Die Pest. Kent Heckenlively
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In dieser ersten Nacht im Gefängnis machte sich Mikovits keine Sorgen um ihre eigene Sicherheit. Sie glaubte, dass Harveys Plan gewesen war, sie zurück nach Reno zu bringen, und sie wusste, dass die Notizbücher mit den Beweisen von Max in Sicherheit gebracht worden waren.
Wer wusste denn, was man mit ihr in Nevada vorhatte?
Doch egal, wie lange seine Arme reichten, Mikovits bezweifelte, dass Harveys Einfluss von Reno, Nevada, bis zu ihrer Gefängniszelle in Ventura, Kalifornien, reichen konnte. Es war paradox, aber sie fühlte sich in einer Zelle mit einer sich erholenden Methamphetamin-Süchtigen sicherer, als sie sich seit Monaten gefühlt hatte.
* * *
Mikovits ließ ihre Gedanken zu Dr. John Coffin schweifen, den viele als den großen alten Mann der Virologie betrachteten. Sie dachte an sein Zitat in Science, in dem er sie mit Jeanne d’Arc verglichen hatte.
Auf den höchsten Ebenen von Wissenschaft und Forschung findet man Kämpfe um Macht und Territorien. Wenn ein junger Forscher etwas Neues auf dem Gebiet eines anderen entdeckt, wird oft der selbsternannte Leiter dieses Wissensgebietes einen zweiten Artikel und den ersten Rezensionsartikel darüber schreiben und den jungen Forscher regelrecht hinausdrängen. Coffin hatte in der Tat zu ihrem ursprünglichen Artikel in der Zeitschrift Science einen unterstützenden Leitartikel mit dem Titel „A New Virus for Old Diseases“ geschrieben.39 Und jetzt war er auf der anderen Seite.
Wer, so fragte sich Mikovits, würde einen Forscherkollegen mit Jeanne d’Arc vergleichen, einer heiligen Kriegerin aus dem 14. Jahrhundert, die zu Unrecht der Ketzerei bezichtigt wurde, und dann prophezeien „Die Wissenschaftler werden sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen“? Das war eine groteske Behauptung. Warum sollte ein Wissenschaftler auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden für die Veröffentlichung von Daten, die sich als falsch erweisen könnten? In den 1970er-Jahren wurden viele Artikel veröffentlicht, in denen fälschlicherweise behauptet wurde, dass humane krankheitserregende Retroviren entdeckt wurden. Keiner dieser Menschen wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt, einige von ihnen wurden sogar in die National Academy gewählt. Hatte Coffin die wissenschaftliche Gemeinde mit den Akteuren der Inquisition verglichen? Was könnte sie über einen solchen Vergleich denken? Wenn sich ihre Forschung als falsch herausstellen würde, dann lasse man doch jemand anderes die gleichen Experimente durchführen und sie widerlegen. So läuft das in der Wissenschaft. Man kann bei einer Sache recht haben und bei der nächsten unrecht. Sie wäre in der Lage, das zu akzeptieren. Coffin hatte sich geirrt, was das Vorkommen von humanen Retroviren betraf. War er deshalb im Gefängnis gelandet? In Ungnade gefallen? Nein. Hinter dieser Geschichte steckte so viel mehr.
Aber so sehr sie auch glaubte, dass Coffin in vielen Fällen unangemessen gehandelt hatte, hatte sie doch den Eindruck, dass sehr viele ihrer Probleme von ihren ehemaligen Verbündeten, den Whittemores, herrührten. Sie glaubte, dass die Rezession den Immobilienbeständen der Whittemores schwer geschadet habe, fragte sich aber auch, ob andere mit weit mehr Macht sie zwingen könnten, gegen ihre natürlichen Neigungen zu handeln.
Aber warum sollte jemand nicht daran interessiert sein, den Millionen von Patienten mit ME/CFS und Kindern mit Autismus zu helfen?
* * *
Trotz allem, was geschehen war – als Mikovits in ihrer Koje lag, versuchte sie, für die Whittemores zu beten. Mikovits hatte sie wirklich gemocht. Viele ihrer Freunde glaubten, dass ihr Untergang auf ihre unangebrachte Loyalität gegenüber den Whittemores zurückzuführen war, vielleicht auf eine emotionale Naivität, eine Unfähigkeit zu erkennen, wann Leute sie manipulierten. Aber es bestand kein Zweifel daran, dass seit dem Ausbruch von ME/CFS am Lake Tahoe 1984 bis 1985 keine andere Person oder Gruppe mehr getan hatte, um die Aufmerksamkeit auf diese schreckliche Krankheit zu lenken, als das WPI.
Der Dichter Henry Wadsworth Longfellow schrieb einmal: „Wenn wir die geheime Geschichte unserer Feinde lesen könnten, würden wir im Leben eines jeden Menschen genug Trauer und Leid finden, um jede Feindseligkeit zu entschärfen.“ In dieser Art und Weise dachte Mikovits an die Whittemores, als sie in ihrer Gefängniszelle saß.
Mikovits glaubte, Annette sei mit dem WPI vollkommen überfordert, aber sie war eine Mutter, die um das Leben ihres Kindes kämpfte. Sie hatte das Gefühl, dass sich so viele Dinge gegen die Whittemores verschworen hatten, vor allem aber die Wirtschaft, und dass sie nicht ganz verstanden hatten, wie sehr die Regierung vermeiden wollte, einen ehrlichen Blick auf ME/CFS oder Autismus und die Rolle zu werfen, die Impfstoffe spielen könnten. Mikovits versuchte, diese Gedanken hinter sich zu lassen und sich auf etwas Höheres zu konzentrieren. Sie versuchte sich die Worte bestimmter biblischer Verse ins Gedächtnis zu rufen, die sie im Laufe der Jahre in der Kirche gehört hatte, konnte sich aber an keine erinnern. Es ließ ihr keine Ruhe, weil sie wirklich beten wollte und das dringende Bedürfnis danach hatte.
Nur die Worte des Vaterunsers kamen ihr in den Sinn. Sie begann es immer und immer wieder zu rezitieren, fast wie ein Mantra, und es gab ihr ein Gefühl von großem Frieden, während sie der Ungewissheit dieser Nacht gegenüberstand.
Vater unser, im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser täglich Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
„Handle, und Gott wird handeln“, hatte Jeanne d’Arc einmal gesagt. Trotz all der Zeiten, in denen sie zuvor gehandelt hatte und ihr Handeln zu nichts geführt hatte, dachte Mikovits, sie würde es noch einmal versuchen.
KAPITEL 1
Die HHV-6 Konferenz und die Kultur der Wissenschaft
In der Wissenschaft gibt es – vielleicht – mehr Eigeninteresse, ein bisschen mehr Paranoia, ein bisschen mehr Narzissmus, oder warum gehen wir sonst in die Wissenschaft? Sie glauben, Sie sind gescheit genug, um Probleme der Natur zu lösen. Viele Wissenschaftler neigen dazu, etwas für sich zu behalten. Wenn die andere Person keine Gelder erhält, werden Sie vielleicht welche bekommen. All so etwas ist im Spiel, aber das sind die schlimmsten Merkmale der Wissenschaft oder Wissenschaftler.
—Dr. Robert Gallo.1
Barcelona, Spanien – 1. Mai 2006
Judy Mikovits suchte einen Platz, an dem sie kaum noch in Hörweite des Einführungsreferats von Dr. Robert Gallo2 auf der 5. Internationalen Konferenz über HHV-6 und -7 (humane Herpesviren 6 und 7) war. Gallo sprach im prächtigen großen Konferenzsaal des Hilton Diagonal Mar Hotels in Barcelona, Spanien. Sie hoffte, sich in der diffusen Beleuchtung des Raumes und in den dezenten europäischen Akzenten verbergen zu können. Mikovits wusste aus früheren Begegnungen, dass sie sich von dem berühmten Wissenschaftler fernhalten wollte.