Die Pest. Kent Heckenlively
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Ruscetti erinnerte sich an einen Vorfall in den frühen 1980er-Jahren, als er zwei führende Wissenschaftler besuchte, um einige HIV-Proben für die Forschung zu bekommen. Die Wissenschaftler waren gerne bereit, die Proben weiterzugeben, aber einer von ihnen redete unablässig davon, wie sehr er hoffte, dass er mit dieser Forschung einmal in The Tonight Show mit Johnny Carson landen würde. Aus Ruscettis Sicht schien es eine Gier zu geben, im Rampenlicht zu stehen, eine fixe Idee, eine Berühmtheit zu sein, wo die Wissenschaft doch in Wirklichkeit ein gemeinschaftlicher Prozess sein sollte. Nach Ruscettis Ansicht bedrohte dieser Hunger nach persönlichem Ruhm und Anerkennung die Reinheit der Wissenschaft.24
* * *
Mikovits war mit begeisterter Zielstrebigkeit in ihr frühes Berufsleben eingetreten. Sie graduierte im Mai 1980 an der University of Virginia mit einem Bachelor-Abschluss in Biochemie. Sie war die Einzige unter den vier Kindern ihrer Familie, die eine vierjährige Ausbildung an der Universität absolvierte.25 Anne Harpe Peabody, eine Englischlehrerin an der High School an der J.E.B. Stuart High School in Falls Church, Virginia, war maßgeblich daran beteiligt, Mikovits die dafür nötige finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen.
Kurz vor Mikovits’ College-Abschluss veröffentlichte das TIME Magazine am 30. März 1980 eine Titelgeschichte über die Entdeckung von Interferon, das versprach, ein Heilmittel gegen Krebs zu sein. Von dem Tag an, an dem ihr Großvater etliche Jahre zuvor an Krebs gestorben war, versprach Mikovits ihm und sich selbst, dass diese Krankheit auf andere Familien nicht solch zerstörerische Auswirkungen haben würde, wie sie das hatte erleben müssen. Genauso wie Gallo hatte die familiäre Krankheitsgeschichte sie mit einem Gefühl der Berufung in die Krebsforschung getrieben. Sie wollte auch keine Zeit verschwenden, um damit anzufangen. Am Sonntag nach ihrem Abschluss sah sie in der Washington Post eine Stellenausschreibung für einen Proteinchemiker, der für die biologische Behandlung von Nierenkrebs Interferon in einem Labor purifizieren sollte, das sich in Frederick, Maryland, befand und beim NCI in unter Vertrag stand. Sie bewarb sich um den Job und bekam ihn.
1982 beauftragte Gallo Mikovits und ihre Kollegen mit der Purifizierung des HTLV-1-Retrovirus’ aus infizierten Zellen, die in 250-Liter-Fermentern mit einer kontinuierlich arbeitenden Durchflusszentrifuge gezüchtet wurden. Aber mit seiner Methode waren Risiken verbunden. Mikovits und ihr Vorgesetzter waren der Meinung, dass die Bedingungen für die Züchtung des Retrovirus’ für die Laborarbeiter gefährlich waren, zumal es bei den Mitarbeitern mehrere junge Frauen gab, die schwanger waren.26 Die Gefahren für einen sich entwickelnden Fötus waren damals unbekannt, und sie wollten bessere Schutzmaßnahmen. Mikovits zufolge überbrachten sie diese Bedenken den Vorgesetzten, die sich als unnachgiebig erwiesen und verlangten, dass sie weiterarbeiten und das Retrovirus züchten oder ihre Arbeitsplätze aufgeben sollten. Mikovits und ihr Chef beschlossen, die Arbeit rund um die Uhr selbst zu erledigen, und schafften es trotzdem, das Projekt rechtzeitig abzuschließen, ohne schwangere Arbeiterinnen in Gefahr zu bringen.
Ein paar Monate später erhielt Mikovits einen Brief von ihrem Chef, dass das NCI keinen Proteinchemiker mehr brauche, um Interferon zu purifizieren. Sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das gleiche dysfunktionale Milieu, das Gallo gedeihen ließ, sich jetzt in einer Vergeltungsmaßnahme gegen sie richtete, weil sie als 24-jährige Labortechnikerin es gewagt hatte, einen vergötterten Wissenschaftler herauszufordern. Die Hüter der öffentlichen Gesundheit hatten eine rücksichtslose Missachtung für das Wohlergehen ihrer eigenen Labormitarbeiter – selbst schwangerer Frauen – beim Umgang mit einem kaum erforschten Erreger an den Tag gelegt. Was sagte dies über ihr Interesse an der Gesundheit der übrigen Bevölkerung aus?
Nachdem ihr Arbeitsplatz „beseitigt“ worden war, besuchte sie ein Seminar von Dr. Joost J. Oppenheim. Nach seinem fesselnden Vortrag sprach sie Oppenheim an, um mit ihm über seine aktuellen Forschungsarbeiten zu reden.27 Er lud sie in sein Büro ein, und als sie erwähnte, dass sie nicht mehr im NCI-Labor arbeitete, schlug er vor, mit Frank Ruscetti zu sprechen, den Oppenheim gerade als Projektleiter in seinem Labor eingestellt hatte.
Mikovits war sicher, dass sie das Vorstellungsgespräch mit Ruscetti vermasselt, aber dennoch einen recht positiven Eindruck bei dem Wissenschaftler hinterlassen hatte. Als Ruscetti die Personalleitung benachrichtigte, sie möge Mikovits einstellen, lehnte diese das mit der Begründung ab, Mikovits sei „eine Unruhestifterin“.
„Wieso ist sie eine Unruhestifterin?“, fragte Ruscetti.
„Sie stellt zu viele Fragen.“
„Aber sie ist Wissenschaftlerin!“, antwortete er empört. „Es ist ihre Aufgabe, Fragen zu stellen!“ Damit war seine Entscheidung gefallen. Ruscetti bestand darauf, Mikovits einzustellen, und ging als Sieger aus dieser Auseinandersetzung hervor.
Einige Monate später erhielt Mikovits einen Anruf von Robert Gallo, dicht gefolgt von Vince De Vita, dem Leiter des NCI. Sie wollten sich einen Artikel ansehen, den Ruscetti gerade verfasste und der die Isolierung von HIV aus Blut und Körperflüssigkeiten bestätigte. Ruscetti nahm damals gerade an einer wissenschaftlichen Konferenz in Europa teil und konnte sich daher nicht in das Gespräch einschalten.
Da Mikovits nicht die Autorin war, sagte sie ihnen, aus ethischen Gründen könne sie ihnen den Artikel nicht geben. Sie drohten ihr daraufhin, sie wegen Befehlsverweigerung zu entlassen. („Befehlsverweigerung“ scheint eine wiederkehrende Thematik im Verlauf von Mikovits’ Karriere zu sein, was ihr Respekt von ihren Anhängern einbrachte und ihre Kritiker verärgerte). Mikovits sagte Gallo und DeVita, sie werde den Artikel nicht aushändigen. Mikovits forderte sie auf, sie ruhig zu feuern. Als Frank aus Europa zurückkehrte und erfuhr, was sie getan hatte, wollte er das nicht glauben. „Du hast das für mich getan?“, fragte er.
Der Stress der letzten Wochen und die Angst, vielleicht ein zweites Mal gefeuert zu werden, weil sie sich gegen mächtige Männer zur Wehr gesetzt hatte, übermannten sie, und sie antwortete verärgert: „Ich habe es nicht für dich getan! Ich habe es getan, weil es sich so gehört!“28 Ruscetti war beeindruckt und irritiert vom dreisten Mut seines jungen Schützlings. Das war eindeutig eine ganz besondere junge Frau.
Kurz nachdem Mikovits Ruscetti erzählt hatte, was in seiner Abwesenheit geschehen war, erhielt er einen Anruf von Gallo. „Wissen Sie, Frank, die NIH können es sich nicht leisten, zwei verschiedene Labore zu haben, die an dieser Entdeckung arbeiten. Sie müssen mir Ihr Virus schicken, um sicherzustellen, dass es das gleiche Virus ist wie meines.“
Aber Ruscetti hatte schon zu viel Übles mit Gallo erlebt, um ihm zu vertrauen. Ruscetti antwortete: „Also, vielen Dank, aber nein danke. Herzlichen Glückwunsch zur Bestätigung der Isolation. Aber ich werde mein Virus lieber in die Toilette schütten, statt es Ihnen zu geben.“
Ruscetti beobachtete in der Folgezeit, dass es eine Reihe von dominanten Personen in der Wissenschaft gab, die glaubten, etwas sei richtig, nur weil sie mit einer autoritären Stimme sprachen. Ihre Untergebenen lebten in Angst vor ihnen, weil sie die Berufslaufbahn eines Forschers verändern konnten. Leider konnte eine gebieterische Aussage ein Eigenleben bekommen und sogar ihre endgültige Widerlegung überdauern, und das war nach Ruscettis Einschätzung der Weg, auf dem einige dominante Figuren in die höheren Ränge der wissenschaftlichen Hierarchie aufstiegen.
„Gallo ist ein klassisches Beispiel hierfür“, sagte Ruscetti. „Leider gibt es in der Wissenschaft viele Leute wie ihn.“29
* * *
Als Gallo einige Jahre später mit seiner Behauptung, das HIV-Retrovirus vor Montagnier und Barré-Sinousi entdeckt zu haben, auf Widerspruch stieß, waren Mikovits und Ruscetti nicht wirklich überrascht, dass er angesichts des Gegenwinds ins Stottern geriet.
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