeptur präkanzeröse Veränderungen in humanen Zellkulturen verursachen konnte, lehnte sie es ab, den direkten Anweisungen ihres Chefs zu folgen, ihre Entdeckungen zu verheimlichen. Was Mikovits aufgedeckt hatte, ließ darauf schließen, das allgegenwärtige Vorkommen des Hormons in der Milch könne bei den Frauen, die diese Milch tranken, Brustkrebs auslösen. Ihre Weigerung, einen Rückzieher zu machen, führte dazu, dass sie Upjohn verließ, zu den NIH zurückkehrte und ein Aufbaustudium begann. Judys Krieg gegen das Rinderwachstumshormon veranlasste Upjohn schließlich, das Produkt aufzugeben.
2009 war Mikovits in der akademischen Welt angekommen. Zusammen mit Ruscetti, der weiterhin am National Cancer Institute (NCI) arbeitete, leitete sie ein Team, das einen starken Zusammenhang zwischen einem bislang unbekannten Retrovirus und Myalgischer Enzephalomyelitis entdeckte. Diese Erkrankung ist allgemein bekannt als Chronisches Erschöpfungssyndrom (ME/CFS) (Chronic Fatigue Syndrome/Myalgic Encephalomyelitis – ME/CFS). Wie vorherzusehen war, stand das Retrovirus auch im direkten Zusammenhang mit bestimmten Arten von Blutkrebs. Andere Forscher hatten es als Xenotropic Murine Leukemia Related Virus (XMRV) bezeichnet, als sie es einige Jahre zuvor zuerst in DNA-Sequenzen bei Prostatakrebs entdeckt hatten.
Die Medizin ist dem Chronischen Erschöpfungssyndrom, das vorwiegend Frauen betrifft, mit bösem Misstrauen begegnet, seitdem es Mitte der 1980er-Jahre in Erscheinung trat. Das medizinische Establishment verspottete ME/CFS als „Yuppie-Grippe“ und schrieb es der psychologischen Zerbrechlichkeit von Karrierefrauen zu, die in Unternehmenskulturen unter hohem Druck ihre Karrieren verfolgten. Mikovits fand bei etwa 67 Prozent der vom Chronischen Erschöpfungssyndrom betroffenen Frauen und bei knapp 4 Prozent der gesunden Kontrollpersonen Belege für das Retrovirus.
Am 8. Oktober 2009 veröffentlichten Mikovits und Ruscetti ihre explosiven Forschungsergebnisse in der Fachzeitschrift Science. Sie beschrieben die erste Isolation des kürzlich entdeckten Retrovirus XMRV und seinen Zusammenhang mit ME/CFS. Ihre Enthüllung über ME/CFS löste unmittelbar wütende Reaktionen von neidischen, mächtigen Krebszentren aus, die sich stur jeder Wissenschaft widersetzten, die Krebs und neuroimmunologische Krankheiten mit Viren in Zusammenhang brachte.
Die Angriffe wurden noch unerbittlicher, als Mikovits’ spätere Forschung den Schluss nahelegte, dass das neue Retrovirus, das man ursprünglich in Mäusen gefunden hatte, auf irgendeine Weise über kontaminierte Impfstoffe auf den Menschen übergesprungen war.
Noch beunruhigender für das medizinische Establishment war es, als Dr. Mikovits’ Forschung aufdeckte, dass viele der von XMRV betroffenen Frauen Kinder mit Autismus hatten. Da sie befürchtete, XMRV könnte wie bei HIV von Mutter zu Kind übertragen werden, testete sie siebzehn dieser Kinder. Bei vierzehn fanden sich Hinweise auf das Virus. Diese Ergebnisse stimmten mit den Berichten der Eltern über die autistische Regression ihrer Kinder infolge einer Impfung überein. Darauffolgende Studien brachten XMRV in Zusammenhang mit dem epidemischen Auftreten von Leukämie, Prostatakrebs, Autoimmunerkrankungen und der Explosion von Alzheimer.
Noch schlimmer – die Forschung zeigte auch eine verbreitete Verseuchung von Blutkonserven und Blutprodukten. Basierend auf ihrer Forschung und den Untersuchungsergebnissen von anderen sah es so aus, als ob zwischen drei und acht Prozent der Bevölkerung nun das Virus in sich trugen – XMRV war ein Teil der Humanökologie geworden und wurde von der Mutter im Mutterleib oder über Muttermilch auf das Kind übertragen. Mikovits’ Daten ließen darauf schließen, dass mehr als zehn Millionen US-Amerikaner dieses Virus wie eine tickende Zeitbombe in sich trugen – eine potenzielle Bedrohung, weit größer als die AIDS-Epidemie.
Im Januar 2011 veröffentlichte der HIV-AIDS-Experte Ben Berkhout diese brisanten Enthüllungen in der Fachzeitschrift Frontiers in Microbiology. Er schloss Mikovits’ Belege ein, nach denen Mäusegewebe, das in der Produktion von Impfstoffen eingesetzt wird, der wahrscheinliche Überträger für die Kontamination der Humanpopulation war. Judy wusste nicht, dass Kent Heckenlively, der Co-Autor dieses Buches, unabhängig davon medizinische Forschungsarbeiten entdeckt hatte, die zeigen, dass der erste aufgezeichnete Ausbruch von ME/CFS unter 198 Ärzten und Krankenschwestern am Los Angeles County Hospital in den Jahren 1934 und 1935 aufgetreten war – und zwar nachdem ihnen ein experimenteller Polioimpfstoff injiziert worden war, den man in Mäusegehirnen gezüchtet hatte.
Mikovits’ Belege drohten für die pharmazeutischen Unternehmen der Welt wegen ihrer nachlässigen Verwendung von tierischen Zellkulturen zur Produktion von Impfstoffen und anderen pharmazeutischen Produkten zu einer finanziellen Katastrophe zu werden. Ihre Forschungsergebnisse gefährdeten Milliarden von Dollar an Einnahmen aus einem ganzen Medizinzweig, der als Biologika bezeichnet wird und von tierischem Gewebe und entsprechenden Produkten abhängig ist.
Pharmaunternehmen und ihre unternehmenseigenen Aufsichtsgremien entfesselten eine wütende Attacke gegen Mikovits und Ruscetti und bestürmten sie aus jeder ihrer Hochburgen.
Die Fachzeitschrift Science drängte Mikovits fieberhaft, ihren Artikel vom Oktober 2009 zurückzuziehen. Im September 2011 wurde Judy aus ihrem Job am Whittemore Peterson Institute der University of Nevada, Reno, gefeuert. Judy und ihre Familie beobachteten bedrohlich aussehende Männer, die ihr in Kleinlastern folgten, und andere Vorfälle, die nahelegten, dass sie überwacht wurde. Eines Tages umkreisten vierschrötige Schlägertypen ihr Haus und zwangen sie, mit einem Boot zu fliehen. Nachdem sie entkommen war, stürzten sie in ihr Haus und behaupteten, für die Regierung zu arbeiten. Im November nahmen Polizisten aus Ventura Judy ohne Haftbefehl fest und hielten sie fünf Tage im Gefängnis fest, ohne die Möglichkeit, auf Kaution freizukommen. Die Polizei durchsuchte ihr Haus von oben bis unten und verstreute ihre Papiere überall. Am gleichen Tag überfielen Polizisten das Zuhause ihrer Freundin Lilly und zwangen sie, für mehrere Stunden auf einem Stuhl sitzen zu bleiben, während sie das Gebäude durchwühlten. Beamte der NIH sagten der Polizei von Nevada, dass Dr. Mikovits ihre Notizbücher mit den Aufzeichnungen zu ihrer Forschung auf illegale Weise aus ihrem Labor entwendet hätte. Das war eine fingierte Anschuldigung. Als Projektleiterin zweier von der Regierung finanzierter Forschungsprojekte war es Dr. Mikovits’ Pflicht, alle ihre Forschungsunterlagen aufzubewahren. Außerdem