Die Pest. Kent Heckenlively

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Die Pest - Kent Heckenlively

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Sie hatte 22 Jahre am National Cancer Institute gearbeitet und wurde in ihren ersten Jahren in der Wissenschaft von Frank Ruscetti in dessen Labor in Fort Detrick, Maryland, betreut. Ruscetti war seinerseits ein Veteran in Robert Gallos heftig mit anderen Laboren konkurrierendem AIDS-Labor.

      So war es vielleicht verständlich, dass die an CFS/ME Erkrankten den Eindruck hatten, mit dem Auftauchen von Mikovits und ihren Mitarbeitern – insbesondere Ruscetti, Mitentdecker des ersten humanen Retrovirus im Jahr 1980 – seien vernünftige Menschen angekommen. Gewiss gehörte Mikovits nicht zu den überlasteten ME-Klinikern und Forschern der vergangenen Jahrzehnte und würde auch in Zukunft nicht dazugehören. Sie waren eine tapfere, wenn auch winzige Bruderschaft mit einem ständigen Mangel an Forschungsgeldern. Sie waren untereinander und auch bei den Patienten gut bekannt. Seit den frühen 1980er-Jahren existierte diese Bruderschaft wie in einer Art dystopischem Paralleluniversum, im Besitz von Informationen, die ihre Mitglieder für dringlich hielten, an denen aber nur wenige außer ihnen selbst interessiert waren. Eine Konstante auf ihren wissenschaftlichen Konferenzen waren die bleichgesichtigen Patienten, meist Frauen, die wie ein Embryo gekrümmt auf den Teppichfluren vor den Konferenzsälen des Hotels lagen, unter Decken, die sie bis zum Hals hochgezogen hatten; irgendwie hatten sie den Weg dorthin geschafft, aber die Anstrengung kostete sie alles.

      Gewiss gab es wenig Zweifel, dass Mikovits eine andere Art von Wissenschaftlerin war, eine, die nicht die Anerkennung der Führungskräfte an der Spitze der NIH suchte und die keine Angst davor hatte, Wissenschaftler der CDC zu kritisieren, ob per E-Mail oder persönlich. In der Tat war eine ihrer Qualitäten eine Leidenschaftlichkeit, die man in der Wissenschaft selten sieht. Sie bezeichnete XMRV als „… die größte Epidemie in der Geschichte der Vereinigten Staaten“, eine, die dazu bestimmt war, „die USA in das Gegenstück des HIV-geplagten Afrika südlich der Sahara zu verwandeln“, wenn sie unvermindert so weiterginge. Sie bezeichnete die Centers for Disease Control als „kriminell“, denn aus ihrer Sicht hatte die Behörde es versäumt, die Ausbreitung von XMRV einzudämmen. In ihrem Labor wurde das Akronym der Behörde in Atlanta mit „Can’t, Don’t Care“ übersetzt [Kann nichts, ist mir egal]. Sie und ihre Mitarbeiter verspotteten das Verfahren der Behörde, Patienten auszuwählen – durch zufällige Telefonumfragen –, und nannten die Kohorte der Regierung „Publisher’s Clearinghouse“-Patienten [Publisher’s Clearinghouse ist eine Firma für Direktvermarktung].

      Judy Mikovits war unerschütterlich in ihren Überzeugungen und hart gegenüber ihren Kritikern, die sie für voreingenommen, gelegentlich unehrlich und oft schlecht informiert hielt. Sie war eine beeindruckende Fürsprecherin für die Patienten. Für eine Wissenschaftlerin war es erstaunlich, dass sie sich sogar mit ihnen zusammenschloss, sie aufsuchte und sich mit ihnen anfreundete. Einmal veröffentlichte sie sogar an prominenter Stelle in einem Internetblog ihre persönliche E-Mail-Adresse. Der Grund hierfür war nicht nur ihre Menschenfreundlichkeit, sondern absolut vernünftig: Ihr Verständnis von dieser Krankheit rührte von den Patienten und ihren Geschichten her. Sie formulierte Hypothesen für wissenschaftliche Experimente auf der Basis dessen, was sie hörte und beobachtete. Die alten Griechen hätten Mikovits für ihre Methoden gelobt, aber im 21. Jahrhundert war sie ein komischer Kauz.

      Was andere Wissenschaftler betraf, war ihre vielleicht größte Sünde ihre öffentliche Vermutung darüber, was ihre Daten für andere ungeklärte Krankheiten implizieren könnten. Dazu gehörte insbesondere Autismus, eine Krankheit, die sich mit ME als biopolitischem Streitpunkt messen konnte. Sie hatte Familiencluster ermittelt, bei denen Eltern und andere nahe verwandte Erwachsene an ME und Kinder an Autismus litten, und fand Beweise für eine Gammaretrovirus-Infektion bei den Opfern beider Krankheiten. Es war eine Sache, wissenschaftliche Hypothesen über kontroverse Störungen mit Laborkollegen bei einem Drink in der Bar des Konferenzhotels aufzustellen, aber solche Hypothesen in Fernsehtalkshows im Einzelnen zu erklären oder sie Journalisten großer amerikanischer Zeitungen zu erläutern, so wie Mikovits das tat, das war eine andere Sache. Die Wissenschaftler der Regierung, die häufig ihren Auftrag, Forschung durchzuführen, mit einem Auftrag zur Verhinderung öffentlicher Panik verwechseln, waren besonders entnervt durch die Verwendung von Wörtern wie „Infektion“ und „Übertragung“ im selben Satz mit Wörtern wie „Autismus“ oder „Lymphom“ und sicherlich in Verbindung mit dem, was die CDC – anstelle von ME – „Chronisches Erschöpfungssyndrom“ nennt.

      Natürlich ist es ein seltenes und heikles Unterfangen in der Wissenschaft, die Speerspitze bei einer neuen Entdeckung zu sein, und nur wenige gehen ein solches Risiko ein. Mikovits’ wichtigster Co-Autor des Science-Artikels und unerschrockener Bewunderer, Frank Ruscetti, sagte über Mikovits: „Was ich ihr immer beizubringen versuchte, ist, die wissenschaftliche Methode zu erlernen und sie gut zu lernen, damit man etwas veröffentlichen kann, über das 99 Prozent der [wissenschaftlichen] Gemeinde sagen könnte: ‚Du liegst falsch’, aber von dem du weißt, dass es stimmt. Das ist der Mut eines wahren Wissenschaftlers, und Judy hat diesen Mut.“ Vielleicht ist es nicht verwunderlich, dass Mikovits in den nächsten drei Jahren ungebeugt im Zentrum eines heftigen wissenschaftlichen Sturms stand, der über mehrere Kontinente wütete. Wenn sie recht hatte und ein hochinfektiöses Retrovirus tatsächlich die Ursache des „Chronischen Erschöpfungssyndroms“ war und zehn Millionen Amerikaner bereits infiziert waren, – nun, dann änderte das nicht nur die Geometrie, sondern erschütterte auch die Glaubwürdigkeit des Bollwerks der Nation gegen Infektionskrankheiten, der CDC und ihrer renommierteren Schwesteragentur, der National Institutes of Health.

      Drei Jahre nach ihrer Entdeckung dachte man angesichts des Platzes, den die 1,64 m große Mikovits im wissenschaftlichen Kosmos eingenommen hatte, an Abraham Lincolns angebliche Bemerkung gegenüber Harriet Beecher Stowe: „Du bist also die kleine Frau, die das Buch geschrieben hat, das diesen großen Krieg ausgelöst hat!“

      * * *

      Mikovits arbeitete so isoliert in der sogenannten HIV-AIDS-Forschungsblase, dass sie noch nie von ME gehört hatte, bis sie zur wissenschaftlichen Leiterin eines neuen Instituts der University of Nevada in Reno berufen wurde. Wie ist sie in ein solch abenteuerliches Schicksal hineingeraten? Ein Ansturm der Intuition, Fakten, die sich an weitere Fakten anfügten, ihr Wissen über die Immunologie bei AIDS, ein Eureka-Moment. „Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, darüber nachzudenken. Ich wusste es einfach nicht“, sagte sie später.

      2006 saß sie auf einer Konferenz in Barcelona im Publikum und hörte einem Veteranen der ME-Schlachten zu, einem Arzt, der Tausende von Patienten gesehen und die Krankheit unmittelbar zusammen mit ihnen kennengelernt hatte. Er sprach über eine Gruppe von 300 Patienten, die er jahrelang weiterverfolgt hatte. Dan Peterson aus Nevada, ein Spezialist für Innere Medizin mit einer langen Warteliste, beschrieb bei diesen Patienten etwas, das Mikovits als „opportunistische Infektionen“ bezeichnen würde: verschiedene Immundefekte, eine Art subakute Enzephalopathie, die den IQ senkte und selbst die Fähigkeit der hellsten Patienten zerstörte, klar zu denken, ergänzt durch abnorme Gehirnscans bei verschiedenen Verfahren. Der Arzt zeigte Daten, die auf Zytokin-„Stürme“ hinwiesen, einen Angriff von inflammatorischen Proteinen wie Interferon, die die Opfer schachmatt setzten und die als Reaktion auf Infektionen erzeugt werden. Er hob hervor, dass 5 Prozent der Patienten in dieser sorgfältig beobachteten Gruppe seltene, das Immunsystem betreffende Krebserkrankungen hatten, die in der allgemeinen Bevölkerung mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 0,02 Prozent auftreten. Insgesamt hatten 77 der 300 Patienten entweder Blutkrebs oder zelluläre Veränderungen, die Lymphomen vorausgingen.

      Mikovits war bis ins Mark getroffen. „Es ist ein Retrovirus“, dachte sie und sagte das beinahe laut. HIV war eine von drei Retrovirus-Familien, von denen bekannt ist, dass sie Menschen infizieren; vielleicht waren es vier, fragte sich Mikovits. Retroviren, die seit Langem dafür bekannt sind, Haustiere wie Katzen und Rinder sowie Wildtiere zu infizieren, verursachten Krebs, Immunschwäche und schreckliche neurodegenerative Erkrankungen. Wenn die Krankheit, die Peterson beschrieb, nicht AIDS war, dann war sie aber zumindest ähnlich wie AIDS oder, wie Mikovits schließlich sagen würde, „das andere AIDS“ oder „non-HIV-AIDS“. Sie sprang ans Mikrofon, als Peterson seinen

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