Die Pest. Kent Heckenlively

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Die Pest - Kent Heckenlively

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ungeklärte Symptome“, auch bekannt unter der Abkürzung „M.U.P.S.“ [Medically Unexplained Physical Symptoms]. Sie haben es geschafft, einen Großteil des medizinischen Establishments davon zu überzeugen, dass kognitive Verhaltenstherapie eine wirksame Behandlung sei. Sicherlich ist es kostengünstiger, eine Gesprächstherapie zu verordnen, als umfassende Forschungsanstrengungen zur Ursache zu finanzieren.

      Es gab keine finanzielle Förderung durch die Bundesregierung der USA, um nach möglichen Pathogenen für die Ursache der Krankheit zu suchen. Der Nihilismus legte sich über die wenigen andersdenkenden klinischen Forscher und die noch selteneren Wissenschaftler, die die Krankheit weiterhin alarmierend fanden. Sie wandten sich wieder der Veröffentlichung von Artikeln über Symptome zu wie etwa der pompös betitelten „post-exertional malaise“ – dem unvermeidlichen Absturz, der bei Patienten auftritt, die sich angestrengt haben – oder Symptomen wie einer gestörten Durchblutung des Gehirns oder dem pathologisch niedrigen Blutdruck. Heute gibt es etwa 5.000 Artikel über Anomalien bei ME, die seit Beginn der 1980er-Jahre in wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen sind. Aber die Beamten der Regierung sagen Reportern weiterhin: „Es gibt keine Biomarker.“ Mit verhängnisvoller Logik erzählen sich die gleichen Beamten untereinander, dass die Krankheit in unzählige „Untergruppen“ aufgeteilt werden müsse. Denn sie bestehen darauf, es sei einfach unvorstellbar, dass alle das Gleiche haben könnten – eine neue Art, es so auszudrücken, wie es der CDC-Epidemiologe Keiji Fukuda vor zwanzig Jahren schon sagte: „… Es wird nicht so sein, dass Agens X die Krankheit Y verursacht.“

      Nachdem ich Judy Mikovits im Frühjahr 2009 in London kennengelernt hatte, fragte ich mich: War der Tag der Abrechnung gekommen? Würde Mikovits die Wissenschaftlerin sein, die diese Krankheit lösen würde, oder würde man sie zerstören? Ohne hintersinnig sein zu wollen, glaube ich, dass die Antwort in beiderlei Hinsicht ein bisschen „Ja“ lautet.

      * * *

      „Wir haben diesen Artikel CDC-sicher gemacht“, versicherte mir Mikovits im September 2009, kurz bevor ihre Studie in Science veröffentlicht wurde. Sie war vielleicht noch nicht lange dabei, was die Erforschung der Krankheit betraf, aber sie war mit deren politischer Geschichte bestens vertraut. Im Juli zuvor hatte sich ihre Arbeit sehr gut behauptet, als zwei AIDS-Experten des National Cancer Institute ein geheimes Treffen von führenden Experten auf dem Gebiet der Gammaretroviren einberufen hatten, um über die Angelegenheit zu beraten. Die hauptsächlichen Sorgen der Regierung waren: Wie sollte man mit einer unberechenbaren Öffentlichkeit umgehen, wenn die Nachricht von XMRV und seinem möglichen Zusammenhang mit Krebs bekannt wurde, und was sollte man mit all den infizierten, asymptomatischen Menschen tun?

      „Das ist der Teil der Daten, der alle erschreckt hat“, erinnerte sich Mikovits. „Das ‚Chronische Erschöpfungssyndrom’ interessierte sie nicht. Aber zehn Millionen Menschen infiziert mit einem Retrovirus von unbekanntem pathogenem Potenzial? Im Vergleich dazu sind in diesem Land achthunderttausend Menschen mit HIV infiziert.“

      In dem dann folgenden Aufruhr verwandelte sich die Beunruhigung in Gespött, als mehrere Laboratorien die Arbeit nicht bestätigen konnten. Im Lauf der Zeit wurde von einem amerikanischen Wissenschaftler, der anfangs zunächst ein entschiedener Unterstützer von Mikovits war, ein überzeugendes Argument vorgebracht, nämlich dass XMRV ein vom Menschen hergestelltes Virus sei, eine „Verunreinigung“, die sich seit Mitte der 1990er-Jahre von Labor zu Labor verbreitet habe. Mikovits und ihre Mitarbeiter akzeptierten das Urteil über XMRV, aber Mikovits’ Stimme übertönte den daraus resultierenden Aufruhr und selbst den Spott. Sie bestand darauf, dass die Beweise für eine Gammaretrovirus-Infektion bei ME zwingend wären und eine weitere Erforschung verdienten. Wie bei HIV, argumentierte sie, gab es wahrscheinlich mehrere Stämme des Erregers, und sie hob hervor, dass ihre Forschung diese Hypothese unterstützte. Sie verwies auch auf einen anderen Wissenschaftler, einen zurückgezogenen Interferon-Experten namens Sydney Grossberg, der seit den frühen 1990er-Jahren an der University of Wisconsin in aller Stille seine eigene Entdeckung eines Retrovirus bei einem ME-Patienten verfolgte. Tatsächlich veröffentlichte Grossberg im Mai 2013, als die Kontroverse um XMRV zur Ruhe gekommen war, seine Beobachtung, dass der Erreger ein Mitglied der Gammaretrovirus-Familie sei. Es war nämlich ein Mäuseleukämievirus, was man von XMRV ebenfalls annahm. Es unterschied sich aber, so fuhr er fort, von XMRV. Grossberg schlug darüber hinaus vor, in zukünftigen Studien seine Techniken zu verwenden, um den Nachweis auf eine Untergruppe von Viren auszuweiten, „die mit [Mäuseleukämieviren] verwandt sind“.*

      *Sidney E. Grossberg et al., „Partial Molecular Cloning of the JHK Retrovirus Using Gammaretrovirus Consensus PCR Primers“, Future Virology, Vol.

      * * *

      Wäre Mikovits so hart behandelt worden, wenn sie ein Mann wäre? Schließlich waren es Männer, die XMRV entdeckt hatten, und keiner von ihnen wurde Opfer der bösartigen Berichterstattung, der Schikane im Internet oder der öffentlichen Prügel, die sie erleiden musste. Hätten die Journalisten Jon Cohen und Martin Enserink von Science mit Männern das Gleiche wie mit Mikovits gemacht, hinter der sie, wie im Sommer 2012, abwechselnd her waren? Hätten sie, wie sie es im September 2011 getan haben, ein achtseitiges Papier in Science veröffentlicht, das nichts weiter als ein klassischer Rufmord war? Enserink verfolgte Mikovits durch Brüssel und die Universitätsstadt Leuven, Belgien, während dort eine wissenschaftliche Konferenz stattfand, und Cohen folgte ihr später von Kalifornien nach Reno, offenbar hauptsächlich, um ein Polizeifoto von ihr zu ergattern, das dann auf Seite eins ihrer Geschichte erschien. Ich wurde Zeugin davon, wie Mikovits über Tage hinweg mit Eserink so lange sprach, bis sie heiser wurde, um ihm ihre wissenschaftlichen Methoden und Hypothesen zu erklären. Von dem, was sie ihm gesagt hatte, habe ich in dem anschließend erschienenen Artikel nicht ein Wort wiedergefunden.

      Oder war es die Tatsache, dass das Establishment im Gesundheitswesen ME weitgehend als eine Krankheit von Frauen wahrnimmt? Was nicht nur zu Spott und Ablehnung gegenüber Patienten führt, sondern auch gegenüber Wissenschaftlern, die versuchen, die Entstehung ihrer Krankheit herauszufinden, vor allem, wenn sie außerdem noch Frauen sind? Erst im Dezember 2013 wurde ein frisch pensionierter NIH-Wissenschaftler bei einer medizinischen Konferenz in New York City von einer Patientin gefragt, was die NIH-Führung wirklich über diese Krankheit denke. Nach einer Pause, in der er seine Worte abzuwägen schien, antwortete der Wissenschaftler lächelnd: „Sie hassen euch.“ Kann die schwierige Geschichte einer Epidemie, die bislang schon zwei Generationen von Menschen heimgesucht hat, auf Frauenfeindlichkeit zurückgeführt werden, genauso wie die Verzögerung der Erforschung von AIDS in den frühen 1980er-Jahren auf Homophobie zurückgeführt wird?

      Oder liegt die Erklärung in der Notwendigkeit, dass die CDC und die NIH ihr Gesicht retten und es vermeiden müssen einzugestehen, dass die vom Steuerzahler finanzierten Gesundheitsbehörden so gründlich und so lange versagt haben? Oder hat es mit der Vermeidung der Sammelklagen zu tun, die Mikovits vorhergesagt hatte? Wir sind als Gesellschaft nicht darauf vorbereitet, in Erwägung zu ziehen, dass diese Behörden, ob mangels Alternative oder absichtlich, ein Komplott schmieden, um die Bevölkerung unwissend zu halten über reale und gegenwärtige Bedrohungen unseres Lebens und des Lebens unserer Kinder. Die Geschichte dieser Krankheit jedoch und die oft verheerenden Erfahrungen von Wissenschaftlern, die versucht haben, den Fall zu lösen, zwingen jeden denkenden Menschen, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen.

      Was nicht zu bestreiten ist: Judy Mikovits hat eine überholte, über ein Vierteljahrhundert andauernde Debatte über die Legitimität von ME verwandelt in eine Diskussion über seine biologische Ursache, seine Übertragungswege und sinnvolle medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten. Sie öffnete die Büchse der Pandora wieder, die zugeschlagen wurde, als die CDC versuchten, Elaine DeFreitas zu begraben. Sie rückte die Krankheit für eine Weile in die Realität, was an sich schon eine bedeutsame Leistung ist, und richtete den Fokus der wissenschaftlichen Gemeinde weg von ihren Symptomen in Richtung ihrer Ursache. Sie brach den Bann der nihilistischen Verleugnung aller positiven Ansätze. Sie schlug zudem eine vernünftige Hypothese über ein mögliches infektiöses

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